Dr. Florian Drücke, Leiter für Recht und Politik beim Bundesverband Musikindustrie im Interview
Filesharing ist eins der zentralen Probleme der Musikindustrie. Riesige Schäden verursache das illegale Herunterladen, sagen die Industrievertreter und verlangen Änderungen des Urheberrechts. Aber: Wie groß ist der Schaden für die Musikindustrie wirklich? Und in welche Richtung soll sich das Urheberrecht in den nächsten Jahren verändern?
Dr. Florian Drücke ist Leiter für Recht und Politik beim Bundesverband Musikindustrie, ab dem 1. November 2010 wird er die Geschäftsführung des Verbandes übernehmen. Im Gespräch mit Telemedicus stellt er seine Standpunkte dar.
Wie groß ist der Schaden durch Urheberrechtsverletzungen für die Musikindustrie wirklich und wie berechnen Sie Ihre Schätzungen?
Der Schaden ist aus unserer Sicht sehr groß. Die Berechnung ist dabei natürlich nicht leicht, da sie nicht einfach monokausal von den Urheberrechtsverletzungen abgeleitet werden kann. Wir rechnen dabei wie folgt: Es gibt dort draußen Millionen und Abermillionen illegale Songs. Wir müssen uns nicht darüber streiten, dass ein bestimmter Anteil dieser Millionen Songs gekauft worden wäre. Diesen Anteil beziffern wir etwa 10 bis 20 Prozent.
Was das Gesamtaufkommen angeht, haben wir hochgerechnet, dass die illegal heruntergeladene Musik im vergangenen Jahr einen Wert von etwa 4 Milliarden Euro gehabt hätte. Bei einer Quote von 10 bis 20 Prozent potenziell gekaufter Songs läge damit der Umsatz zwischen 400 Millionen und knapp einer Milliarde Euro. Das ist sehr beachtlich!
Natürlich sind das keine ganz exakten Zahlen, aber es ist genug, um zu sagen: Der Schaden für die Musikindustrie – und im Übrigen längst auch für andere betroffene Branchen – ist deutlich. Und man muss sich ja auch anschauen, wie viele Songs überhaupt online verkauft werden. Dabei stellt man fest, dass dieses Verhältnis enorm in die falsche Richtung kippt – immer noch.
Aber die Entwicklung der letzten Jahre ist für die Musikindustrie eher positiv.
Ja, die Entwicklung ist in Deutschland vergleichsweise positiv. Aber: Das liegt auch der Entscheidung der Mitgliedsfirmen, die Rechte konsequent durchzusetzen. Das sieht man auch an den von uns veröffentlichten Zahlen. Man sieht, dass die Zahlen der illegalen Downloads mit Beginn der Zeit zurückgingen, in der die Vielzahl der Filesharer-Verfahren losgetreten wurde.
Gleichzeitig ist in den letzten Jahren aber auch die Zahl der legalen Angebote gestiegen und die Preise sind gesunken.
Das ist sicher auch ein Grund. Uns geht es um den Dreiklang aus Aufklärung, Angebot und Abschreckung. Keine dieser Maßnahmen kann man einzeln betrachten. In Deutschland gibt es über 40 legale Download-Angebote mit mehr als 10 Millionen Titeln – mehr als in den meisten anderen Ländern Europas. Dort findet der User auch das meiste, was er will.
Die Preise haben sich auch bewegt und die Dienste haben sich vor allem auch verfeinert. Das ganze gepaart mit der Message „Du bist nicht anonym, die Rechtsverletzungen werden verfolgt, du fügst der Kreativwirtschaft einen Schaden zu“, hat unseres Erachtens dazu geführt, dass die illegalen Musik-Downloads in den letzten Jahren abgenommen haben.
Inwiefern hat das Element „Abschreckung“ zu einem Image-Verlust geführt?
Ich glaube, dass das Verständnis in der Bevölkerung eher zugenommen hat. Die Gefahr eines Image-Schadens war zu Beginn vor allem dadurch begründet, dass man seinerzeit noch strafrechtlich gegen Filesharer vorgehen musste. Und das war wiederum der Tatsache geschuldet, dass wir den zivilrechtlichen Auskunftsanspruch noch nicht hatten. Insofern war das letztlich die einzige Möglichkeit gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Im Übrigen ist es damals keinem leicht gefallen, der darüber zu entscheiden hatte.
