Der Europäische Gerichtshof hat heute entschieden, dass Sperrverfügungen gegen Provider wegen Urheberrechtsverletzungen gegen das Europarecht verstoßen (Rs. C-70/10). Führen Netzsperren dazu, dass Providern faktisch eine Überwachungspflicht für sämtlichen Netzwerkverkehr auferlegt wird, sei dies eine Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit. Außerdem würden die Rechte der Kunden auf Schutz der Privatsphäre und freien Empfang von Informationen verletzt, so der EuGH.
Der Fall
Die belgische Verwertungsgesellschaft SABAM hatte im Jahr 2004 eine Sperrverfügung gegen den Provider Scarlet erwirkt. Dieser wurde gerichtlich verpflichtet, Urheberrechtsverletzungen über Peer-to-Peer-Netzwerke zu unterbinden. Der Fall ging durch die belgischen Instanzen, bis der Cour d’appel de Bruxelles dem EuGH die Frage vorlegte, ob solche Sperrverfügungen mit dem Europarecht vereinbar sind.
Die Entscheidung des EuGH
Heute entschied der EuGH, dass Sperrverfügungen in dieser Form europarechtswidrig sind. Dabei stützte er sich im Wesentlichen auf drei Argumente:
1. Die Verpflichtung, Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden, würde zu einer generellen Überwachungspflicht der Provider führen. Genau diese ist aber nach Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie (2000/31/EG) nicht vorgesehen:
„[…] ist festzustellen, dass die dem betroffenen Provider auferlegte Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, ihn verpflichten würde, eine aktive Überwachung sämtlicher Daten, die alle seine Kunden betreffen, vorzunehmen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen. Daraus folgt, dass diese Anordnung den Provider zu einer allgemeinen Überwachung verpflichten würde, die nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 verboten ist.”
2. Die Einrichtung eines solchen Filtersystems wäre unverhältnismäßig teuer. Diese Kosten den Providern aufzuerlegen, wäre eine Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit:
„Deshalb würde eine solche Anordnung zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit des Providers führen, da sie ihn verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf seine Kosten betriebenes Informatiksystem einzurichten, was im Übrigen gegen die Voraussetzungen nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 verstieße, wonach die Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein dürfen.”
3. Die Analyse des kompletten Internetverkehrs würde auch die Rechte der Kunden verletzen, speziell das Recht auf Schutz der Privatsphäre, aber auch das Recht auf freien Empfang von Informationen:
„Zum einen steht nämlich fest, dass die Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, eine systematische Prüfung aller Inhalte sowie die Sammlung und Identifizierung der IP-Adressen der Nutzer bedeuten würde, die die Sendung unzulässiger Inhalte in diesem Netz veranlasst haben, wobei es sich bei diesen Adressen um personenbezogene Daten handelt, da sie die genaue Identifizierung der Nutzer ermöglichen.
Zum anderen könnte diese Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil dieses System möglicherweise nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte.”
Konkret bezeichnet der EuGH damit solche Filtersysteme als unzulässig, die
Damit sind zwar nicht generell alle Filtersysteme unzulässig, der EuGH macht jedoch die Kriterien klar, an denen sich Sperrsysteme messen lassen müssen.
Die Entscheidung Rs. C-70/10 vom 24.11.2011 im Volltext.
Auch zu diesem Verfahren: Netzsperren und das Urheberrecht bei Telemedicus.
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