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Gebrauchte E-Books und das Urheberrecht

Möchte man sein Bücherregal ausmisten und ein gebrauchtes Buch weiterverkaufen, muss man hierfür beim Verlag nicht um Erlaubnis fragen. Das Urheberrecht – bezogen auf dieses Buch – hat sich in dem Moment verbraucht, in dem der Inhaber von Urheberrechten das Buch erstmalig veräußert hat.

Aber was ist dann mit gebrauchten Büchern im „Software-Format“? Können auch sie lizenzfrei weiterveräußert werden? Das niederländische Unternehmen Tom Kabinett sah darin ein lukratives Geschäftsmodell. Und wurde am Ende eines Besseren belehrt.

Der Erschöpfungsgrundsatz ist ein Evergreen im Urheberrecht der Informationsgesellschaft. Grundstein war hier die Used-Soft-Entscheidung aus dem Jahr 2012. Darin hatte der EuGH den Weg frei gemacht für den Online-Handel mit gebrauchter Software: Er entschied damals, dass „Erschöpfung“ unter bestimmten Voraussetzungen auch beim Vertrieb von nicht-körperlicher Software – in Form eines bloßen Download-Links – eintreten könne. Mit der „immateriellen Erschöpfung“ befasste sich der EuGH noch einmal in seiner E-Book-Entscheidung im Dezember 2019.

Doch der Reihe nach.

Der Fall Tom Kabinett im Kurzüberblick

Im Juni 2015 gründete das niederländische Unternehmen Tom Kabinett einen Leseklub, in dem es seinen Mitgliedern gegen Entgelt „gebrauchte“ E-Books zur Verfügung stellte. Hierfür erwarb Tom Kabinett die E-Books beim ursprünglichen Händler als Neuversion. Außerdem bestand für die Mitglieder die Möglichkeit, ihre E-Books an den Leseklub zu veräußern. Bezahlt wurde mit Guthabenpunkten, die bei der nächsten Bestellung eingelöst werden konnten.

Die niederländischen Verlagshäuser sahen hierdurch ihre Rechte verletzt und klagten wegen Urheberrechtsverletzung.

Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe?

Um eine Urheberrechtsverletzung festzustellen, musste das Gericht klären, wie der Verkauf der gebrauchten E-Books im Leseklub urheberrechtlich einzustufen ist: Fällt der Wiederverkauf im Leseklub unter das Verbreitungsrecht, kann der „Erschöpfungsgrundsatz“ greifen. Danach wird das Urheberrecht nicht verletzt, wenn der Erstverkauf eines Werkes oder eines Vervielfältigungsstücks oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung in der EU durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erfolgt. Ist der Wiederverkauf aber eine öffentliche Wiedergabe, kann der Erschöpfungsgrundsatz nicht eintreten.

Bejaht man also eine Verbreitungshandlung, würde eine Urheberrechtsverletzung wahrscheinlich ausscheiden, da die urheberrechtlichen Schutzrechte des Verlages, bezogen auf einen konkreten E-Book-Download, mit dem Moment des erstmaligen Verkaufs „verbraucht“ wären.

Die oben aufgeworfenen Fragen legte das Den Haager Gericht dem EuGH vor. Dieser sollte nun abstrakt klären, ob die Überlassung eines E-Books zur dauerhaften Nutzung durch Herunterladen eine öffentliche Wiedergabe oder eine Verbreitung im Sinne des europäischen Urheberrechts darstellt.

Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe muss weit gefasst werden

Der EuGH führt in seiner Entscheidung aus: Die Urheberechts-Richtlinie aus dem Jahr 2001 (InfoSoc-Richtlinie) grenzt strikt zwischen körperlicher und elektronischer Verbreitung ab. Dabei umfasse das Recht der öffentlichen Wiedergabe alle Verbreitungsformen, die keine Verbreitung körperlicher Vervielfältigungsstücke darstellt – also auch die Überlassung eines E-Books durch Herunterladen. Um im Urheberrecht ein möglichst hohes Schutzniveau zu erreichen, müsse der Begriff der öffentlichen Wiedergabe möglichst weit gefasst werden.

Zugänglichmachung eines E-Books bereits durch Angebot

Aus den Gesetzgebungsmaterialien der InfoSoc-Richtlinie geht laut EuGH außerdem hervor, dass eine Wiedergabehandlung in Form der Zugänglichmachung bereits dann zu bejahen ist, wenn ein E-Book an einem öffentlich zugänglichen Ort zur dauerhaften Nutzung durch Herunterladen angeboten wird. Auf den tatsächlichen Abruf durch eine Person komme es hierbei gerade nicht an.

