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Geburtstagszug reloaded: Produktdesign und das Urheberrecht

Auch hinter dem Design von Spielzeug, Möbeln und sonstigen Gebrauchsgegenständen steckt ein kreativer Prozess. Urheberrechtlich hatte das Produktdesign bisher aber einen Sonderstatus. Schwer fällt in diesem Bereich die Abgrenzung zur reinen Gebrauchsästhetik – die keinen urheberrechtlichen Schutz genießt.

Im letzten Jahr hat der BGH in seiner „Geburtstagszugs”-Entscheidung die Anforderungen für den urheberrechtlichen Schutz von Design gesenkt – und damit einen dogmatischen Wandel vollzogen. Das OLG Schleswig hat die neue Rechtsprechung des BGH kürzlich umgesetzt.
Worum geht es eigentlich beim Schutz von Design nach dem Urheberrechtsgesetz?

Die Basics

Schutzgegenstand des Urheberrechts ist das „Werk”. Der Begriff wird in § 2 Abs. 2 UrhG definiert:

Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.

Weil dies eine sehr abstrakte Beschreibung ist, hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 UrhG einen Beispielskatalog bestimmt:

Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere:

  1. Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme;
  2. Werke der Musik;
  3. pantomimische Werke einschließlich der Werke der Tanzkunst;
  4. Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke;
  5. Lichtbildwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden;
  6. Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden;
  7. Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen.

Die Grundregel legt aber § 2 Abs. 2 UrhG fest: In jedem Fall, also bei jeder Werkart, muss es sich um eine „persönliche geistige Schöpfung” handeln. Man ist sich einig, dass dies reine Alltagserzeugnisse vom dem urheberrechtlichen Schutz auszuschließt. Für den Bereich der Kunst definiert der BGH dementsprechend die persönliche geistige Schöpfung als „Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann”.

Nach dem Maßstab von § 2 UrhG wird nicht nur die „hohe Kunst” geschützt, also etwa ein aufwändiges Gemälde oder eine Symphonie. Die Anforderungen erfassen vielmehr nach dem sogenannten Grundsatz der kleinen Münze auch reine Gebrauchskunst; das Design ist als „angewandte Kunst” in § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG sogar explizit erwähnt. Es muss aber eine gewisse Schwelle überschritten sein, die reines Alltagsschaffen von der besonders schützenswerten kreativen Leistung unterscheidet. Diese Untergrenze des Schutzes wird unter dem Begriff der Schöpfungshöhe diskutiert – dies ist die Schwelle, die eine kreative Leistung überschreiten muss, um als „Werk” i.S.v. § 2 Abs. 2 UrhG geschützt zu sein.

Die Abgrenzung ist bei allen Werkarten schwierig und umstritten. Bei der „angewandten Kunst” nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG (d.h. dem „Produktdesign”) fällt sie jedoch besonders schwer. Denn bei der Gestaltung von Gegenständen, die bestimmten Aufgaben dienen, geht es häufig um ganz alltägliche Dinge wie Stühle, Tischlampen, Schmuck oder Spielzeug. Design verfolgt deshalb häufig einen Zweck, der durch die Funktion des Designgegenstandes vorgegeben ist. Es ist keine „zweckfreie” Kunst, sondern zum Teil auch Handwerk.

Früher kannte das Produktdesign keine kleine Münze

Die frühere Rechtsprechung hatte an den Schutz von Produktdesigns höhere Anforderungen gestellt als an zweckfreie Kunst. Ein Produktdesign musste überdurchschnittliche Eigentümlichkeit und ein Überragen der Durchschnittsgestaltung aufweisen, um die Schwelle zum Werkschutz zu übertreten. Grund: die Systematik der Immaterialgüterrechte. Denn für Produktdesigns galt ein eigenes Spezialgesetz, das speziell dem Schutz der „kleinen Münze” gewidmet war: das Geschmacksmustergesetz. Bis zur Reform des Geschmacksmusterrechts im Jahr 2004 war auch dort eine individuelle Leistung des Designers (die sogenannte „Eigentümlichkeit”) Voraussetzung des geschmacksmusterrechtlichen Schutzes – nahe am Urheberrecht. Man sprach daher auch vom Geschmacksmusterrecht als „kleinem Urheberrecht” für Werke der angewandten Kunst. Doch im Gegensatz zum Urheberrecht musste ein Geschmacksmuster beim Patent- und Markenamt als Registerrecht eingetragen werden.

