Inwiefern ist die Presse beim Abdruck von Zitaten oder Interviews für deren Inhalt verantwortlich und wie kann sie sich vor juristischen Konsequenzen schützen? Zunächst muss festgestellt werden, was bei vielen Journalisten Befremdlichkeit auslöst: Verlage und Redakteure haften durch die Verbreitung von fremden Äußerungen für diese grundsätzlich genauso wie die zitierten Personen selbst. Diese Verbreiterhaftung wird jedoch unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt, die von der Rechtsprechung entwickelt wurden. Vor allem auf dem Gebiet der Presseinterviews sind sich die Gerichte jedoch uneins, wann die Haftung für eine Äußerung entfällt.
Der Fall Markwort
Aktuell liegt dem BGH ein viel beachteter Fall zu diesem Thema zur Entscheidung vor, in dem sich Focus-Chefredakteur Helmut Markwort in den Vorinstanzen erfolgreich gegen die Verbreitung einer Äußerung in einem Interview in der Saarbrücker Zeitung gewehrt hatte. Das erwartete Urteil könnte Antworten auf einige offene Fragen auf dem Gebiet der Verbreiterhaftung für Presseinterviews geben. Im Hinblick auf diese Entscheidung bieten wir hier einen Überblick über den aktuellen Stand der „Verbreiterhaftung“ der Presse für die Äußerungen Dritter im Allgemeinen sowie im Sonderfall von Interviews.
Dabei geht es zunächst um die wichtigsten Erwägungen, Begriffe und Vorschriften, auf denen diese Haftung beruht. Im Anschluss erfolgt ein Überblick über die Haftungsbeschränkung und ihre grundsätzlichen Voraussetzungen Distanzierung und öffentliches Informationsinteresse. Schließlich wird die Rechtsprechung zur Fallgruppe der Presseinterviews vorgestellt und die Problematik des Markwort-Falls aufgezeigt.
Der Interessenkonflikt: Pressefreiheit gegen Betroffenenschutz
Ob die Presse als Verbreiter einer Äußerung in Anspruch genommen werden kann, hängt grundsätzlich von einer Abwägung der gegenüberstehenden Rechtspositionen im Einzelfall ab. Einerseits kann die Veröffentlichung einer Äußerung durch die Medien einen Betroffenen besonders schwer in seinen Rechten verletzen. Andererseits wären Presse und Rundfunk nicht mehr imstande, ihrem Auftrag zur Information der Öffentlichkeit und Sicherung der Meinungsvielfalt gemäß Art. 5 I S. 2 GG gerecht zu werden, wenn der Betroffene die Medien für jede von ihnen wiedergegebene unwahre Tatsachenbehauptung in Anspruch nehmen könnte.
Gesetzliche und begriffliche Grundlagen: Verbreitest du noch oder behauptest du schon?
Bei der Wiedergabe der Äußerung eines Dritten kann es sich entweder um ein „Verbreiten“ oder um ein „Behaupten“ handeln. Während eine „Behauptung“ der „Ausdruck seiner eigenen Ansicht“ ist, ist „Verbreiter“ bereits jeder, der an der Verbreitung einer Behauptung mitwirkt und so als Störer einen Tatbeitrag leistet. Dieser weite Verbreiterbegriff umfasst bei der Presse schon das körperliche Zugänglichmachen von Druckerzeugnissen wie etwa durch Pressegrossisten als so genannte technische Verbreiter. Die Redakteure und Verleger von Zeitungen, deren Haftung im folgenden erörtert werden soll, gehören demgegenüber der Gruppe der intellektuellen Verbreiter an. Diese zeichnen sich durch ihre gedankliche Beziehung zu den verbreiteten Inhalten aus.
Die Verbreiterhaftung ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut der §§ 824 BGB, 186 f. StGB, die für Tatsachenbehauptungen gelten. Aber auch aus anderen Vorschriften lässt sich eine Verbreiterhaftung ableiten. Beispielsweise kann der Verbreiter aus § 823 I BGB i.V.m. dem aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch für diffamierende Meinungsäußerungen Dritter als Störer in Anspruch genommen werden.
Haftungsumfang und Haftungsbeschränkung für Verbreiter
Eine Äußerung ist ihrem Verbreiter grundsätzlich genauso zuzurechnen wie demjenigen, der sie behauptet, sodass beide gleichermaßen als Störer haften. In ihren Rechtsfolgen unterscheidet sich die Verbreiterhaftung zunächst nur durch den Wegfall eines Anspruchs auf Widerruf und eine abweichende Formulierung im Falle einer Gegendarstellung. Sie wird allerdings unter geringeren Anforderungen als die Haftung des Behauptenden eingeschränkt.