Neben der Wiedergabehandlung an sich bejahte der EuGH auch das Merkmal der Öffentlichkeit für den Vertrieb im Rahmen des Leseklubs: Die Öffentlichkeit bestehe hier aus den einzelnen nicht miteinander persönlich bekannten Mitgliedern des Leseklubs, die jederzeit dem Leseklubs beitreten und Zugang zu einem Werk haben können. Außerdem könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Anzahl von Mitgliedern gleichzeitig oder nacheinander Zugang zu einem Werk hat:

Im Hinblick auf den (…) Umstand, dass jeder Interessent Mitglied im Leseklub werden kann und dass auf der Plattform dieses Klubs eine technische Maßnahme fehlt, die garantieren kann, dass nur eine Kopie eines Werks während des Zeitraums, in dem der Nutzer eines Werks tatsächlich Zugang diesem hat, heruntergeladen werden kann und dass der Nutzer nach Ablauf dieser Frist die von ihm heruntergeladene Kopie nicht mehr nutzen kann (…), ist im vorliegenden Fall jedoch davon auszugehen, dass die Anzahl der Personen, die über diese Plattform parallel oder nacheinander Zugang zu demselben Werk haben können, erheblich ist.

EuGH, Urteil vom 19.12.2019 – C-263/18, Rn. 69. Hervorhebungen nicht im Original.

Wo liegt nun der Unterschied zu reiner Software?

Beim Wiederverkauf von E-Books kann man nun auch argumentieren, dass es sich um ein Stück Software handelt, bei dem der EuGH ja im Fall UsedSoft den Gebrauchthandel erlaubt hatte. In der europäischen Software-Richtlinie ist der Erschöpfungsgrundsatz für Computer-Software aber speziell geregelt. Der Europäische Gerichtshof hatte in seiner Entscheidung damals klargestellt, dass diese Richtlinie nicht zwischen dem körperlichen und dem elektronischen Vertrieb von Software unterscheidet. Es könne keinen Unterschied machen, ob die Kopie eines Computerprogramms per Datenträger oder per Download-Link vertrieben wird.

Zum anderen hat der Gerichtshof (…), festgestellt, dass die Veräußerung eines Computerprogramms auf einem materiellen Datenträger und durch Herunterladen aus dem Internet wirtschaftlich gesehen vergleichbar sind, da die Online-Übertragung funktionell der Aushändigung eines materiellen Datenträgers entspricht (…)

Rn. 57

Fällt ein E-Book nicht auch in den Anwendungsbereich der spezielleren Software-Richtlinie? Und müssen die Ausführungen aus der Used-Soft-Entscheidung nicht auch für den Vertrieb von E-Books gelten?

Der EuGH stellt klar: Selbst wenn man annimmt, dass ein E-Book zumindest teilweise auch aus Software besteht, ist der Vertrieb nicht mit dem Vertrieb reiner Software vergleichbar. Sobald die Software ein geschütztes Werk beinhaltet, ist dieses nach den allgemeinen Regeln der InfoSoc-Richtlinie – und nicht nach den Regeln der spezielleren Software-Richtlinie – zu schützen:

Selbst wenn ein E Book als ein komplexer Gegenstand betrachtet werden sollte (…), der sowohl ein geschütztes Werk als auch ein Computerprogramm umfasst, (…), ist davon auszugehen, dass ein solches Programm gegenüber dem in einem solchen Buch enthaltenen Werk nur akzessorischen Charakter hat. Wie der Generalanwalt in Nr. 67 seiner Schlussanträge nämlich ausgeführt hat, wird ein E Book wegen seines Inhalts geschützt, der daher als dessen wesentlicher Teil zu betrachten ist, so dass der Umstand, dass ein Computerprogramm Teil eines E Books sein kann, das es ermöglichen soll, dieses zu lesen, nicht zur Anwendung dieser spezifischen Bestimmungen führen kann.

Rn. 59

Fazit

Der EuGH zieht mit seiner Entscheidung eine klare Abgrenzung zwischen dem Vertrieb reiner Software und dem Vertrieb elektronischer Werke. Auch die Annahme, dass Letztere zumindest teilweise auch aus Software bestehen, darf nach Ansicht des Gerichtshofs nicht gleich dazu führen, dass die für einfache Computeranwendungen geltenden „lascheren“ Regelungen zur Anwendung kommen.

Die Entscheidung dürfte künftig auch für den Vertrieb anderer elektronischer Werke, wie beispielsweise Hörbücher oder Computerspiele, von Bedeutung sein. Sie stellt also eine wichtige Klarstellung zum Urheberrechtsschutz beim digitalen Werkvertrieb dar.

Das Urteil im Volltext.

, Telemedicus v. 13.05.2020, https://tlmd.in/a/3496

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