Halten Sie Filesharing für eine punktuelle Entwicklung oder ein gesellschaftliches Phänomen?
Da ist die Frage, wann ein „gesellschaftliches Phänomen“ anfängt. Ich glaube, das Problem wird schnell zum gesellschaftlichen Phänomen hoch-gehypet. Es ist bestimmt ein verbreitetes Phänomen in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, aber als gesamtgesellschaftliches Phänomen würde ich es nicht bezeichnen. Als solches wird es vor allem von denen hochstilisiert, die darauf beharren wollen, sich kostenlos bedienen zu dürfen.
Wenn man sieht, dass die Anzahl der Personen, die sich illegal von Filesharern, Share-Hostern oder FTP-Servern mit Musik versorgen, auf etwa 2,9 Millionen Personen zurückgegangen ist, kann man nicht einfach sagen, dass seien „alle“ oder „die meisten“. Wir haben das von der GfK in der „Brenner-Studie“ über die Jahre untersuchen lassen. Und danach können wir sagen: Ja, es sind viele, aber es ist eben nicht die gesamte Gesellschaft, die illegal Musik bezieht.
Glauben Sie, dass der Wert in den letzten Jahren gesunken ist? Sind die Konsumenten einfach nicht mehr dazu bereit, so viel für Musik auszugeben, wie noch vor einigen Jahren?
Nein. Es wird zwar immer wieder diskutiert, ob der Wert von Musik dadurch gesunken ist, dass man lieber mehr Geld für andere Produkte ausgibt. Zum Beispiel für die Endgeräte. Das heißt aber nicht, dass der Wert von Musik sinkt, sondern das ist eine Frage der Zahlungsbereitschaft. Man muss bedenken, dass noch nie so viel Musik konsumiert wurde, wie in den letzten Jahren! Es ist doch nicht so, dass wir ein Produktproblem haben. Unsere Musik wird doch millionenfach konsumiert – die MP3-Player sind voll davon. Im Übrigen gibt es doch einen legalen Markt, auf dem sich die Mehrzahl der Menschen legal mit Musik versorgt.
Aber seien wir doch mal ehrlich: Die Frage nach der Zahlungsbereitschaft ist in dem gegenwärtigen Umfeld recht theoretisch. Auf den ersten Blick scheint der rein monetäre Wert von Musik tatsächlich gesunken zu sein. Es ist aber auch nicht verwunderlich, dass dieser Eindruck entsteht, wenn sich nach wie vor viele Millionen Menschen weltweit umsonst und oft unbehelligt illegal mit Musik versorgen können. Wir werden übrigens auch immer wieder aufgefordert: Macht neue Geschäftsmodelle, dann kommen die Leute wieder in den legalen Markt. Diese Diskussion ist m.E. im Jahre 2010 in Anbetracht der genannten Vielzahl an legalen Möglichkeiten, Musik zu konsumieren zynisch. Gegenfrage: Wie billig muss Musik denn sein, damit ein Filesharer sie sich kauft? 1 Cent, 10 oder 50 Cent?
Definitiv geändert hat sich aber ja das Nutzungsverhalten der Konsumenten. Der CD-Verkauf geht zurück, der Online-Vertrieb legt zu und Streaming-Dienste haben rasanten Zulauf. Wie kann die Musikindustrie selbst darauf reagieren?
Zunächst muss man festhalten, dass Deutschland im internationalen Vergleich immer noch einen sehr hohen Anteil an CD-Verkäufen hat – in etwa 80%. Das darf man nicht vergessen, wenn man über Online-Verkäufe spricht.
Aber es geht natürlich auch darum, den Kunden dort abzuholen, wo er in seinem Nutzungsverhalten steht. Nicht nur durch Marketing-Kampagnen, nicht nur durch klassische Download-Portale, sondern auch durch neue Dienste. Auch dort ist mittlerweile eine starke Bandbreite an Angeboten vorhanden, etwa bei Streaming-Diensten, werbefinanzierten Diensten, Abomodellen, aber auch ganz anderen Angeboten wie Nokias hardware-gebundenem Dienst.
