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Freifunk: Internet ist Grundversorgung, auch in Flüchtlingsheimen

Der Zugang zum Internet ist „Menschenrecht und kein Luxus”, meinen die Freifunker. Ein Interview zu offenen Netzen in Flüchtlingsheimen – und zu Vorschaltseiten in einem künftigen WLAN-Gesetz.

„Wir können schnell und unbürokratisch helfen”

Telemedicus: Ihr helft dabei, Flüchtlingsunterkünfte mit freien und offenen Internetzugängen zu versorgen. Füllt der Freifunk eine Lücke, für die eigentlich der Staat zuständig ist?

Freifunk: Es ist in der Tat Aufgabe der öffentlichen Hand, für alle Menschen eine entsprechende Grundversorgung bereitzustellen. In Berlin zum Beispiel gehört ein Internetzugang zu einer zwingenden Anforderung an eine Unterkunft. Leider ist das in vielen anderen Bundesländern nicht der Fall. Es gibt bei der Bereitstellung von Unterkünften oft andere wichtige Dinge, die zuerst erledigt werden müssen.

Während jedenfalls viele andere Anbieter noch in der Planungsphase stecken, waren wir in der Lage, schnell und unbürokratisch zu helfen – und zwar durch die dezentralen und selbstorganisierenden Netze, die wir schon seit beinahe 15 Jahren erforschen und nutzen.

Telemedicus: Welche Erfahrungen macht Ihr mit Behörden und Betreibern von Unterkünften? Ist Freifunk ein willkommenes Projekt?

Freifunk: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Es gibt viele Behörden und Einrichtungen, die unsere Unterstützung dankend annehmen, uns aktiv unterstützen oder sich selbst bei uns melden. Aber es gibt leider auch Fälle, in denen diese digitale Flüchtlingshilfe von Einrichtungen oder Behörden gebremst oder sogar verhindert wird.

Telemedicus: Wie kommt ein Freifunknetz in ein Flüchtlingsheim?

Freifunk: Das hängt ganz von der Situation vor Ort ab. Wenn die Betreiber kooperieren, kann das Netz direkt in den Gebäuden aufgebaut werden. Falls ein Internetanschluss in der Unterkunft bereitsteht und genutzt werden darf, kann eine Verbindung zügig hergestellt werden. Ist in der Unterkunft keine Internetverbindung verfügbar, versuchen wir, das Netz mit Richtfunkverbindungen über unsere eigenen Backbones oder von Anwohnerinnen im Umfeld aufzubauen.

Telemedicus: Wurde schon einmal das Sperren von Inhalten oder irgendeine eine Art Zensur von Euch gefordert?

Freifunk: Diese Forderungen sind schon an uns herangetragen worden. Mal verlangte man Jugendschutzfilter oder forderte, die Zugangspunkte zu bestimmten Zeitpunkten abzuschalten. Beides lehnen wir ab. Denn Freifunk steht für einen freien Zugang zum Netz – da sind solche Maßnahmen mit unseren Überzeugungen nicht vereinbar.

„Wir binden Geflüchtete in den Aufbau freier Netze ein”

Telemedicus: Kommt Ihr auch mit Flüchtlingen persönlich in Kontakt, leistet Ihr Support? Oder ist Eure Arbeit getan, sobald ein Zugangspunkt steht?

Freifunk: Wir binden Geflüchtete in den Aufbau ein, sofern dies möglich ist. Wir organisieren Workshops, um den Geflüchteten zu ermöglichen, selbst Freifunk Netzwerke aufzubauen und zu warten. In vielen Unterkünften gibt es Hilfe von den jeweiligen Unterstützerkreisen.

Telemedicus: Wie kann man sich am eigenen Wohnort konkret beteiligen?

Freifunk: In vielen Städten und Unterkünften gibt es Unterstützerkreise, die an vielen Stellen Hilfe leisten und bestens Bescheid wissen, was getan werden kann und muss. Unter community.freifunk.net finden Interessierte Kontakt zur Freifunk-Gruppe in ihrer Nähe. „Local is the new social”.

Telemedicus: Sehr Ihr Euch hier eigentlich in Konkurrenz zu kommerziellen Hotspot-Dienstleistern?