Die Parallele zwischen Geschmacksmusterrecht und Urheberrecht hat der Gesetzgeber aber vor zehn Jahren verworfen. Seit der Reform 2004 wird anstelle der Eigentümlichkeit, also der individuellen Leistung, darauf abgestellt, ob das Design Eigenart hat – und zwar, indem es sich von anderen Mustern unterscheidet. § 2 DesignG bestimmt:

(1) Als eingetragenes Design wird ein Design geschützt, das neu ist und Eigenart hat.

(2) Ein Design gilt als neu, wenn vor dem Anmeldetag kein identisches Design offenbart worden ist. Designs gelten als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden.

Das Gesetz stellt somit nicht mehr auf eine kreative Leistung ab, sondern nur noch auf die „Eigenart” eines Designs. Eigenart, das bedeutet: Das Designrecht vergleicht das neue Design mit dem alten, ohne dass dabei die „Schöpfungshöhe” eine Rolle spielt.

Die Geburtstagszug-Entscheidung des BGH

Die Frage, wann Produktdesign im urheberrechtlichen Sinn Schöpfungshöhe hat, entschied der BGH im letzten Jahr grundlegend neu: In seiner Geburtstagszug-Entscheidung (Az. I ZR 143/12) brach der Gerichtshof mit dem früheren Grundsatz, bei Design höhere Maßstäbe anzulegen als bei anderen Werkarten.

Worum ging es? Eine Designerin hatte gegen einen Spielzeughersteller geklagt, für den sie einen Tisch-Holzzug in zwei Varianten entworfen hatte. Auf den Waggons ließen sich Geburtstagskerzen und Zahlen aufstecken (Geburtstagszug); in seiner zweiten Variante ließen sich außerdem Tiere auf den Waggons anbringen (Geburtstagskarawane). Der Hersteller erzielte mit diesem Zug erhebliche Einnahmen; an diesen wollte sich die Designerin im Nachhinein über § 32a UrhG beteiligen lassen. Voraussetzung für diesen Anspruch ist aber der urheberrechtliche Schutz als „Werk”.

Der beklagte Hersteller berief sich darauf, die Holzzüge würden gerade nicht die erforderliche Schöpfungshöhe erreichen; dem war das OLG Schleswig in seinem ersten Urteil gefolgt. Der BGH verwarf in der Revision seine bisherige Ansicht und glich den Grad der Schöpfungshöhe bei Designs dem anderer Werkarten an. Er führte aus, nach der Reform des Geschmacksmusterrechts bestehe „zwischen dem Geschmacksmusterrecht und dem Urheberrecht kein Stufenverhältnis mehr in dem Sinne, dass das Geschmacksmusterrecht den Unterbau eines wesensgleichen Urheberrechts bildet. Mit einem solchen Stufenverhältnis können die erhöhten Anforderungen an den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst daher nicht mehr begründet werden.”

Kleine Münze, aber kein Schutz des Gebrauchszwecks

Der urheberrechtliche Schutz der „kleinen Münze” gilt seitdem auch für das Produktdesign. Es bleibt aber dabei, dass der BGH die urheberrechtlich geschützte Gebrauchs-Kunst zum rein funktionalen Design abgrenzt. Die ästhetische Wirkung der Gestaltung darf deshalb nicht dem „Gebrauchszweck” geschuldet sein (BGH Az. I ZR 53/10Seilzirkus). Sie muss auf einer künstlerischen Leistung beruhen. Dafür sei bei Gebrauchsgegenständen „in besonderem Maße die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind”.

Der Begriff des Gebrauchszweck dient also als Korrektiv. Jede Gestaltung einer Tischlampe und eines Sessels unter den Schutz des Urheberrecht fallen zu lassen, würde zu weit gehen: Schon simple ästhetische Formgebungen („Lampenfuß plus Leuchte gleich Lampe”) würden dadurch rechtlich monopolisiert werden. Schließlich schützt das Urheberrecht nicht die Idee, sondern nur ihre verkörperte Manifestation. Und die braucht beim Produktdesign eben ein künstlerisches Moment.

