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„Es kann nur besser werden“: Alternativen zum Urheberrecht

„Unangemessen und dysfunktional“, so beschreibt Dr. Till Kreutzer große Teile des aktuellen Urheberrechts. Doch das tun viele. Till Kreutzer aber geht deutlich weiter – er zeigt, wie es auch anders gehen kann. „Das Modell des deutschen Urheberrechts und Regelungsalternativen“ heißt seine Dissertation, die er Ende letzten Jahres veröffentlicht hat. Auf über 500 Seiten zerlegt er das deutsche Urheberrecht, um es anschließend nach eigenen Vorstellungen wieder zusammenzusetzen. Und das mit sehr interessanten und innovativen Ansätzen. Im Gespräch mit Telemedicus gibt er einen Überblick über seine wichtigsten Ideen.

Herr Kreutzer, was war Ihre Motivation, sich so ausführlich mit dem deutschen Urheberrecht zu beschäftigen?
Während meines Studiums habe ich mal ein Seminar zum Urheberrecht besucht. Und schon da haben mir einige Dinge im Urheberrecht nicht eingeleuchtet. Ich bin dann bald zu der Erkenntnis gekommen, dass im Urheberrecht eine ganze Menge nicht rund läuft und dass auch die Entwicklung sehr seltsam verläuft. Das waren zunächst nur vage Eingebungen, denen ich dann während meiner Dissertation genauer nachgehen konnte. Während dieser Arbeit habe ich auch Einblicke in die Gesetzgebungsprozesse bekommen, weil ich unter anderem bei den Körben mit dabei war und in den Arbeitsgruppen. Da habe ich viel gelernt, was ich in meiner Dissertation auch mit unterbringen konnte.

Wo sehen Sie die größten Schwächen im deutschen Urheberrecht?
Das Urheberrecht ist sehr stark auf den Urheber fokussiert. In seiner Konzeption ist es noch an Vorstellungen aus dem 19. Jahrhundert verhaftet und geht noch immer von dem Bild des einzelnen Künstlers aus, der Bilder malt oder Sinfonien komponiert. Das hat sich natürlich sehr stark verändert. Heutzutage werden massenhaft Alltagsschöpfungen kreiert, die gar nichts Persönliches mehr haben und an denen das Herz des Urhebers auch gar nicht mehr hängt. An diesen Werken werden oft auch Leistungen erbracht, die gar nicht kreativer oder schöpferischer Natur sind. Das wird durch das jetzige Urheberrecht nicht berücksichtigt. Außerdem werden die Nutzerinteressen und die Nutzerrechte völlig vernachlässigt. Das Recht ist darauf ausgerichtet, dass der Urheber möglichst viele Rechte bekommt, aber die Interessen der Nutzer und auch der Allgemeinheit werden nur nachrangig berücksichtigt.

Ganz kommen wir von dieser Vorstellung aber auch nicht weg, oder?
Das geltende Urheberrecht basiert auf dem sog. monistischen Prinzip. Das bedeutet, dass an jedem Werk sowohl Verwertungsrechte bestehen, als auch Persönlichkeitsrechte. Diese Persönlichkeitsrechte liegen immer beim Urheber, weil sie immer an einen Menschen geknüpft sind. Diese Wertung mag ja bei manchen Werken auch heute noch zutreffen. Häufig ist es aber eben auch nicht mehr der Fall. Deshalb sollte man meines Erachtens mehr differenzieren.

In Ihrem Ansatz machen Sie genau das. Sie beginnen damit, dass Sie den Urheberschutz und den Werkschutz voneinander trennen. Sie sprechen dabei von einem „Persönlichkeitsquotienten“. Wie meinen Sie das?
Die Grundannahme ist, dass heutzutage viele Werke geschaffen werden, die keine „persönlichen Werke“ sind. Das sind meistens solche, die in arbeitsteiligen Prozessen erzeugt werden und die Gestaltungsfreiheit sehr eingeschränkt ist, weil Auftraggeber oder Arbeitgeber definieren, was gemacht werden muss. Computerprogramme müssen zum Beispiel einfach funktionieren. Da ist für diese persönliche Einflussnahme des Urhebers kaum noch Raum. Nach klassischer Ansicht schafft der Urheber ein Werk „aus seiner Person heraus“ und bringt viel von seiner eigenen Persönlichkeit ein. Solche persönlichen Beziehungen sind heute sehr oft gar nicht mehr vorhanden.