So entfällt die Zurechenbarkeit einer Äußerung bei Vorliegen einer ausreichenden Distanzierung und einem öffentlichen Informationsinteresse an ihrer Mitteilung. Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt stark vom konkreten Sachverhalt ab und ist im Einzelnen umstritten.
Distanzierung: Der Leser muss zweifeln
Durch eine Distanzierung wird zunächst ausgeschlossen, dass sich die Presse eine Äußerung zu Eigen macht und sie dadurch nicht bloß verbreitet, sondern behauptet. So hat der BGH schon in seiner „Korruptionsvorwurf“-Entscheidung (GRUR 1969, S. 147 [150]) geurteilt, dass der Verbreiter der Äußerung eines Dritten für deren Inhalt dann zu haften habe, wenn es „an einem gleichzeitigen ernstlichen Entgegentreten“ fehle.
Die Anforderungen an eine solche Distanzierung sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Entscheidend ist, wie der Leser die Äußerungen in ihrem Gesamtzusammenhang auffasst. Bei der Beurteilung des Gesamteindrucks sind u.a. die technischen Mittel der Medien und ihre Wirkungsweise zu beachten. So können etwa bei Zeitungsartikeln die gewählte Überschrift oder die Hervorhebung von Zitaten durch Fettdruck Indizien für ein Zu-Eigen-machen sein. Insgesamt müssen für eine ausreichende Distanzierung nach Urteil des BGH (NJW 1986, S. 2503 [2504]) aus Sicht des Medienkonsumenten zumindest Zweifel an der Richtigkeit einer Aussage anklingen.
Öffentliches Informationsinteresse: Sensationslust genügt nicht
Damit die Verbreitung einer Äußerung gerechtfertigt ist, muss des Weiteren ein öffentliches Informationsinteresse an ihr bestehen. Die Zurechenbarkeit der Äußerung entfällt in diesem Fall nach dem Prinzip der Wahrnehmung berechtigter Interessen, das auch in den §§ 193 StGB und 824 II BGB normiert ist. Nach dem BGH (NJW 1993, S. 930 [931]) kann ein Wahrnehmen berechtigter Interessen nur vorliegen, wenn es um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit geht. Dies kann beispielsweise bei Äußerungen öffentlich bekannter Persönlichkeiten oder begründeten Vorwürfen schwerer Straftaten angenommen werden (vgl. KG, AfP 2001, S. 65 [66]; BVerfG, Beschluss v. 28.11.2008, Az. 1 BvQ 46/08), nicht jedoch in Fällen reiner Sensationslust.
Dieses öffentliche Informationsinteresse ist gegen die Rechte des von der Äußerung Betroffenen abzuwägen. Somit ist das erforderliche Maß an Informationsinteresse umso höher, je schwerer die Beeinträchtigung ist.
Kein Freifahrschein für falsche Tatsachen: Sorgfaltsanforderungen
Ferner kann die Presse nur dann auf ihr Recht zur Unterrichtung der Öffentlichkeit pochen, wenn sie die gebotene publizistische Sorgfalt wahrt. Denn eine Äußerung hat nur dann Öffentlichkeitswert, wenn ihre Richtigkeit in einem bestimmten Maße gewährt ist. Die Presse ist demnach verpflichtet, wiedergegebene Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Die Höhe der Sorgfaltsanforderungen steigt mit dem Maß der Beeinträchtigung der Rechte der Betroffenen.
Bei Meinungsäußerungen beschränken sich die Sorgfaltsanforderungen auf die Überprüfung, ob die Äußerung wirklich so getätigt wurde wie sie abgedruckt wird. Was die Verbreitung von Tatsachenbehauptungen angeht, muss zusätzlich auch ihr Inhalt überprüft werden. Es stellt sich aber die Frage, in welchem Maße der Presse die Überprüfung der Aussagen Dritter zumutbar ist. Dabei sind der Aktualitätszwang der Medien und ihre begrenzten Mittel zur Ermittlung der Wahrheit zu berücksichtigen.
