Der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag wird höchstwahrscheinlich morgen in NRW (und eventuell auch in Schleswig-Holstein) wider alle Erwartungen abgelehnt werden. Welche rechtlichen Folgen ergeben sich daraus?
Zunächst: Der neue JMStV ist gescheitert. Einen Neuanlauf wird es in der aktuellen Form nicht geben. So steht es in Art. 4 Abs. 2 des Änderungsvertrags:
Dieser Staatsvertrag tritt am 1. Januar 2011 in Kraft. Sind bis zum 31. Dezember 2010 nicht alle Ratifikationsurkunden bei der Staatskanzlei des Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz hinterlegt, wird der Staatsvertrag gegenstandslos.
Damit bleibt es beim alten JMStV, wie er schon seit 2003 gilt. Sein Wortlaut ist an verschiedenen Stellen im Internet verfügbar. Das Scheitern des neuen JMStV bedeutet für Blogger und Webseitenbetreiber keinesfalls eine Entlastung.
Die geltende Rechtslage im Kurz-Überblick
Eine spürbare Besserstellung dürfte allerdings sein, dass die Grenze des Trennungsgebots im alten Recht noch 14 Jahre beträgt. So ergibt es sich aus § 5 Abs. 5 JMStV:
Ist eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung im Sinne von Absatz 1 nur auf Kinder zu befürchten, erfüllt der Anbieter von Telemedien seine Verpflichtung nach Absatz 1, wenn das Angebot getrennt von für Kinder bestimmten Angeboten verbreitet wird oder abrufbar ist.
Die Altersgrenze von 14 folgt aus der Legaldefinition des Begriffs „Kind” in § 3 Abs. 1 JMStV.
Wer Inhalte auf der Webseite hat, die über-14-Jährige beeinträchtigend könnten, den trifft ein ähnliches Pflichtenprogramm wie auch im neuen JMStV. Er hat drei Möglichkeiten, von denen eine aber durchaus zweifelhaft ist.
Erste Möglichkeit: Sendezeiten
Nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 5 Abs. 4 JMStV haben auch Internetmedien die Möglichkeit, Sendezeiten einzuführen:
(3) Der Anbieter kann seiner Pflicht aus Absatz 1 dadurch entsprechen, dass er (…) 2. die Zeit, in der die Angebote verbreitet oder zugänglich gemacht werden, so wählt, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe üblicherweise die Angebote nicht wahrnehmen.
(4) Ist eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung im Sinne von Absatz 1 auf Kinder oder Jugendliche anzunehmen, erfüllt der Anbieter seine Verpflichtung nach Absatz 1, wenn das Angebot nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr verbreitet oder zugänglich gemacht wird. Gleiches gilt, wenn eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung auf Kinder oder Jugendliche unter 16 Jahren zu befürchten ist, wenn das Angebot nur zwischen 22 Uhr und 6 Uhr verbreitet oder zugänglich gemacht wird. (…)
Zweite Möglichkeit: Technische Schutzmaßnahmen
Parallel besteht die Möglichkeit, ein Alterskontrollsystem gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV einführen:
(3) Der Anbieter kann seiner Pflicht aus Absatz 1 dadurch entsprechen, dass er 1. durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe unmöglich macht oder wesentlich erschwert (…).
Hier reichen einfache Schutzmaßnahmen wie das Vorschalten einer Kreditkartenzahlung.
Dritte Möglichkeit: Technische Kennzeichnung
Zuletzt hat ein Anbieter die Möglichkeit, sein Angebot für ein Jugendschutzprogramm zu „labeln”, § 5 Abs. 3 Nr. 1, § 11 Abs. 1 JMStV.
(1) Der Anbieter von Telemedien kann den Anforderungen nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 dadurch genügen, dass Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen, für ein als geeignet anerkanntes Jugendschutzprogramm programmiert werden oder dass es ihnen vorgeschaltet wird.
Auch hier stellt sich das Problem, dass ein solches Programm noch gar nicht existiert – und somit fraglich ist, ob eine solche Kennzeichnung überhaupt zur Erfüllung der Jugendschutzpflicht ausreicht. Im Unterschied zur gescheiterten neuen Version des JMStV droht Webseitenbetreibern, die nur die technische Altersklassifikation einfügen und sonst nichts weiter unternehmen, sogar ein Bußgeld (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV).
Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten
Nach § 7 Abs. 1 S. 2 JMStV müssen „geschäftsmäßige” Anbieter von Telemedien einen Jugendschutzbeauftragten bestellen.
Wer länderübergreifendes Fernsehen veranstaltet, hat einen Jugendschutzbeauftragten zu bestellen. Gleiches gilt für geschäftsmäßige Anbieter von allgemein zugänglichen Telemedien, die entwicklungsbeeinträchtigende oder jugendgefährdende Inhalte enthalten, sowie für Anbieter von Suchmaschinen.
Im Unterschied zur neuen Fassung des JMStV muss der Jugendschutzbeauftragte jedoch nicht im Impressum genannt werden.
Zusammenfassung
Die Rechtsstellung der Webseitenbetreiber ist im aktuellen Recht, bei dem es nun bleibt, ähnlich schlecht wie im neuen. Ähnlich wie der neue JMStV verlangt auch das geltende Recht von Webseitenbetreibern mit entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten derart strenge Schutzmaßnahmen, dass diese ihre Angebote genauso gut schließen könnten. Es dürfte genau dies der Grund sein, aus dem der alte JMStV in der täglichen Praxis des Internetrechts praktisch keine Bedeutung erlangt hat. Die „Regulierung” des Internets hinsichtlich Jugendschutz erfolgte fast vollständig durch die informellen Maßnahmen der Stelle Jugendschutz.net, echte Zwangsmaßnahmen hat die KJM kaum eingesetzt.
In einer sehr trotzig klingenden Pressemitteilung der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz kündigt der Ministerpräsident Kurt Beck zwar anderes an:
„Falls die Novellierung scheitert, wird der Weg der koregulierten Selbstregulierung nicht weiter beschritten, so dass die staatliche Regulierung von oben Platz greifen wird. Basierend auf den derzeitigen rechtlichen Grundlagen werden die Jugendschutzbehörden Sperrverfügungen erlassen. Wenn das das ausgemachte Ziel der CDU in Nordrhein-Westfalen ist, sollten sie an ihrer Linie festhalten“, erklärte der Vorsitzende der Rundfunkkommission.
Das dürfte allerdings – neben diversen anderen logischen Brüchen in dieser Äußerung – eine leere Drohung sein. Zwar existieren in der Tat Aufsichtsmöglichkeiten wie die Möglichkeit, die Sperrung von Webseiten zu verhängen. Allerdings ist die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz gegenüber den „Jugendschutzbehörden”, namentlich der KJM, nicht weisungsberechtigt (§ 14 Abs. 6 S. 1 JMStV). Und selbst dann, wenn die KJM nun in größerem Ausmaß gegenüber Internet-Medien aktiv würde, beständen hier enge rechtliche Grenzen. So wäre z.B. nach der Verfassungsmäßigkeit dieser Handlungen zu fragen; insbesondere bezüglich einer Selbstbindung der Verwaltung nach Art. 3 GG und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Insgesamt bleibt es also bei dem Dilemma der Webseitenbetreiber. Ob er das Risiko eingehen will, sich gegen geltendes Recht zu stellen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Jedenfalls ist nun eine neue Reform dringend nötig und sollte ohne weiteres Zögern angegangen werden.