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EU-Kommission: Strategie zum geistigen Eigentum

Die EU-Kommission hat diese Woche ein „strategisches Konzept für Rechte des geistigen Eigentums” vorgelegt. Ganz wie es für die EU typisch ist, kombiniert das Papier sterbenslangweilige Bürokratie mit einigen Inhalten, die wirklich spannend sind. Wir versuchen, die wichtigsten Punkte herauszuarbeiten.
Das Papier ist eine „Mitteilung” der Kommission; das heißt, es hat keinerlei Rechtsqualität. Es dient nur der Zusammenarbeit mit anderen EU-Organen wie dem EU-Parlament – und natürlich dazu, die Öffentlichkeit auf dem Laufenden zu halten. Aus dem Papier lässt sich aber viel darüber lesen, was die Kommission, insbesondere die wichtige Abteilung für den Binnenmarkt und Dienstleistungen, in den nächsten Jahren so vorhat.

Licht am Horizont: Paneuropäische Lizenzen?

Das Thema paneuropäische Lizenzen ist ein Dauerbrenner. Im Immaterialgüterrecht werden Lizenzen traditonell (und auch aus rechtlichen Gründen) fast immer territorial begrenzt vergeben: Das heißt, ein Lizenznehmer erwirbt das Nutzungsrecht immer nur begrenzt für Deutschland, Frankreich oder andere abgegrenzte Gebiete. Das steht im Gegensatz zu der Idee des einheitlichen Binnenmarkts, die zu den wichtigsten Grundsätzen der EU gehört. Deswegen kracht es hier schon länger im Gebälk: Die EU hat beispielsweise 2008 Exklusivitätsregelungen für Verwertungsgesellschaften angegriffen und wirbt agressiv für paneuropäische Lizenzen; bisher aber nur in Form von Empfehlungen und Stellungnahmen. Vor dem EuGH ist derweil das Murphy-Verfahren anhängig, das das Immaterialgüterrecht in seinen Grundlagen verändern könnte: Wenn der EuGH so entscheidet, wie es die Generalanwältin vorgeschlagen hat, dann wird die territorial begrenzte Vergabe von Lizenzen an geistigem Eigentum unmöglich. Eine Entscheidung wird wohl noch 2011 ergehen.

In diesem Kontext kündigt nun auch die Kommission einmal mehr an, sich für paneuropäische Lizenzen einsetzen zu wollen:

Die Schaffung eines europäischen Rahmens für die Online-Lizenzierung von Urheberrechten würde das legale Angebot an geschützten kulturellen Produkten und Dienstleistungen in der gesamten EU erheblich stärken. Mit Hilfe moderner Lizenzierungstechnologien könnte ein breiteres Angebot an Online-Diensten grenzüberschreitend verfügbar gemacht werden oder könnten sogar Dienste geschaffen werden, die in ganz Europa abrufbar sind. Aus diesem Grund wird die Kommission 2011 Vorschläge zur Schaffung eines Rechtsrahmens für die gemeinsame Verwaltung von Urheberrechten vorlegen, der eine Mehrgebietslizenzierung sowie eine gesamteuropäische Lizenzierung ermöglicht. Zwar ist die Schwerpunktsetzung auf eine grenzu?bergreifende Verwaltung von Urheberrechten im Online- Umfeld mit Blick auf die Entwicklung eines digitalen Marktes fu?r kulturelle Produkte und Dienstleistungen von besonderer Bedeutung, doch sollte auch den Regelungsstrukturen anderer Formen gemeinsam verwalteter Rechte Beachtung geschenkt werden.

Angekündigt ist diese Initiative schon länger. Ursprünglich sollten die Vorschläge schon 2010 kommen, später waren dann März und Mai als Startpunkte genannt. Nunmehr geht es um die „zweite Jahreshälfte 2011”. Es bleibt abzuwarten, ob die Kommission dann nicht schon wieder neu anfangen muss, weil der Gerichtshof bereits auf Basis des Primärrechts Tatsachen geschaffen hat.

Für die Verwertungsgesellschaften interessant sein dürfte, was die Kommission zu „Rechtemaklern” vorschlägt:

Um die Entwicklung neuer Online-Dienste zu fördern, die einen größeren Anteil des weltweiten Angebots abdecken und einen größeren Anteil der europäischen Verbraucher erreichen, sollte der Rahmen die Einführung europäischer „Rechtemakler” zulassen, die in der Lage sind, den weltweiten Musikbestand auf Mehrgebietsebene zu lizenzieren und zu verwalten und gleichzeitig die Entwicklung der kulturellen Vielfalt in Europa zu gewährleisten.

Das entspricht dem Status Quo, zu dem die Verwertungsgesellschaften mittlerweile gefunden haben: Mittlerweile vergeben einige VGs notgedrungen auch europaweite Lizenzen für ausgewählte Unternehmen. Der Weg von der Verwertungsgesellschaft zum „Rechtemakler” – vielleicht ist er gar nicht mehr so lang.