Wenn aber das gesamte Konzept genau auf diese persönliche Beziehung des Urhebers aufbaut, dann geht das Recht in die falsche Richtung. Deshalb ist eine meiner Ideen, dass man die Persönlichkeitsrechte nur noch dann gewährt, wenn überhaupt so eine persönliche Beziehung da ist. Wenn das nicht der Fall ist, dann gibt es eben keine Urheberpersönlichkeitsrechte an einem Werk mehr. Man trennt also die Urheberpersönlichkeitsrechte vollständig von den Verwertungsrechten.

Die Verwertungsrechte an einem Werk können aber auch bei Werken entstehen, zu denen der Urheber keine so enge Beziehung hat. Hier sagen Sie aber, dass diese Verwertungsrechte nicht immer automatisch auch dem Urheber zustehen, sondern zum Beispiel auch seinem Arbeitgeber. Warum?
Nach jetzigem Verständnis des Urheberrechts gilt das Schöpferprinzip: Nur der Urheber kann Urheberrechte an einem Werk haben. Geschützt wird nur die schöpferische und kreative Leistung. Das spiegelt aber bei vielen Werken die Interessenlage nicht wider. Denn oft werden andere Leistungen eingebracht, die viel wichtiger für das Werk sind als die „kreative“ Leistung des Urhebers. Zum Beispiel Organisationsaufwand oder Investitionsleistung. Und die werden meist nicht vom Urheber erbracht, sondern zum Beispiel vom Auftraggeber oder Arbeitgeber, vom Investor, vom Produzenten.

Wer soll nun das Werk bekommen? Was regt am stärksten dazu an, dass Werke entstehen? Wen will man für das Entstehen eines Werkes belohnen? Da gibt es Konstellationen, bei denen die Investitionsleistung geschützt werden muss, weil sie für das Entstehen des Werkes am wichtigsten ist. Wenn das der Fall ist – also die Investition entscheidend für das Entstehen des Werkes war – dann sollten die Rechte nicht dem Urheber, sondern dem Investor zustehen. Ich habe Indizien entwickelt, die auf solche Konstellationen hindeuten und Fallgruppen entworfen, in denen das typischerweise der Fall ist. Je nach Fallgruppe wird (widerlegbar) vermutet, wem die Verwertungsrechte zufallen. Zum Beispiel eben dem Arbeit- oder Auftraggeber. Oder auch dem Urheber, wenn er den Hauptteil der Leistung erbracht hat. Ziel des ganzen ist, schon bei der Zuweisung des „Werkschutzrechts“ die Interessenlage des jeweiligen Falles zu berücksichtigen. Nach dem geltenden Schöpferprinzip passiert das nicht. In vielen Fällen werden die für die Werkerstellung wichtigsten Beteiligten auf einen vertraglichen Rechteerwerb verwiesen, was zu Schwierigkeiten bei der Verwertung führen kann und – angesichts der Bedeutung ihres Beitrages – ungerechtfertigt ist.

Auch beim Schutzumfang der Verwertungsrechte gehen Sie neue Wege und verabschieden sich vom Schrankensystem, wie es das jetzige Urheberrecht vorsieht. Warum meinen Sie, dass das notwendig ist?
Ich meine, dass es in einer Informationsgesellschaft nicht mehr angemessen ist, dass der Schutz des Urhebers oder auch der Schutz des Werkes das allüberstrahlende Prinzip sein muss. Vielmehr werden Nutzungsfreiheiten immer wichtiger und sollten daher auch rechtlich größere Bedeutung haben. Denn das Urheberrecht hat einen großen Einfluss auf die Informationsgesellschaft, da es den Zugang, die Verwendung und den Fluss von kulturellen und informativen Inhalten regelt. Da ist die jetzige hierarchische Struktur, in der das Schutzrecht die Regel und die Nutzungsfreiheiten nur eine Ausnahme sind, nicht mehr gerechtfertigt. Das führt zum Beispiel dazu, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, dass Schranken generell restriktiv auszulegen sind. Schutzrechte sind dagegen dynamisch und offen formuliert und können sich auch ohne gesetzgeberischen Eingriff weiter entwickeln. Die Schranken können das nicht, die müssen explizit angepasst werden. Das hat zu ganz erheblichen Ungleichgewichten geführt.

Um dem entgegen zu wirken sage ich, dass das Urheberrecht nicht mehr nur den Schutzauftrag haben sollte, die Interessen des Urhebers oder der Verwertungsindustrie zu schützen, sondern einen multipolaren Schutzauftrag erhält. Die Interessen der Urheber und Verwerter sollen also nur insoweit geschützt werden, wie sie auch gerechtfertigt sind – gemessen an den Interessen der Allgemeinheit.

