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Für die ARD in Karlsruhe: Interview mit Frank Bräutigam

Dr. Frank Bräutigam
Foto: Alle Rechte vorbehalten

Heute tritt Frank Bräutigam seinen Dienst als neuer Rechtsexperte der ARD in Karlsruhe an. In der wichtigsten Nachrichtensendung Deutschlands muss der 35jährige nun komplizierte seitenlange Urteile auf wenige Sätze herunterbrechen. Im Interview mit Telemedicus erklärt der promovierte Jurist, warum er sich nicht nur als Übersetzer des Rechts sieht, welche Themen er heikel findet – und warum er auf seinem Gang nach Karlsruhe viele Nachtschichten einlegen musste.

Herr Bräutigam, Sie sind Nachfolger der Journalistenlegende Karl-Dieter Möller, werden Leiter der Abteilung Recht und Justiz des SWR. Haben Sie in den letzten Tagen und Wochen einmal ein Gespräch geführt, in dem nicht die Redensart von den „Fußstapfen“ bemüht wurde?

Die kamen als Metapher in fast jedem Gespräch vor, auch bei der Verabschiedungsfeier von Herrn Möller in Karlsruhe. Es sind tatsächlich sehr große Fußstapfen. Von Karl-Dieter Möller kann man unglaublich viel lernen, ich habe drei Jahre in der Redaktion gearbeitet, nicht nur im „ARD-Ratgeber Recht“, sondern auch für alle aktuellen Sendungen von ARD und SWR, die Tagesschau und die Tagesthemen. Ich kenne also das Geschäft, jetzt ist das aber schon der Schritt an die vorderste Front, raus in den Wind. Vielleicht kann ich ja etwas neben die Fußstapfen treten, so dass man auch eigene Akzente setzt.

Zum Beispiel?

Es geht immer weiter um Verständlichkeit und das was die Bürger betrifft. Mit grafischen Darstellungen kann man noch viel mehr arbeiten als bisher, da möchte ich viel ausprobieren. Fördern möchte ich auch live-Übertragungen von Urteilen aus dem Bundesverfassungsgericht. Das hat zum Beispiel bei der Pendlerpauschale oder dem Rauchverbot ziemlich gut geklappt.

Auf der Abschiedsfeier für Herrn Möller am Donnerstag hat der SWR-Intendant Peter Boudgoust Möller in seiner Rede als „journalistischen Übersetzer und Verständlich-Macher“ beschrieben, als „Journalist im Namen des Volkes“. Sehen Sie Ihre Rolle auch so?

Das ist unsere Hauptaufgabe, wir machen ja Programm für Jedermann. Aber wir sind nicht nur Übersetzer – dann wären wir ja die verlängerte Hand der Justiz. Wir müssen auch erklären, was ein Urteil genau für dein einzelnen Zuschauer bedeutet. Das steht ja so in den Urteilen nicht immer drin.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, will den Gerichtssaal sogar ganz für Aufnahmen freigeben. Ist das wünschenswert?

Er hat das nur auf die mündlichen Verhandlungen im Bundesverfassungsgericht bezogen. Das halte ich für eine gute Möglichkeit. Wir haben beim SWR sehr gute Erfahrungen mit Live-Übertragungen der Schlichtung im Fall Stuttgart 21 gemacht. Die Einschaltquoten sind da enorm.

Ein erstaunliches Interesse am Recht!

In den großen Fällen schon. Ich sehe aber nicht die Möglichkeit, auch das einfache Gericht oder gar das Strafgericht für Medien zu öffnen. Es liegt mir zwar sehr am Herzen, ein reales Bild der Justiz zu vermitteln – die fiktionalen Serien stellen es doch recht verzerrt dar. Doch die Schutzinteressen gerade bei Strafprozessen sind im Zweifel größer.

Wieviel Zeit haben Sie gewöhnlich, um ein Urteil zu erklären?

Es gibt da den alten Journalistenspruch: „Und bist du noch so fleißig, du hast halt nur 1:30“ – das ist die klassische Länge für einen Beitrag in der Tagesschau, in den Tagesthemen sind es zweieinhalb bis drei Minuten. So kann man manchmal die Gelegenheit nutzen, die Beteiligten vor die Kamera zu bekommen. Da wird dann das als trocken verschrieene Recht lebendig.

Urteile von Bundesgerichten sind selten trivial, bisweilen hochkomplex. Wie pressen Sie seitenlange Abwägungen und die oft zahllosen, über die Instanzen entwickelte Argumente in so wenig Zeit?

Ganz wichtig sind kurze Sätze. Wenig Nebensätze und kein Nominalstil – der klingt steif und holprig. Das gilt ja auch für die Schriftsprache. Aber die Kürze ist eben im Fernsehen doch besonders wichtig, weil der Zuschauer nur eine Chance hat, es zu verstehen. Die Zeitung kann ich immer nochmal aufschlagen oder nochmal hochspringen.

Karl-Dieter Möller hat komplizierte Passagen an nichtjuristischen Kollegen „getestet“…

…bei mir ist das ganz oft der Cutter. Das ist der Techniker, oft die Technikerin, die einem hilft, die Bilder zusammenzuschneiden. Man sitzt zusammen am Schnittplatz, hat die Bilder auf dem Server und gibt dann die Wünsche weiter, wie der Beitrag beginnen soll, wann welcher O-Ton kommt und so weiter. Wenn die Cutter dann zwischendurch sagen „das verstehe ich nicht“ dann ist das zumindest schonmal ein Hinweis zu hinterfragen, ob das allgemeinverständlich ist.

Gibt es Themen, die für Sie besonders heikel sind? Etwa weil sie kompliziert sind oder gern falsch verstanden werden?

