Der BGH hat heute dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, nach welchen Regeln sich der Schutz technischer Maßnahmen bei Videospielen richtet. Ein juristisch hoch-brisanter Bereich, der in den nächsten Monaten und Jahren möglicherweise nicht nur für juristische Diskussionen, sondern auch für weitreichende Änderungen auf dem Markt von Video- und Computerspielen führen könnte.
In dem Fall vor dem BGH geht es um die portable Spielekonsole Nintendo-DS. Spiele für Nintendo-DS werden nur auf speziellen Speicherkarten verkauft, die einerseits nur Nintendo anbietet und die andererseits nur die Nintendo-Konsole lesen kann. Der Effekt: Spiele können nicht ohne Weiteres kopiert werden.
Ein deutsches Unternehmen bot nun sog. „Slot-1-Karten” an – Adapter, mit deren Hilfe man auch normale SD-Karten auf dem Nintendo-DS benutzen kann. Damit ist es zum Beispiel möglich, die Konsole mit eigener Software zum MP3-Player umzufunktionieren. Oder aber: Illegal Spiele zu kopieren.
Nintendo sah im Vertrieb dieser „Slot-1-Karten” einen Verstoß gegen § 95a Abs. 3 UrhG. Der Adapter stellt aus Sicht von Nintendo also eine Vorrichtung dar, die hauptsächlich die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen ermöglichen soll. Vor dem Landgericht München hatte Nintendo Erfolg (Az. 21 O 22196/08) und auch das Oberlandesgericht München folgte der Argumentation (Az. 6 U 5037/09).
Der BGH hat das Verfahren nun ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob § 95a Abs. 3 UrhG hier anwendbar ist. Dabei stellte sich dem BGH nämlich folgendes Problem:
Der urheberrechtliche Schutz von Computerprogrammen richtet sich nach den §§ 69a ff. UrhG. Die §§ 95a ff. UrhG betreffen dagegen technische Schutzmaßnahmen bei anderen digitalen Medien – zum Beispiel DRM bei Musik oder Filmen. Auf Computerprogramme sind die §§ 95a ff. UrhG jedoch nicht anwendbar, wie sich aus § 69a Abs. 5 UrhG ergibt. Die Vorschriften sind gleichzeitig auch auf verschiedene EU-Richtlinien zurückzuführen: Der Schutz von DRM auf die InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG, der Software-Schutz auf die Richtlinie zum Schutz von Computerprogrammen 2009/24/EG.
Es stellt sich also die Frage: Was gilt nun bei Videospielen, die zwar Computerprogramme sind, aber auch andere Medientypen wie Musik und Videos enthalten? Aus der Pressemeldung des BGH:
„[…] § 69a Abs. 5 UrhG bestimmt unter anderem, dass die Regelung des § 95a Abs. 3 UrhG nicht auf Computerprogramme anwendbar ist. Die von den Klägerinnen vertriebenen Videospiele bestehen nicht nur aus Sprach-, Musik-, Lichtbild- und Filmwerken; vielmehr liegen ihnen auch Computerprogramme zugrunde.
Deshalb stellt sich die Frage, ob sich der Schutz von Maßnahmen zum Schutz solcher „hybriden Produkte“ wie insbesondere Videospiele nach den speziell für Computerprogramme oder nach den allgemein für Werke geltenden Bestimmungen richtet oder ob sowohl die einen wie auch die anderen Bestimmungen anwendbar sind. Da diese Frage die Auslegung des Unionsrechts betrifft, hat der BGH sie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.”
Der BGH ebnet mit dieser Vorlage dem EuGH den Weg, sich genauer mit technischen Schutzmaßnahmen bei Videospielen zu befassen. Das könnte ausgesprochen spannend werden. Denn technische Schutzmaßnahmen bei Software sind seit der UsedSoft-Entscheidung des EuGH vom vergangenen Jahr ein ganz heißes Thema. Damals hatte der EuGH einerseits den Weiterverkauf von Software in sehr weitem Rahmen für zulässig erklärt. Andererseits hatte er betont, dass es Softwareherstellern freisteht, die Mehrfachinstallation ihrer Software durch technische Schutzmaßnahmen zu unterbinden.
Offen ist seitdem jedoch, wo genau die Grenze zwischen berechtigtem Schutz vor illegalen Doppelinstallationen und unzulässiger Einschränkung des Weiterverkaufs liegt. So ist zum Beispiel vollkommen unklar, wie in diesem Zusammenhang die „Half Life 2”-Entscheidung des BGH einzuordnen ist. Danach soll der Weiterverkauf von Computerspielen nämlich dadurch eingeschränkt werden dürfen, dass man die Benutzung eines Spiels an einen nicht-übertragbaren Benutzer-Account koppelt.
Die Lage ist also ausgesprochen kompliziert. Und zu dieser ohnehin schon schwierigen Diskussion kommt nun auch noch ein weiterer Aspekt hinzu: Das Verhältnis zwischen dem urheberrechtlichen Schutz von Software und technischen Schutzmaßnahmen im Sinne der § 95a ff. UrhG.
Für Softwarehersteller stehen also sowohl schwere, als auch spannende Zeiten bevor. Einerseits könnte die Rechtslage unsicherer kaum sein, andererseits besteht sowohl Raum, als auch Bedarf für neue, innovative Ansätze.
Zur Pressemeldung des BGH.
Ausführlich zu den Hintergründen der Slot-1-Karten bei golem.de.
In der kommenden Ausgabe der Computer und Recht erscheint ein Artikel von Georg Meyer-Spasche, Dr. Marc Störing und mir zu den technischen Schutzmaßnahmen bei Windows 8.
Weitere Details zu den technischen Möglichkeiten beim Schutz von Software: Hoppen, CR 2013, 9.