Und trotzdem bieten Sie zunächst einen sehr weiten Schutz, indem Sie sinngemäß regeln: „Der Urheber hat die Verwertungsrechte an seinem Werk“. Erst auf zweiter Ebene gehen Sie auf die Probleme ein, die Sie gerade genannt haben. Sie sprechen von „Filtern“. Was ist der Unterschied zu einem Schrankenmodell?
Gemeint ist zunächst, dass es einen offenen Werkbegriff gibt. Es sollen also alle möglichen Schöpfungen unter dieses Modell des Urheberrechts fallen, ohne dass man sie einzeln aufzählen müsste oder man sich viele Gedanken über eine Schöpfungshöhe oder dergleichen machen müsste. Es sollen nicht pauschal aufgrund abstrakter Wertungen oder gar angesichts qualitativer Aspekte Geistesschöpfungen vom Werkschutzrecht ausgeschlossen werden. Der Schutzumfang wird aber dann direkt auf die Bedürfnisse des Einzelfalls angepasst. Das heißt also, dass das Recht eigentlich gar nicht „eingeschränkt“ wird, sondern das Recht geht von vornherein nicht weiter, als es angemessen ist. Die notwendigen und angemessenen Beschränkungen des Rechts sind keine Ausnahmen mehr, sondern Teil der Schutzbereichsdefinition. Im Moment ist es so, dass das Recht universell wirkt – es sei denn es ist ausnahmsweise eingeschränkt. Das ist ein großer Unterschied.

Deshalb arbeiten Sie mit „Filtern“. Wie funktioniert das?
Mit der Einschränkung des Werkschutzrechts durch Filter will ich einen möglichst ausgewogenen, dem jeweiligen Einzelfall angemessenen Schutzumfang des Werkes erreichen. Vorbild für solche Regelungen sind die Bestimmungen des alten Kunsturheberrechts zum Recht am eigenen Bild.

Auf der ersten Ebene fallen alle Verwertungsformen raus, bei denen per se die Drittinteressen dominieren. Also zum Beispiel der „bestimmungsgemäße Gebrauch“ oder rein technisch anfallende, erforderliche Vervielfältigungen, wie die Kopie in den Arbeitsspeicher. Diese „Nutzungen“ wären – unabhängig vom Einzelfall – nicht geschützt.

Auf der zweiten Ebene wird nach der individuellen Interessenlage gefragt. Zum Beispiel werden Schutzrechte, die nicht kontrolliert werden können oder die sehr stark in die Individualinteressen anderer eingreifen, nicht gewährt. Das ist so ähnlich wie das „Fair use“-Prinzip im amerikanischen Recht. Dort heißt: „Was fair use ist, kann nicht verboten werden“. Diese Generalklausel ist natürlich sehr offen. Deshalb will ich die Rechtspositionen weiter konkretisieren, die in diesem Filter ausgeschlossen werden. Es sollen generelle Wertungen vorgenommen werden, welche Rechte an solchen Werken in aller Regel einzuschränken sind. Die werden dann konkret durch Regelungen ausgeschlossen. Maßgeblich soll dabei eine Abwägung mit den Interessen aller Beteiligten sein.

Damit es möglich bleibt, in atypischen Fällen zu einer anderen Lösung zu kommen, handelt es sich dabei aber nur um eine Vermutung, die auf bestimmten Indizien basiert. Wenn sich ein Rechtsinhaber oder auch ein Nutzer darauf beruft, dass es sich konkret um einen Sonderfall handelt, kann die Vermutung widerlegen. Das muss er dann aber auch beweisen. Es sollen also ohne systematische Brüche Einschränkungen des Werkschutzes eingeführt werden, die etwa eine weit gehende Nutzungsfreiheit vorsehen – gegebenenfalls gegen Vergütung.

