Der Verlag Blumenbar darf den Romy-Schneider-Roman „Ende einer Nacht” nun doch wieder ungeschwärzt vertreiben. Am 15. Oktober hat das OLG Frankfurt eine einstweilige Verfügung vom September letzten Jahres aufgehoben. Diese hatte der Ehemann Magda Schneiders erwirkt; er sah die postmortalen Persönlichkeitsrechte seiner verstorbenen Frau und Mutter Romy Schneiders verletzt. In den umstrittenen Passagen wird sie als Sympathisantin Hitlers und des Nazi-Regimes dargestellt. Das Gericht hat nun entschieden, dass diese Stellen keine Rechtsverletzung darstellen. Im Rahmen der Abwägung von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz verfolgen die Richter nämlich eine andere – kunstspezifische – Argumentation als die Vorinstanz:
Entscheidend sei, dass der Autor Olaf Kraemer die Figur der Magda Schneider nicht direkt charakterisiere; vielmehr werde sie lediglich mittelbar durch ihre Tochter Romy dargestellt, die im Roman in den letzten Stunden vor ihrem Tod auch über ihre Mutter reflektiert. Hingegen hatte das Landgericht die Werkausschnitte in Werturteile und Tatsachenbehauptungen eingeteilt und dann äußerungsrechtliche Rechtfertigungsmaßstäbe angewandt. Danach waren die Passagen unzulässig, weil sie entweder unwahre Tatsachen oder aber Schmähkritik enthielten. Einer solchen Beurteilung hat das OLG nun eine Absage erteilt, weil sie dem Charakter des Buches als Kunstwerk iSv Art. 5 GG nicht gerecht werde.
Rückgriff auf die Esra-Entscheidung
Zunächst stellt das Urteil fest, dass der 1996 verstorbenen Magda Schneider zurzeit noch ein Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte zusteht. Dieser leitet sich nach dem Tod der Person ausschließlich aus dem Menschenwürdenschutz (Art. 1 GG) ab, nicht zusätzlich aus dem Grundrecht auf Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Menschenwürde wird aber absolut geschützt – es findet im Fall von Kollisionen gerade keine Güterabwägung statt. Damit stellt grundsätzlich jede Beeinträchtigung zugleich auch eine Rechtsverletzung dar:
„Deshalb bestehen für die Annahme einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des postmortalen Persönlichkeitsrechts hohe Hürden: es bedarf einer sorgfältigen Begründung, wenn angennommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt.”
Für die Beurteilung, wann eine derart schwere Beeinträchtigung vorliegen soll, verweisen die Richter auf die Esra-Entscheidung des BverfG. Danach hängt die Bewertung enscheidend von zwei Kriterien ab: Zum einen können Rechtsverletzungen viel eher angenommmen werden, wenn reale Personen hinter den Romanfiguren erkennbar sind. Daneben ist die Intensität des Eingriffs relevant. Schon die Vorinstanz hatte die grundsätzliche Vermutung wiederlegt, dass es sich bei den literarischen Figuren um rein fiktive Personen handelt – schließlich liege hier ein „überwiegend biographisches Werk” vor.
Vermutung für die Fiktionalität
Das OLG betont nun aber, dass auch bei solchen Büchern weiterhin eine Vermutung für die Fiktionalität des Textes besteht: Auch bei einer sog. „Docufiction” dürfe der Leser gerade nicht davon ausgehen, dass jedes Detail biographisch korrekt sei:
„Nötig wäre insoweit jedenfalls der Nachweis, dass dem Leser vom Autor nahe gelegt wird, bestimmte Teile der Schilderung als tatsächlich geschehen anzusehen, und dass gerade diese Teile eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen, weil sie ehrenrührige falsche Tatsachenbehauptungen aufstellen. Dies ist jedoch […] nicht der Fall.”
Deshalb nimmt das OLG auch in diesem Fall eine rein kunstspezifische Betrachtung vor. Dabei qualifiziert es die streitigen Passagen als Gedanken und Reflexionen Romy Schneiders, die ihre „subjektiv gefärbten Erinnerungen” festhalten möchte. Überwiegend hätten dabei historisch belegte Fakten als Anknüpfungspunkte gedient. Selbst wenn so ein unzutreffendes Bild von Magda Schneider gezeichnet werde, läge dennoch kein Eingriff in deren postmortales Persönlichkeitsrecht vor:
„Zum einen gibt es […] keinen Anspruch darauf, nicht negativ dargestellt zu werden; zum anderen liegt auch keine grobe Entstellung der Person der Magda Schneider dar, die allein eine die unantastbare Menschwürde treffende Verletzung darstellen könnte. Eine solche grobe Entstellung wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn es […] aus historisch-biographischer Sicht überhaupt keine Veranlassung gegeben hätte, Romy Schneider diese Gedanken und diese Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter „in den Kopf” zu legen.”
Dies ist nach Ansicht des Gerichts aber gerade nicht der Fall; vielmehr gebe es genügend Tatsachenmaterial, das so eine Darstellung nahe legte. Demnach liegt eine künstlerische Verarbeitung dieser Anhaltspunkte vor, die andere Grundrechte nicht tangiert. Einzig die Romanstelle, in der erzählt wird, Magda Schneider habe beim Einmarsch der Amerikaner ihren „Nazi-Schrein“ vergraben, bleibt auch nach diesem Urteil verboten. Hier mache der Autor nicht deutlich genug, dass der Leser nicht von einer recherchierten Tatsache ausgehen soll.