Die Entscheidung des OLG Schleswig

Der Geburtstagszug wurde vom BGH wieder zum OLG Schleswig zurückverwiesen; dieses sollte den neuen Maßstab auf den konkreten Fall anwenden. Das OLG hat die Kriterien des BGH jetzt mit Leben gefüllt – und trotz dessen Rechtsprechungsänderung dem Geburtstagszug in seiner Grundvariante den urheberrechtlichen Schutz versagt (Az. 6 U 74/10).

Grund: Der beklagte Hersteller vertrieb bereits einen ähnlichen Holzzug. Die Designerin hatte diesen Zug zwar nach den Feststellungen des OLG Schleswig zwar „durchaus verändert” (mehr Waggons, mehr Räder und Scheinwerfer an der Lokomotive, Päckchenladungen auf Waggons, die Farbe des Zuges). Um Schöpfungshöhe anzunehmen, reichte dem OLG der Entwurf der Designerin aber nicht aus. Dieser habe „in dem Erzeugnis lediglich vorhandene Ausdrucksformen wiederholt […], ohne dem Werk persönliche Züge zu geben.” Auch dass die Designerin Hakenverbindungen statt Magneten zwischen den Waggons gewählt hatte, war für das OLG keine „künstlerisch berücksichtigungsfähige Änderung”.

Anders entschied das OLG bei dem zweiten von der Designerin entworfenen Produkt, der „Geburtstagskarawane”. Hier verneinte das OLG den bloßen Gebrauchszweck und bejahte die Werkqualität. Es führte hierzu aus:

„Mit der Geburtstagskarawane wird das vorhandene Vorbild des Zuges gänzlich neu gestaltet, indem Lokomotive und Waggons durch Tierfiguren ersetzt werden. Die gewählte kindgerechte Gestaltung ist nicht etwa nur eine von mehreren dem Gebrauchszweck geschuldeten Varianten, wie die Beklagte meint. Die Beklagte verweist zur Begründung ihrer Auffassung darauf, dass eine Dekoration für den Geburtstagstisch eines Kindes in Form und Farbe notwendigerweise ansprechend gestaltet sein müsse. Dies macht eine entsprechende Form- und Farbwahl jedoch noch nicht zur technischen Bedingung einer Dekoration. Es betrifft schlicht die Verkäuflichkeit und damit nicht den Gebrauchszweck des Werkes an sich – um den es allein geht –, sondern den Zweck, den die Beklagte aus der Nutzung des Werkes ziehen möchte.”

Hervorhebung nicht im Original.

Damit bejahte das OLG Schleswig die urheberrechtliche Schöpfungshöhe. Die Designerin bekam für die Geburtstagskarawane dennoch keine nachträgliche Vergütung: Der Anspruch war verjährt.

Urheberrecht beim Produktdesign im Überblick

Welche einzelnen Verästelungen die Rechtsprechung beim urheberrechtlichen Schutz von Design finden wird, ist noch offen. Die Grundlinien sind aber nun erkennbar und lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  frühere Ansicht heutige Ansicht
Schöpfungshöhe bei zweckfreier Kunst niedrig:
Die Schutzuntergrenze ist großzügig bemessen, auch einfache Erzeugnisse sind geschützt – kleine Münze
Schöpfungshöhe bei Designs hoch:
überdurchschnittliche Eigentümlichkeit, Überragen der Durchschnittsgestaltung.
niedrig:
Ausgangspunkt auch hier kleine Münze, denn es bedarf keiner überdurchschnittlichen Eigentümlichkeit mehr.

Einschränkungen:
ästhetische Wirkung darf nicht dem Gebrauchszweck geschuldet sein;
es dürfen nicht lediglich vorhandene Ausdrucksformen wiederholt werden, ohne dem Werk persönliche Züge zu geben.

Verhältnis der Schutzrechte UrhR und DesignR Kumulativ möglich,
da wesensgleich: Beide Schutzrechte forderten eine individuelle Leistung. Verhältnis aber im Stufenverhältnis (graduell), um systematische Brüche zu vermeiden.
Nebeneinander,
da wesensverschieden: Im UrhR ist die individuelle Gestaltung ausschlaggebend, im DesignR nunmehr die Unterscheidungsfähigkeit.

Zur Entscheidung im Volltext.
Till Kreutzer zur Geburtstagszug-Entscheidung des BGH auf irights.info.

  • Fabian Rack

    Fabian Rack ist Teil des Telemedicus-Kernteams und Rechtsanwalt bei iRights.Law.

, Telemedicus v. 08.10.2014, https://tlmd.in/a/2842

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