Ein eigenes europäisches Urheberrecht

Die Kommission macht im Bereich des Urheberrechts noch eine zweite Ankündigung, die Sprengkraft hat: Sie will einen eigenen europäischen Urheberrechtstitel einführen. Ein solcher Titel würde alternativ zu den Schutzbestimmungen der Länder stehen, aber die gleichen (oder sogar bessere) Durchsetzungsrechte gewähren. Um diesen Titel herum soll ein „Urheberrechtskodex” entstehen. Ein solcher „Kodex” ist offenbar das europarechtliche Äquivalent zum „Gesetzbuch”.

Ein anderer Ansatz für eine weitergehende Überarbeitung der Urheberrechtsregelungen auf europäischer Ebene könnte die Entwicklung eines europäischen Urheberrechtskodex sein. Dieser könnte eine breit angelegte Kodifizierung des aktuellen Bestands an EU-Richtlinien im Bereich der Urheberrechte umfassen, um die Berechtigungen aufgrund des Urheberrechts und verwandter Regelungen auf EU-Ebene zu harmonisieren und zu konsolidieren. In diesem Kontext könnte auch geprüft werden, ob die derzeitigen Ausnahmen und Beschränkungen, die aufgrund der Richtlinie 2001/29/EG [Urheberrecht in der Informationsgesellschaft] gewährt wurden, auf EU-Ebene aktualisiert oder harmonisiert werden müssen. Ein Kodex könnte zur Klärung des Verhältnisses zwischen den verschiedenen ausschließlichen Rechten der Rechteinhaber und dem Umfang der Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf diese Rechte beitragen. Die Kommission wird auch die Möglichkeit der Schaffung eines wahlweisen „einheitlichen” Urheberrechtstitels auf der Grundlage von Artikel 118 AEUV und seine möglichen Auswirkungen für Binnenmarkt, Rechteinhaber und Verbraucher untersuchen. Zu diesen Fragen sind weitere Studien und Analysen erforderlich.

Art. 118 AEUV ist mit dem Vertrag von Lissabon in die EU-Verträge gekommen. Auf Basis dieser Norm kann die EU eigene Schutzbestimmungen für geistiges Eigentum erlassen. Was sich hier entwickeln wird, ist noch offen – aber man kann wohl davon ausgehen, dass die EU ihre Strategie, sich im Bereich des Urheberrechts in den Vordergrund zu drängen, fortsetzen wird. Eine der letzten Domänen der Nationalstaaten im Bereich des Immaterialgüterrechts – die Entscheidungshoheit darüber, was eigentlich geschützt wird – droht zu fallen. Für das deutsche Recht könnte das starke Änderungen bedeuten. Denn unser System unterscheidet sich in dieser Hinsicht deutlich von dem einiger anderer EU-Staaten.

Neue Schranken für das Mitmachnetz?

Das Immaterialgüterrecht wird schon seit einiger Zeit grundlegend kritisiert. Welchen Zweck verfolgt unsere Gesellschaft, wenn sie einzelnen Personen Monopolrechte zu Verwertung bestimmter Informationen verleiht? Wird dieser Zweck erfüllt? Die Kommission nimmt diesen Ansatz nicht auf, sondern macht deutlich, dass sie im Grundsatz an der Bedeutung von immaterialgüterrechtlichen Schutzrechten nicht zweifelt. Eins der zentralen Konfliktfelder zwischen dem Ansatz des Urheberrechts und den Problemen, die Menschen heutzutage damit haben, hat es aber auf die Agenda der Kommission geschafft: Der user generated content.

User generated content entsteht, wenn die Nutzer von Internetplattformen eigene Inhalte erstellen und diese der Plattform zur Verfügung stellen. Das kann für die Plattformen eine lukrative Einnahmequelle sein – für die Nutzer ist es allerdings manchmal ärgerlich, wenn ihre „unentgeltliche” Arbeit von anderen ausgebeutet wird. Ein zweites Problem: Die Nutzer halten sich nicht immer an das Urheberrecht, häufig kennen sie es nicht einmal. Die Abmahnwelle von „Marions Kochbuch” und die Folgen für diverse Rezept-Sammelseiten sind dem interessierten Leser bekannt.

Die Kommission will dieses Problem angehen:

[Es] zeigt sich immer deutlicher, dass Lösungen gefunden werden müssen, die Endnutzern die Verwendung urheberrechtlich geschützter Inhalte von Dritten in ihren eigenen Werken erleichtern und diese Verwendung für sie erschwinglich machen. Nutzer, die urheberrechtlich geschütztes Material in ihre eigenen Werke einbeziehen, die ins Internet hochgeladen werden, sind auf ein einfaches und effizientes Genehmigungssystem angewiesen. Das gilt besonders für „Amateur”-Nutzer, deren [Werke] nicht für gewerbliche Zwecke erstellt werden, denen jedoch Verfahren wegen Verstößen gegen Vorschriften drohen, wenn sie Material ohne die Zustimmung des Rechteinhabers hochladen. Die Zeit ist jetzt reif dafür, dass die Stärken des Urheberrechts so genutzt werden, dass es als verantwortlicher Mittler zwischen den Rechteinhabern und den Nutzern von Inhalten fungieren kann.

