Der Europäische Gerichtshof hat die Frage entschieden, ob im Falle des Widerrufs eines Fernabsatzvertrages auch die Versandkosten für die Lieferung („Hinsendekosten”) zu erstatten sind (Urteil vom 15.4.2010 Az. C-511/08). Die Entscheidung des EuGH geht auf einen Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs von Oktober 2008 zurück.
Der EuGH ist der Ansicht, dass der Verkäufer in einem im Fernabsatz abgeschlossenen Vertrag dem Verbraucher die Kosten der Zusendung der Ware nicht auferlegen darf, wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt.
Der Fall
Ein im Versandhandel tätiges Unternehmen hatte in seinen AGB bestimmt, dass der Verbraucher einen pauschalen Betrag für die Versandkosten zu tragen habe. Im Fall eines Widerrufs sollte dieser Versandkostenanteil nicht erstattet werden. Hiergegen erhob ein Verbraucherverband Unterlassungsklage.
Auf die eingelegte Revision stellte der BGH fest, dass es nach deutschem Recht keinen ausdrücklichen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Zusendung der bestellten Ware im Fall des Widerrufs gibt und legte diese Frage zur Auslegung der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG (PDF) dem EuGH vor.
Der Meinungsstand
Dreh- und Angelpunkt bei der Frage war der Kostenbegriff der Richtlinie. Es musste daher geklärt werden, ob die Lieferkosten unter den Begriff der Kosten im Sinne von Art. 6 der Richtlinie fallen. Dort heißt es:
„(1) Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluß im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. […]
(2) Übt der Verbraucher das Recht auf Widerruf gemäß diesem Artikel aus, so hat der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Die Erstattung hat so bald wie möglich in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen. […]”
Stellungnahme der deutschen Regierung
Die deutsche Regierung war in ihrer Stellungnahme der Meinung, dass der Kostenbegriff eng auszulegen ist. Demnach war sie der Ansicht, dass nur der Preis der Ware oder der Dienstleistung unter die Formulierung „geleistete Zahlungen” fällt – nicht aber die Versandkosten. Der Lieferer habe die Hinsendekosten deshalb nicht zu erstatten.
Stellungnahme des Generalanwalts
Generalanwalt Paolo Mengozzi sah das anders. Dem Verbraucher steht seiner Ansicht nach ein weitgehendes und unbedingtes Widerrufsrecht zu, das vorsieht, dass der Verbraucher den Vertrag „ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung” widerrufen kann. Das bedeutet, dass die Ausübung des Widerrufsrechts für den Verbraucher grundsätzlich keine negativen Folgen haben darf. Die einzige Ausnahme hiervon besteht laut Mengozzi darin, dass dem Verbraucher im Fall des Widerrufs die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Ware auferlegt werden dürfen. Die Formulierung „einzige Kosten“ verlangt nach Ansicht des Generalanwalts eine enge Auslegung.
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie sieht die Pflicht des Lieferers vor, die vom Verbraucher „geleisteten Zahlungen” im Fall des Widerrufs kostenlos zu erstatten. In Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, wonach die Ausübung des Widerrufs zu keiner finanziellen Belastung des Verbraucher führen darf, kommt der Generalanwalt zum Schluss, dass alle vom Verbraucher gezahlten Beträge vollständig zu erstatten sind. Der Lieferer darf daher keine Kosten einbehalten oder dem Verbraucher auferlegen.
Dieses Verbot soll auch dazu führen, dass das Widerrufsrecht mehr als nur ein formales Recht ist. Werden dem Verbraucher weitere Kosten im Fall des Widerrufs auferlegt, könnte dieser davon abgehalten werden von seinem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen. Genau dieses Recht soll Art. 6 der Richtlinie aber gewährleisten. Die Lieferkosten dürfen deshalb dem Verbraucher im Fall des Widerrufs nicht auferlegt werden.
Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH folgte nun in seiner Entscheidung der Empfehlung des Generalanwalts. Der Kostenbegriff „die einzigen Kosten“ in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der RL 97/7/EG erfordert nach Ansicht des EuGH eine enge Auslegung. Die Auferlegung der unmittelbaren Kosten der Rücksendung ist damit die einzige Ausnahme. Daraus ergibt sich nun, dass der Unternehmer dem Verbraucher alle im Zusammenhang mit dem Vertrag geleisteten Zahlungen zu erstatten hat.
Der EuGH ist der Ansicht, dass sich der Kostenbegriff daher nicht auf die Folgekosten beschränkt, die durch den Widerruf verursacht wurden. Vielmehr umfassen die Kosten sämtliche Kosten im Zusammenhang mit dem Abschluss, der Durchführung oder der Beendigung des Vertrags.
Das Verbot, dem Verbraucher im Falle des Widerrufs die durch den Vertrag entstandenen Kosten aufzuerlegen soll auch davor schützen, dass das Widerrufsrecht „mehr als ein bloß formales Recht“ ist. Würde der Verbraucher nämlich mit diesen Kosten belastet werden, dann bestünde die Gefahr, dass er von seinem Recht auf Widerruf des Vertrags Abstand nimmt. Die abschreckende Wirkung der Kostenüberwälzung wird auch nicht dadurch beseitigt, dass dem Verbraucher die Versandkosten schon vor dem Abschluss des Vertrags bekannt waren.
Der EuGH ist weiter der Ansicht, dass eine solche Belastung einer ausgewogenen Risikoverteilung bei Vertragsabschlüssen entgegensteht. Der Käufer trägt in aller Regel die Rücksendekosten, sodass dem Unternehmer die Erstattung der Hinsendekosten zugemutet werden kann.
Anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang, dass das deutsche Recht in § 357 Abs. 2 BGB in der sogenannten 40-Euro-Klausel die Übertragung der Rücksendekosten auf den Verbraucher ausschließt, wenn der Preis der Ware einen Betrag von 40 Euro übersteigt. Das Argument der ausgewogenen Risikoverteilung bei Abschluss von Fernabsatzverträgen läuft damit zumindest für das deutsche Recht ins Leere. Denn bei Waren, deren Preis 40 Euro übersteigt, trägt der Unternehmer sowohl die Hin-, als auch die Rücksendekosten.