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Erstmals Blog indiziert – zu Recht?

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat im Dezember erstmals einen Blog indiziert. Dabei handelt es sich um einen sogenannten „Pro-Ana-Blog“, einen Blog der sich mit dem Thema Magersucht („Anorexia nervosa“) beschäftigt. Der Blog beinhaltet unter anderem einen „Motivationsvertrag“, „10 Gebote“, und die „Ana’s Gesetze“. Darin enthalten sind Verhaltensanweisungen und Regeln wie beispielsweise: „Du bist NIE zu dünn!“, „Ich darf nichts essen ohne mich schuldig zu fühlen!“ oder „Dünn sein ist wichtiger als gesund sein!“ – Magersucht als Religion. Auch werden Ratschläge erteilt, wie man seinen Hungerstreik vor Freunden und der Familie am Geschicktesten geheim hält.
In der Indizierungsbegründung der Prüfstelle heißt es: „Die Krankheit Anorexia nervosa wird als erstrebenswerter Lifstyle glorifiziert. Krankhaftes Dünn-Sein wird als ausschließlicher Weg zur Selbstachtung und gesellschaftlicher Anerkennung propagiert“. Durch das Angebot würden Jugendliche zu einer schweren und lebensgefährlichen Selbstschädigung der Gesundheit aufgefordert. Der Blog müsse folglich indiziert (d.h. für jugendliche unzugänglich) werden.

Kritik an der Indizierung

Doch dem widersprechen nicht nur die „Ana-Jünger“, sondern auch weite Teile der Internetgemeinde (siehe beispielsweise die Kommentare beim lawblog, bei blog.unkreativ.net oder dem Beck-Blog). „Zensur“ heißt es aus aller Munde. Von Willkür ist die Rede. Man lasse sich vom Staat nicht vorschreiben was man lesen dürfe und was nicht. Außerdem sei so eine Indizierung wirkungslos und technisch kaum einzurichten.

Indizierung = Zensur?

Zensur ist gemäß Art. 5 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes verboten. Doch handelt es sich bei einer Indizierung überhaupt um Zensur? Hier ist zwischen dem allgemeinen Sprachgebrauch und der juristischen Definition zu unterscheiden – was in den Kommentaren der Indizierungskritiker selten deutlich wird.

Umgangssprachlicher Zensurbegriff

Zensur wird im allgemeinen wie folgt eingeordnet (Auszug aus Meyers Onlinelexikon):

„Zensur ist die staatliche Überwachung und Unterdrückung von Veröffentlichungen in Print- und audiovisuellen Medien (Vorzensur und Nachzensur), um die Publizistik im Sinn der Staatsführung oder der herrschenden Partei oder Klasse zu beeinflussen.“

Nach der allgemeinen Sprachverwendung fallen also sowohl die präventive als auch die nachträgliche Unterdrückung von Meinungen unter den Zensurbegriff.

Voraussetzung ist zunächst, dass der Staat handelt. Die Mitglieder der Prüfungskommission werden vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und den Länderregierungen, also dem Staat, ernannt. Grundlage ist das Jugendschutzgesetz, ein Gesetz, das ebenfalls der Staat erlassen hat. Außerdem ergeht die Indizierung gegenüber dem Betroffenen als Verwaltungsakt. Ohne Zweifel: der Staat handelt.

Die Frage ist vielmehr, ob der Staat beeinflussend tätig wird und gezielt Meinungen unterdrückt, die nicht in das politische Programm der Regierenden passen. Die Mitglieder der Prüfstelle sind Praktiker und Experten aus den Bereichen Jugendhilfe, Kunst, Literatur, Buchhandel etc. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Absatz 4 des § 19 JuSchuG:

„Die Mitglieder der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien sind an Weisungen nicht gebunden.“

Das bedeutet, dass das Gremium unabhängig entscheidet. Außerdem müssen die Mitglieder unparteilich sein. Hinzu kommt, dass die Mitglieder ihre Tätigkeit ehrenamtlich ausüben. Der Staat muss sich also nach dem Gesetz darum bemühen, dass die Entscheidungen der Bundesprüfstelle nicht politisch gefärbt getroffen werden.

Zensur bedeutet nach obiger Definition auch, dass ein bestimmter Inhalt gänzlich verboten wird. Bei einer Indizierung soll der Inhalt aber nur für Minderjährige unzugänglich gemacht werden. Volljährige sind weiterhin bezugsberechtigt. Das ist bei Internetangeboten natürlich schwierig umsetzbar, weil Alterschranken oft leicht zu umgehen und teuer einzurichten sind. Manch ein indiziertes Internetangebot verschwindet deshalb faktisch vollständig von der Bildfläche – rechtlich verboten und zensiert worden ist es aber nicht.

Zensur im juristischen Sinne

Der juristische Zensurbegriff umfasst hingegen allein die Vorzensur, also ein präventives Verfahren, vor dessen Abschluss ein Werk nicht veröffentlicht werden darf. Nachträgliche Kontrollmaßnahmen (wie die Indizierung) sind dagegen vom Zensurverbot des Art. 5 Absatz 1 Satz 3 GG nicht umfasst. Eine solche Nachzensur ist zulässig, sofern sie von den Schranken (dazu zählt unter anderem der Jugendschutz) des Art. 5 Abs. 2 GG gedeckt sind.