Dass der Kommission hier ein „großer Wurf” gelingen wird, kann bezweifelt werden. Der Konflikt zwischen den Ansätzen des Urheberrechts und der Digitalisierung der Gesellschaft ist ein grundsätzlicher. Er kann nicht gelöst werden, indem man einfach nur ein paar zusätzliche Schranken einführt.

Reform der Enforcement-Richtlinie

Anfang 2012 wird die Durchsetzungsrichtlinie evaluiert. Vermutlich wird bis zu diesem Zeitpunkt das ACTA-Abkommen ratifiziert sein, das dann in der Richtlinie umgesetzt wird. In ihrer aktuellen Ankündigung sagt die Kommission dazu nichts. Vielmehr macht die Kommission seltsamerweise eigentlich nur deutlich, was sie nicht machen will: Sie will lieber Löschen als Sperren, und sie will die Grundrechte der Nutzer beachten.

Die Kommission wird Wege für die Schaffung eines Rahmens aufzeigen, der insbesondere eine wirksamere Bekämpfung der Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums im Internet ermöglicht. Etwaige Änderungen der Richtlinie sollten darauf abzielen, gegen entsprechende Rechtsverletzungen an der Quelle vorzugehen und zu diesem Zweck die Zusammenarbeit von Intermediären wie Internetdiensteanbietern zu fördern, wobei die Vereinbarkeit mit den Zielen der Breitbandpolitik gewährleistet sein muss und die Interessen der Endverbraucher nicht in Frage gestellt werden dürfen. Die Kommission wird dafür Sorge tragen, dass bei entsprechenden Änderungen sämtliche durch die EU-Grundrechtecharta garantierten Rechte gewahrt bleiben, namentlich das Recht auf Achtung des Privatlebens, das Recht auf Schutz
personenbezogener Daten, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

Das Recht auf Schutz des geistigen Eigentums, das ebenfalls grundrechtlich gewährleistet ist, kommt im Text demgegenüber nicht vor, sondern wird nur in einer Fußnote erwähnt. Trotzdem wirkt die Kommunikation der Kommission an dieser Stelle so, als ob die Inanspruchnahme von Intermediären, also Access-Providern und Web-Plattformen, ein heißes Thema ist. Ob hier noch weitere Netzsperren oder ähnlich drakonische Maßnahmen auftauchen, bleibt abzuwarten.

Weitere Ankündigungen

Die Kommission kündigt auch noch weitere Punkte an, die von einiger Bedeutung sind. Das wären insbesondere:

• Die Kommission will den Schutz von Patenten und Marken verbessern und eine einheitliche Patentgerichtsbarkeit einführen.

• Die Kommission will den Entwurf einer Richtlinie zum Umgang mit verwaisten Werken präsentieren. Erste Schritte in dieser Richtung sind bereits erfolgt.

• Im zweiten Halbjahr 2011 soll ein Grünbuch „zu verschiedenen Aspekten der Online-Verbreitung audiovisueller Werke” erscheinen. Ein Grünbuch markiert einen frühen Schritt im Gesetzgebungsprozess; es wird also eventuell hierzu in den nächsten Jahren eine Richtlinie geben.

• Die Kommission will das Thema Zwangsabgaben im Urheberrecht unter die eigenen Fittiche nehmen: Ende des Jahres will sie hierzu einen eigenen Vermittler ernennen.

• Die Europäische Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie und das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) sollen zusammengelegt werden. Im Bereich der Bekämpfung von Piraterie soll die Beobachtungsstelle neue Kompetenzen bekommen. Echte Exekutivkompetenzen fehlen noch, aber das HABM rückt näher an den Status einer „europäischen Urheberrechtspolizei”.

• Die Kommission denkt darüber nach, den rechtlichen Schutz von Know-How und Geschäftsgeheimnissen vereinheitlichen. Die deutschen Regeln (§§ 17, 18 UWG) sind der Kommission bekannt und könnten als Vorbild dienen. Hier soll aber erst Ende 2012 näheres kommen.

• Eventuell sollen die Regeln zu den geschützten Herkunftsbezeichnungen auch auf nicht-landwirtschaftliche Erzeugnisse ausgeweitet werden. Neben die „Thüringer Rostbratwurst” könnte also bald das „Solinger Messer” treten. Hierzu gibt es im zweiten Halbjahr 2012 eine Durchführbarkeitsstudie.

Es wird also spannend bleiben im europäischen Immaterialgüterrecht.

Das Papier der Kommission: „Ein Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums.” (PDF)

Pressemitteilung der Kommission.

Unterseite auf den Webseiten der Kommission mit weiteren Informationen und Dokumenten zum Thema.

Kurz-Zusammenfassung auf Heise Online.

, Telemedicus v. 27.05.2011, https://tlmd.in/a/2011

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