Nicht ganz einfach sind Fälle wie der Kachelmann-Prozess. Wenn es um persönliche Verfehlungen geht, fragt sich, wie man in seriösen Nachrichtensendungen damit umgeht. Die „Tagesschau“ ist da sehr zurückhaltend gewesen – sehr zu recht, wie ich finde. Stets sehr schwer zu vermitteln sind außerdem Europa-Themen, etwa das Lissabon-Urteil. Das ist hochkompliziert. Wir berichten natürlich gern darüber und müssen das auch. Aber was bedeutet das jetzt eigentlich für mich als Bürger, wenn das Gericht sagt, wir müssen die Übertragung von Zuständigkeiten erweitern oder dürfen das eben nicht?

Sie haben den Fernsehpreis des Deutschen Anwaltvereins für datenschutzrechtliche Beiträge in den Tagesthemen, der Tagesschau und dem ARD-Mittagsmagazin erhalten. Karlsruhe hat kürzlich die deutsche Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung verworfen, die deutschen Regelungen sogar für nichtig erklärt. Ein gutes Urteil?

Es ist ein typisches Karlsruher Urteil: Im Prinzip geht es, aber so wie es bisher geregelt wurde, ging es zu weit. Die Politik hat nun genaue Vorgaben aus Karlsruhe erhalten, wie man es in engen Grenzen machen könnte.

Die vergangenen Monate beherrschte das Datenschutzrecht die juristischen Nachrichten, auch im Hinblick auf private Akteure, etwa Street View. Deutschland scheint oft besonders auf den Datenschutz zu achten. Haben die Menschen hier besonders große Angst um ihre Daten? Oder sind wir sogar noch zu entspannt?

Ich kann eine gewisse Skepsis verstehen, da der Bürger ja im Grunde keine Möglichkeit hat nachzuvollziehen, was mit den Daten passieren kann. In Gesprächen stelle ich aber oft fest, dass Leute Dinge sagen wie „wenn’s der Sicherheit dient“ oder ganz klassisch „ich habe nichts zu verbergen“ – das höre ich immer wieder.

Bei Facebook und Street View geht es ja nun weniger um Sicherheit, sondern eher um reinen Komfort.

Ja, da geht es um Komfort. Wenn man sich ansieht, wie viele Leute bei Facebook mitmachen, bin ich eher skeptisch, ob den Leuten bewusst ist, was mit den Daten passieren kann.

Sie sind Volljurist und zudem noch promoviert. Ein langer Weg für einen Journalisten – warum haben Sie das auf sich genommen?

Ich hatte nach dem ersten Staatsexamen Wartezeit. Ich bin auf das Thema (Grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Kommunen zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz, Anm. d. Red.) selbst gestoßen, es interessierte mich auch persönlich, weil ich in Frankreich ein Jahr studiert habe. Ich habe weiterhin nebenbei für Zeitungen geschrieben. Es hat natürlich nicht geklappt, die Promotion in diesem Jahr fertigzustellen. Das hat sich dann noch sehr lang hingezogen und ich habe es erst im Berufsleben und mit vielen Nachtschichten geschafft, die Doktorarbeit abzuschließen.

Wie kam es, dass Sie sich letztlich doch gegen die Welt der Fristen und Schriftsätze entschieden haben?

Ich wollte relativ früh Journalist werden, so seit der letzten Drittelphase des Gymnasiums. Ich habe dann ein Praktikum bei der Aachener Zeitung gemacht und habe das dann während des Studiums fortgesetzt in Freiburg bei der Badischen Zeitung. Als Student wird man dann schnell in den Gerichtssaal geschickt – da heißt es dann: Du studierst das doch, geh da mal hin. Nach dem ersten Examen habe ich dann fürs Fernsehen gearbeitet, ein Praktikum beim ZDF in Brüssel gemacht. Die Referendarzeit habe ich genutzt, um die Wahlstation beim ZDF und bei der ARD zu absolvieren. Man muss ja einen Volljuristen als Ausbilder haben – dann geht das.

Vermissen Sie manchmal die Printmedien?

Gelegentlich schreibe ich einen Gastkommentar, etwa für den „Journalist“, oder einen Gastbeitrag für die Neue Juristische Wochenschrift. Sowas ist immer mal eine nette Abwechslung, die ich auch sehr gerne wahrnehme. Ich vemisse manchmal den Platz, den man beim Schreiben hat. Es wäre schön, einmal 80 Zeilen zu haben für einen Bericht oder einen Kommentar. Das sind Welten, die im Fernsehen gar nicht bekannt sind.

Viele junge Leute, auch viele Jurastudenten, wollen „was mit Medien machen”. Die Jobs sind jedoch rar gesät, die Printmedien befinden sich in einer strukturellen Krise. Was raten Sie dem Nachwuchs?

Wenn man es wirklich machen will und überzeugt ist, das man das einigermaßen gut kann, sollte man sich nicht davon abhalten lassen, dass die Lage schlecht ist – auch wenn es stimmt. Aber man muss Praxiserfahrung sammeln! Sonst hat man keine Chance. Gerade neben dem Jurastudium ist das nicht einfach, weil man unglaublichen Anforderungen durch Klausuren und Hausarbeiten ausgesetzt ist. Aber in den Medien wird überall gefragt: „Was hast du denn schonmal gemacht?“ Und dann sollte man zumindest mal einen Artikel aus der gedruckten Lokalzeitung in der Hand halten können.

Herr Bräutigam, vielen Dank für das Gespräch.

, Telemedicus v. 01.12.2010, https://tlmd.in/a/1904

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