Um bei der vorliegenden Blog-Indizierung doch eine Zensur anzunehmen, gibt es aber einen argumentativen Anknüpfungspunkt: Ein Blog ist ein dynamisches Medium, anders als es beispielsweise ein Buch oder ein Film ist. Ein Blog entwickelt sich weiter und verändert sich stetig, indem Blogbeiträge hinzugefügt werden. Wenn nun ein Blog indiziert wird, hat der Blogbetreiber keine Chance weitere, möglicherweise jugendschutzkonforme Inhalte der breiten Öffentlichkeit auf seinem Blog zu verbreiten. Insofern könnte man also auch von einer Vorabkontrolle sprechen, die vom verfassungsrechtlichen Zensurverbot erfasst ist. Dem steht allein entgegen, dass es sich bei einer Indizierung ja rechtlich nicht um ein Verbot von Meinungen handelt, sondern nur um eine Zugangsbeschränkung für Jugendliche (siehe oben).

Eine Indizierung ist im juristischen Sinne also keine Zensur. Und bei genauer Betrachtung auch nicht nach dem allgemeinen Sprachgebrauch. Offensichtlich problematisch ist aber, dass die Indizierung vor allem im Internet wie eine Zensur wirken kann.

Rechtliche Hintergründe einer Indizierung

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ist gemäß § 18 des Jugenschutzgesetzes dazu verpflichtet, „Träger- und Telemedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden, (…) in eine Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen“. Diese Inhalte dürfen dann für Jugendliche nicht mehr zugänglich sein.

Der Jugendschutz ist nach dem Grundgesetz ein Auftrag an den Staat, die Entwicklung des jungen Menschen zu schützen. Kinder und Jugendliche haben nach Art. 1 Absatz 1 und 2 Absatz 2 GG das Recht auf Schutz und Hilfe des Staates um sich zu eigenverantwortlichen Personen entwickeln zu können. Dem Staat kommt dabei ein „Wächteramt“ bei der Erziehung und Pflege der Kinder zu. Dies schreibt Art. 6 Absatz 2 Satz 2 GG vor. Es wird damit begründet, dass Kinder sich gegen Persönlichkeitsverletzungen selbst nicht wehren und Eltern nicht immer aureichenden Schutz bieten können. Das Bundesverfassungsgericht hat vorgeschrieben, dass sich der Staat stets am Kindeswohl orientieren muss. Bei der Frage, ob ein Medium jugendgefährdend ist, soll also vor allem das Kindeswohl berücksichtigt werden.

Natürlich muss auch die wichtige Bedeutung der Meinungs- und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 1 und 3 GG) beachtet werden. Deshalb muss immer geprüft werden, ob die Entscheidung des Gremium verhältnismäßig ist und ob im Einzelfall tatsächlich der Jugendschutz und nicht etwa die Meinungs- bzw. Kunstfreiheit überwiegt. Wie und warum die Bundesprüfstelle ihre Abwägung und Entscheidung getroffen hat, erläutert sie (wie auch hier beim Magersucht-Blog) in einer ausführlichen Begründung. Die Entscheidung ist übrigens gerichtlich überprüfbar.

Fazit

Rechtmäßig ist das Indizierungsverfahren – mag man die gesetzlichen Regelungen zur Indizierung jugendgefährdender Medien auch (vor allem im Bereich des Internets) als rechtlich problematisch oder aus gesellschaftspolitischer Sicht unnütz ablehnen. Sicherlich darf es nicht dabei verbleiben kritische Inhalte von Jugendlichen fernzuhalten. Andere (vor allem vorbeugende) Maßnahmen wie Aufklärung sind ohne Zweifel wichtiger. Und sicherlich ist die Politik gefragt nach alternativen Lösungswegen zu suchen um den Veränderungen des Internetzeitalters gewachsen zu sein, ohne den Jugendschutz aus den Augen zu verlieren. – Doch hätte eine solche Seite wie der beanstandete „Pro-Ana-Blog“ bestehen bleiben sollen, trotz wahrscheinlich gravierender Auswirkungen auf manche Jugendliche?

Johnny Häusler nahm die Diskussion zum Anlass um einen ausführlichen Kommentar bei Spreeblick zu veröffentlichen und äußert darin einige kluge Gedanken. Er betont, dass gerade diejenigen, die am lautesten von Zensur reden, sich an die eigene Nase packen sollten. Häusler stellt die Verantwortung jedes einzelnen hervor, sich an gesellschaftlichen Diskussionen zu beteiligen und zu engagieren:

Ich bin aber sicher, dass man sich den vorhandenen digitalen Herausforderungen anders stellen muss als durch reflexhafte „Zensur!“-Statements. Gerade diejenigen, die sich besser auskennen, die täglich im Netz unterwegs sind, die technisch versiert sind, die ihre Meinung im Netz veröffentlichen – sie sind m.E. gefragt, eine gesellschaftliche Verantwortung zu erkennen und zu übernehmen und ihren möglichen Wissenvorsprung nicht allein als Mantel zur Schau zu tragen, den man schnell als Arroganz einer Elite missverstehen kann.

Zu dem lesenswerten Kommentar von Johnny Häusler beim Spreeblick.

Ausführliche Informationen zum Thema Zensur (vor allem im Internet) von der Bundeszentrale für politische Bildung.

, Telemedicus v. 27.01.2009, https://tlmd.in/a/1128

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