Es gibt aber auch bestimmte Dienste, die in Deutschland gegenwärtig leider noch nicht stattfinden – obwohl sie von vielen gewollt sind. Zum Beispiel „Spotify“. Der Spielball liegt hier aber definitiv nicht bei unseren Mitgliedern, sondern bei den Verlagen und Verwertungsgesellschaften, die sich bei der Lizenzierung noch uneinig sind.
Inwiefern muss aus Ihrer Sicht das Urheberrecht an solche neuen Dienste und die Entwicklungen der letzten Jahre angepasst werden?
Ich glaube, dass das Urheberrecht seit der digitalen Revolution schon an vielen Stellen angepasst wurde.
Materiellrechtlich ist das Urheberrecht in weiten Teilen renoviert. Die Ausgestaltung der Privatkopie ist unserer Meinung nach nicht mehr zeitgemäß. Das war auch der Grund, warum sich einige Mitgliedsfirmen entschlossen haben, Verfassungsbeschwerde dagegen einzureichen, die ja bekanntlich leider nicht zur Entscheidung angenommen worden ist. Auf der anderen Seite sehen wir deutlichen Verbesserungsbedarf bei den Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung.
Wo ist das Problem bei der Privatkopie?
Es geht nicht darum, die Privatkopie komplett in alle Einzelteile zu zerlegen. Uns geht es vor allem darum, dass es immer mehr Dienste am Markt gibt, die mit der Erstellung von Kopien für den User Geld verdienen. Wir meinen, dass ein Relikt aus der Zeit rein analoger Anwendungen, wie eben die Privatkopie, renoviert werden muss.
Auch für den Verbraucher ist es ja nicht nachvollziehbar, warum er für ein bestimmtes Abo-Modell 7,99 Euro bezahlen soll, wenn er von anderen Diensten für 4,99 Euro Zugang zu Mitschnitten des Welt-Repertoires bekommt – als MP3 filetiert, ready to use. Natürlich muss man sich bei vielen Diensten fragen, ob sie überhaupt der aktuellen Ausgestaltung der Privatkopie unterfallen. Unsere Meinung ist da auch eindeutig. Wir meinen, dass solche Dienste generell verboten werden sollten. Zum einen, weil das der Ausnahmestellung der Schranke gerecht würde. Und wir sind auch nicht bereit, ständig Katz und Maus mit den Diensten zu spielen, die immer wieder leicht verändert werden, um die Rechteinhaber bei jeder Veränderung in neue Rechtsfragen zu verwickeln.
Und wie stellen Sie sich Rechtsdurchsetzung in Zukunft vor?
Gerade weil wir in Deutschland die Erfahrung mit zigtausend an Filesharer versandte Abmahnungen haben, sind wir der Meinung, dass es Zeit für eine smartere Form der Durchsetzung ist, die Abschreckung und Aufklärung miteinander verbindet. Wir sprechen von dem sog. „sanktionierten Warnmodell“.
Bei diesem Modell soll ein Nutzer, der sich rechtswidrig verhält, zunächst eine Warnung bekommen und nicht gleich mit dem kostenträchtigen, außergerichtlichen Verfahren überzogen werden. Nach einer solchen Warnung müssen aber natürlich auch ernsthafte, abschreckende Konsequenzen drohen – in welcher Form auch immer. Jeder kann nachvollziehen, dass Warnungen alleine nichts bringen. Der User muss wissen: „Ich habe eine Warnung erhalten, vielleicht bekomme ich auch noch eine zweite, aber danach droht mir etwas“. Nur dann macht ein solches Warnmodell Sinn.
Ein solches Modell hätte zur Folge, dass Rechteinhaber nicht mehr massenhaft Urheberrechtsverletzungen abmahnen müssten. Und das würde im Übrigen auch zur Entlastung der Gerichte und unseres Erachtens zur größeren Akzeptanz bei den Verbrauchern führen.
Danke für das Gespräch.
Dr. Florian Drücke ist Leiter für Recht und Politik beim Bundesverband Musikindustrie e.V. in Berlin. Ab dem 1. November 2010 wird er die Geschäftsführung des Verbandes übernehmen.