Auf der dritten Ebene wird die Reichweite der Verwertungsrechte justiert. Hier unterscheide ich zwischen Verbotsrechten und Vergütungsansprüchen. Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt. Denn die Frage, ob jemand für eine Nutzungshandlung bezahlen muss, ist für die Nutzbarkeit des Werkes sehr viel weniger relevant, als die Frage, ob man für die Nutzung zudem eine individuelle Genehmigung einholen muss. Das kennen wir im jetzigen Recht auch schon. Die Schranken sehen ja in aller Regel vor, dass für die Nutzung Vergütungen bezahlt werden müssen, die meistens durch die Verwertungsgesellschaften organisiert werden. Bloße Vergütungsansprüche sind, was die Innovation und den kulturellen Fortschritt angeht, viel weniger einschneidend als Verbotsrechte. Trotzdem können sie die Interessen der Berechtigten durchaus wahren. Häufig entsprechen sie den Interessen der Urheber mehr, als Ausschließlichkeitsrechte. Denn viele Kreative wollen ja gar nicht, dass vor jeder Nutzung eine Vereinbarung geschlossen und Rechte eingeholt werden müssen. Sie wollen vielmehr, dass sich ihre Werke möglichst weit verbreiten können und sie für die Nutzungen angemessen vergütet werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die meisten Urheber selbst Nutzer sind, die auf Nutzungsmöglichkeiten ohne unzumutbaren Aufwand angewiesen sind.

Macht das die Sache nicht unglaublich kompliziert, wenn ich als Nutzer gar nicht weiß, ob ich ein Werk jetzt nutzen darf oder ob da ein Verbotsanspruch besteht?
Das zu vermeiden ist eine der großen Herausforderungen. Regelt man im Gesetz alles sehr abstrakt und genau, ist es unflexibel. Vor allem wenn man – wie bei den geltenden Schrankenregeln – keine Öffnungsklauseln hat. Regelt man sehr offen, entsteht Rechtsunsicherheit, weil sich dem eigentlichen Gesetzeswortlaut weniger entnehmen lässt. Meine Idee ist daher, mit offenen Tatbeständen zu arbeiten, die durch Indizienkataloge und Regelbeispiele näher konkretisiert werden. So kann man die Handhabbarkeit und die Rechtssicherheit gegenüber reinen Generalklauseln (wie dem „fair use“) deutlich erhöhen. Man führt also möglichst repräsentative Beispiele auf, die verdeutlichen, was geregelt werden soll, aber nicht abschließend sind. Im UWG funktioniert das ja auch ganz gut.

Und ob das ganze komplizierter ist als vorher, ist noch fraglich. Das jetzige Recht ist auch in vielen Fällen sehr vage und damit kompliziert. Darüber hinaus ist es aber auch noch unangemessen und dysfunktional. Natürlich ist ein Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit wichtig. Aber ich meine: Es kann nur besser werden.

Bei der Schutzdauer von Urheber- und Verwertungsrechten sprechen Sie von „Gemeinfreiheit auf Raten“. Wie meinen Sie das?
Die Schutzdauer ist heute für alle Werkarten gleich: 70 Jahre post mortem auctoris. Ich meine, dass diese Regelung für sehr viele Werke höchst unangemessen ist. Wenn man sich vorstellt, dass jemand eine kleine Shareware für ein bestimmtes Betriebssystem schreibt, dann hat diese Software eine Halbwertzeit von vielleicht drei Jahren, danach ist sie gar nicht mehr benutzbar. Dennoch beträgt die Schutzdauer möglicherweise 120 Jahre und mehr. Ich meine, dass das nicht angemessen ist und zu großen Schwierigkeiten führt.

Deshalb sollte die Schutzdauer dynamisch gestaltet sein. Man muss sich also Fragen, welche Schutzzeit ein Werk wirklich braucht. Wie lange genau das sein soll muss interdisziplinär festgestellt werden. Ökonomische Aspekte spielen hier vor allem eine große Rolle, denn es geht ja um einen möglichst effektiven und wirtschaftlich gerechten Schutz, der Anreize bietet, kreative Produkte zu entwickeln. Das Schutzrecht sollte nur solange gewährt werden, wie es aus Sicht der Interessenlage angemessen und noch funktional ist. Es soll die nötigen Anreize zur Schaffung und Investition gewähren. Gleichzeitig soll es aber auch enden, bevor es dysfunktional wird, weil ein längerer Schutz weitere Nutzungen verhindert und damit Innovationen beschränkt.

Mit „Gemeinfreiheit auf Raten“ meine ich ein Modell, bei dem die Werkschutzrechte gestaffelt enden könnten. Beispielsweise wird bis zu einem Zeitpunkt X ein Vollrecht – also ein Verbots- und Vergütungsrecht – gewährt. Ist dieser Zeitpunkt X erreicht, wird das Recht auf Vergütungsansprüche reduziert. Die Benutzung des Werkes kann dann nicht mehr verboten werden, aber es muss dafür bezahlt werden. Wie gesagt: Diese Vergütungsansprüche beeinflussen die Interessenlage, Innovation und den kulturellen Fortschritt erheblich weniger als Verbotsrechte. Und wann genau dieser Zeitpunkt erreicht ist, hängt eben davon ab, was bei einem entsprechenden Werk angemessen ist.