Freifunk: Nein, wir sehen kommerzielle Anbieter generell nicht als Konkurrenz. Im Ehrenamt ist es uns nicht möglich, Servicezeiten anzubieten oder Dienste zu garantieren. Eher sehen wir uns in einer sinnvollen Koexistenz. Freifunk springt häufig da ein, wo der Markt versagt: im öffentlichen Raum, auf dem Land oder in sozialen Einrichtungen. Hier beraten und ermächtigen wir Menschen und Organisationen, selbst eine Infrastruktur aufzubauen.

Allerdings sehen wir es äußerst ungern, wenn unser ehrenamtliches Engagement behindert wird, weil beispielsweise Betreiber von Unterkünften auf den von Unternehmen versprochenen kostenlosen Internetzugang für Geflüchtete hoffen, der dann aber schleppend, gar nicht oder doch kostenpflichtig umgesetzt wird. Wir haben mehrmals versucht Kontakt mit Telekommunikationskonzernen bzgl. der Koordination solcher Aktionen aufzunehmen, bislang mit bescheidenem Erfolg. Tatsächlich kommt hier und da Unterstützung von eher lokalen Netzbetreibern, deren Geschäftsmodell häufig anders gelagert ist.

Neues Gesetz, neue Zugangshürden?

Telemedicus: Kommen wir zur aktuellen Rechtspolitik rund um freies WLAN. Die Große Koalition streitet über das Thema Hotspots nun schon seit Monaten. Herauskommen könnte eine Reform des TMG, die WLAN-Hotspots mit Internetserviceprovidern haftungsrechtlich gleichstellt – und sie von der Störerhaftung ausnimmt. Hätte die Novelle auch Folgen für den Freifunk?

Freifunk: Ja, natürlich! Seit dem letzten Entwurf und vielen Statements von Freifunk und vielen Wirtschaftsverbänden hat sich bereits einiges getan, aber noch immer nicht genug. Bedingungen wie eine Rechtstreueerklärung gehen aber am vereinbarten gesetzgeberischen Ziel vorbei, weil sie Zugangshürden auf- statt abbauen.

Telemedicus: Ihr kritisiert den Plan, dass Vorschaltseiten zur Pflicht werden könnten. Auf solchen Seiten müssten Nutzer erklären, sich rechtskonform zu verhalten. Zumindest technisch dürfte das doch nicht so aufwendig sein: Sollte das Gesetz so kommen, werden Routerhersteller solche Captive Portals wohl bald standardmäßig mitliefern. Was wäre denn problematisch an der Vorschaltseite?

Freifunk: Halt, der Entwurf spricht eben nicht explizit von einer Vorschaltseite, sondern von einer Rechtstreueerklärung. Wie die auszusehen hat, ist eben nicht definiert. Eines der vielen Beispiele für die Rechtsunsicherheit, die auch nach diesem Entwurf beim Betrieb offener WLANs herrscht. Wenn man darunter eine Vorschaltseite verstehen will, zwingt uns eine solche Seite, Daten zu speichern, die wir gar nicht haben wollen. Zudem müssten wir Netzwerkverkehr zumindest temporär umleiten.

Andererseits würde eine sogenannte Splashseite perspektivisch nicht mehr funktionieren, denn immer mehr Seiten nutzen https-Verbindungen. Diese verschlüsselten Verbindungen kann man nicht aufbrechen, ohne dass Benutzer Fehlermeldungen und Anzeigen zu möglicherweise unsicheren Verbindungen bekommen.

Die Konsequenzen einer solchen Vorschaltseite sind also kaum absehbar. Abgesehen davon gibt es auch ganz praktische Gründe dagegen: Neben dem technischen Aufwand, zu dem wir gezwungen wären, müsste die Rechtstreueerklärung in sehr vielen Sprachen verfügbar sein.

Nach jahrelanger Öffentlichkeitsarbeit haben wir kürzlich eine Petition gestartet, um dem Thema nochmals Nachdruck zu verleihen.

Danke für das Gespräch!

Freifunk ist eine nichtkommerzielle Initiative, die sich dem Aufbau und dem Betrieb eines freien, dezentralen und diskriminierungsfreien Funknetzes widmet. Jede Privatperson kann zu Hause einen Freifunk-Router aufstellen.

, Telemedicus v. 08.04.2016, https://tlmd.in/a/3077

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