Gestern verbreitete sich die Meldung wie ein Lauffeuer: Der Mädchenmord von Emden scheint aufgeklärt zu sein. Ein 18-jähriger habe die Tat gestanden, so die Polizei und die Staatsanwaltschaft auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Doch der Fall sorgt auch aus einem weiteren Punkt für Aufsehen: Dem Umgang mit einem früheren Tatverdächtigen.
Schon drei Tage nach der Tat hatte die Polizei einen Verdächtigen in Emden festgenommen. Weitere Angaben wurden nicht gemacht: „Wir werden das in Ruhe abarbeiten. Mehr kann ich dazu heute nicht sagen”, so eine Polizeisprecherin. Schnell war klar: Es handelt sich um einen 17-jährigen Jungen. Mehrere Medien berichteten, er habe „kein Alibi”, die Ermittlungen sprächen „gegen ihn”. „Der Tatverdacht ist dringend, aber wir brauchen weitere Beweise”, erklärte später der Leitende Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck.
Aufgrund dieser Mitteilungen kam es vor der Polizeiwache zu einer Versammlung: Etwa 50 Leute sollen zur Lynchjustiz aufgerufen haben. Auch auf Facebook konnte man vorverurteilende Kommentare lesen. Wiederum zwei Tage später stellte sich dann aber heraus, dass der Junge mit dem Mord nichts zu tun hatte – er wurde freigelassen. Daraufhin wurde bereits gemutmaßt, dass „er kaum in der Lage sein [dürfte], sein normales Leben weiter zu führen.” Und all das, weil die Behörden Informationen zum Ermittlungsverfahren preisgaben, die dann auf offenbar fragwürdige Weise gedeutet wurden. Dementsprechend laut war auch die Kritik aus der Öffentlichkeit wegen der Vorverurteilung, als die Ermittlungsbehörden zugeben mussten, dass der 17-jährige unschuldig war.
Wie aber hätten sich die Behörden verhalten sollen, um so etwas zu verhindern? Zu dieser Frage gibt es Aufsätze in der juristischen Literatur, die sich en détail mit Befugnissen und Verpflichtungen von Justizpressesprechern auseinandersetzen. Dort wird beispielsweise unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angemerkt:
Daneben haben Justizpressesprecher zu beachten, dass sich ihre Arbeit regelmäßig auch auf laufende rechtliche Verfahren auswirkt. Hier gilt es, den Ablauf des Verfahrens möglichst ungestört zu lassen, was insbesondere auch die Rechte der Prozessbeteiligten umfasst. Außerdem sind die grundlegenden strafprozessualen Grundsätze zu beachten, wie (…) z. B. (…) die Unschuldsvermutung.
Für die Kommunkation bei laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ergibt sich daher:
Informationen aus laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sollten generell äußerst restriktiv gehandhabt werden. (…) [Es] ergibt sich aus einer Gesamtschau, dass Ermittlungsverfahren nur im Ausnahmefall Gegenstand gezielter Öffentlichkeitskommunikation werden sollten.
Entsprechend kritisch bewertete beispielsweise Henning Ernst Müller, Professor an der Uni Regensburg, die Pressearbeit der Behörden: „Es bestand überhaupt keine rechtliche Notwendigkeit irgendwelche Details der Ermittlungen gestern an die Presse zu kommunizieren. Es hätte völlig genügt, mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen, Auskünfte auf das allernötigste zu beschränken. Auch die staatsanwaltlichen Ermahnungen, dennoch die Unschuldsvermutung zu beachten, wirkten gegenüber konkreten Auskünften (kein Alibi, Widersprüche) nur als allg. abstrakte Verhaltensregel, die von den entsprechenden Presseorganen auch nicht befolgt wird.“, schrieb er im Beck-Blog.
Hinsichtlich der Festnahme blieb der Leitende Oberstaatsanwalt dabei: „Es blieb uns zu diesem Zeitpunkt keine andere Wahl, und dazu stehen wir. Insofern haben wir zu jeder Zeit richtig gehandelt.“ Richtig gehandelt bestimmt – jemanden wegen dringenden Tatverdachtes festzunehmen, ist eine vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob auch richtig kommuniziert wurde.
Natürlich ist eine effiziente Kommunikation in Aufsehen erregenden Kriminalfällen erwünscht und notwendig. Dennoch: Sehr bedacht erscheint die Kommunikation im Mordfall aus Emden nicht – zu gewichtig wähnt sich das Motiv des Erfolgsdrucks hinter alledem. Keinesfalls nachvollziehbar sind gleichzeitig die übertriebenen Reaktionen einiger weniger, die sofort nach Vergeltung schrien.
All das nützt nur dem falsch Verdächtigten nichts. Auch diesem müssen aber alle Überlegungen zugute kommen, wie man in einem Strafverfahren vernünftig nach außen kommuniziert. Ist dies nicht der Fall, ist man weitgehend hilf- und rechtlos. Nur 25 Euro pro Tag beträgt die Entschädigung , wenn man fälschlicherweise inhaftiert wird, § 7 StrEG. Mit 50 Euro Entschädigung muss sich nun wohl der falsch verdächtigte 17-jährige begnügen. Eine Tatsache, die allseits zum Nachdenken anregen sollte.
Hinweis zum Aufsatz „Befugnisse und Verpflichtungen von Justizpressesprechern“ auf Telemedicus.
Themenseite zum Mädchenmord von Emden bei der NOZ.
Interview zum Fall mit Fachanwalt für Strafrecht Gregor Rose auf Focus Online.