Ihr Modell ändert sehr viel am grundsätzlichen Aufbau des Urheberrechts. Aber inwiefern ändert es bei der Rechtslage etwas – ganz praktisch? Darf ich jetzt mehr „privatkopieren“?
Mein Ziel ist es, dass die Ergebnisse des Urheberrechts einerseits gerechter sind, man sich andererseits aber über das Urheberrecht weniger Gedanken machen muss. Ich treffe in meiner Arbeit ja keine eigenen Wertungen, sondern versuche nur, Alternativen zum geltenden Schutzmodell zu entwickeln. Die Wertungen muss der Gesetzgeber vornehmen. Wenn es nach mir ginge, würden Ausschließlichkeitsrechte besonders da eingeschränkt werden, wo es in den privaten Bereich geht. Nach geltendem Recht haben wir die Privatkopie und eine Hand voll sehr komplexer anderer Regelungen, die Nutzungen im Privatbereich ermöglichen. Man muss also zum Beispiel wissen, was genau in § 53 UrhG steht und das tun die meisten Nutzer nicht.

Nach meiner Idealvorstellung müssen Nutzer nicht ins Gesetz schauen. Schon von vornherein soll klar sein, dass der private Bereich nicht unter ein Verbotsrecht des Urhebers fällt. Man soll sich in diesem Bereich nicht strafbar machen oder Abmahnungen kassieren. Es sollen aber Vergütungen bezahlt werden. Ich würde wahrscheinlich auch die unkontrollierbaren privaten Internetnutzungen vom Verbotsrecht ausnehmen und gegen Vergütung gestatten. Das würde sowohl den Nutzern als auch den Rechtsinhabern zugute kommen. Die Nutzer würden nicht mehr vom Gesetz für alltägliche und in Zukunft wahrscheinlich völlig übliche Handlungen kriminalisiert werden. Und auch die Rechteinhaber würden endlich wirtschaftlich von den millionenfachen Nutzungen im Netz profitieren. Das geltende Recht verhindert das. Denn die eigentlich sinnvollen Vergütungen können natürlich nicht für illegale Handlungen kassiert werden. Mit dem jetzigen Konzept des deutschen Urheberrechts wäre eine Kulturflatrate zwar nicht völlig unvereinbar. Dennoch gäbe es einen konzeptionellen Konflikt. Das liegt vor allem am absoluten Vorrang von Verbotsrechten entgegen der eigentlichen Interessenlage. Schon dieser Umstand zeigt meines Erachtens, dass das System längst an seine Grenzen gestoßen ist, weil es ihm an Flexibilität mangelt.

Rechnen Sie bei so vielen tiefgreifenden Änderungen damit, dass Ihre Ansätze überhaupt vom Gesetzgeber in absehbarer Zeit berücksichtigt werden?
Kurzfristig rechne ich nicht damit. Das ist auch nicht mein Anliegen. Mein Anliegen ist erstens: Herauszuarbeiten, wo wir mit unserem Urheberrecht herkommen und wo wir jetzt stehen. Zweitens: Darzustellen, warum ich meine, dass wir an einer Stelle stehen wo wir nicht stehen sollten. Und drittens auch konstruktiv Ansätze und zumindest einzelne konkrete Ideen dafür zu liefern, was man in konzeptioneller Hinsicht tun könnte. Das verstehe ich als einen Stein im Wasser, der hoffentlich weitere Kreise zieht und etwas zu einem Diskurs über ein neues Urheberrecht beiträgt. Dann können langfristig auch politische Prozesse beeinflusst werden.

Danke für das Interview.

Dr. Till Kreutzer ist Partner bei i.e., dem Büro für informationsrechtliche Expertise in Hamburg. Er ist durch zahlreiche Publikationen zum deutschen und internationalen Urheberrecht bekannt geworden und hat als Sachverständiger bei den Reformen des „Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ („Korb 1 und 2“) mitgewirkt. Außerdem ist er Redakteur beim prämierten Urheberrechtsportal irights.info und Mitglied beim „Institut für Rechtsfragen der freien und Open Source Software“ (ifrOSS). Seine Dissertation „Das Modell des deutschen Urheberrechts und Regelungsalternativen“ schrieb er bei Prof. Dr. Hoffmann-Riem an der Universität Hamburg. Sie erschien Ende 2008 im Nomos-Verlag.

, Telemedicus v. 30.01.2009, https://tlmd.in/a/1134

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