Ob die Medien der publizistischen Sorgfalt genügen macht das BVerfG (NJW 2007, S. 2686 [2688]) davon abhängig, ob ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, der für den Wahrheitsgehalt der verbreiteten Information spricht. Falls dies nicht gegeben sei, müsse von einer Veröffentlichung insgesamt Abstand genommen werden.
Rechtsfolgen der Haftungsbeschränkung
Inwieweit sind also Verlage und Redaktionen von Zeitungen bei Vorliegen von Distanzierung und ausreichendem Informationsinteresse geschützt? Durch die fehlende Rechtswidrigkeit entfällt zwar die Haftung auf Geldentschädigung, Unterlassung und Schadensersatz, einer der medienrechtlichen Hauptansprüche kann jedoch weiterhin bestehen. Denn das Recht auf Gegendarstellung, das lediglich ein „Betroffensein” und ein „berechtigtes Interesse” des Gegendarstellungsberechtigten voraussetzt, bleibt unberührt.
Presseinterviews als Sonderfall der Verbreiterhaftung
Abweichend von den dargestellten allgemeinen Kriterien erscheint es bei bestimmten Arten von Beiträgen in der Presse aufgrund ihrer Eigenart geboten, die Verbreiterhaftung unter geringeren Anforderungen einzuschränken. So hat der BGH Ausnahmen von den strengen Haftungsgrundsätzen etwa für den Leserbrief- und Anzeigenteil einer Zeitung angenommen. Eine Privilegierung des Presseinterviews demgegenüber wird uneinheitlich beurteilt.
So gelten etwa nach dem LG Hamburg für Presseinterviews die allgemeinen Grundsätze der Verbreiterhaftung ohne Einschränkung. Will heißen: Eine deutliche inhaltliche Distanzierung in Verbindung mit einem öffentlichen Informationsinteresse ist zum Ausschluss der Zurechenbarkeit erforderlich. Eine Distanzierung könne etwa durch kritische, redaktionelle Anmerkungen erreicht werden, sich aber auch aus den gestellten Fragen ergeben.
Dem widerspricht ein Teil der Rechtsprechung: Die Presse solle grundsätzlich nicht für die Verbreitungen von Äußerungen in Interviews haften. So hat etwa das LG Düsseldorf (AfP 2000, S. 518) entschieden, dass bereits die Wiedergabe einer Äußerung in Interviewform als hinreichende Distanzierung genügen soll.
Prüfungspflicht bei Ehrverletzung: Die Fälle Schwarzer und Markwort
In ihrer jüngsten Rechtsprechung haben das OLG München (AfP 2007, S. 229) und das OLG Hamburg demgegenüber vermittelnde Positionen bezogen und Kriterien aufgestellt, unter denen die Verbreiterhaftung für Presseinterviews entfallen soll. Im Fall des OLG München hatte die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer in einem Interview mit der FAZ unzutreffende Tatsachen über das Frauenbild der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. behauptet. Das Gericht lehnte eine Haftung der Zeitung als Verbreiterin ab. Diese sei nicht verpflichtet gewesen, die Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, weil diese keine besonders schwere Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten enthielten. Eine Prüfung wäre beispielsweise erst bei ehrverletzenden, beleidigenden Äußerungen erforderlich gewesen. Wie bei Leserbriefen bestehe bei Interviews nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht.
Ähnlich wie das OLG München machte auch das OLG Hamburg das Eingreifen der Verbreiterhaftung im Fall Markwort von der Schwere der Beeinträchtigung des Betroffenen durch die veröffentlichte Äußerung abhängig. Der Autor, Kabarettist und Fernsehmoderator Roger Willemsen wurde in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung mit der Behauptung zitiert, Focus-Chefredakteur Helmut Markwort hätte in seinem Magazin angegeben, ein Interview mit Ernst Jünger geführt zu haben, das bereits zwei Jahre zuvor in der Bunten erschienen war. Dies erwies sich als falsche Tatsachenbehauptung. In seiner Vorentscheidung hatte das LG Hamburg die Haftung eines Verlags für eine Drittäußerung in einem Zeitungsinterview bejaht und eine strenge Verbreiterhaftung für Presseinterviews angenommen. Das OLG Hamburg bestätigte dieses Urteil, nahm eine Verbreiterhaftung für ungeprüfte Behauptungen aber nur bei einer besonders schweren Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten an. Eine solche sei durch den verbreiteten Vorwurf gegen Markwort in seiner Rolle als Chefredakteur gegeben. Eine Revision des Rechtsstreits vor dem BGH wurde zugelassen und wird am 17. November 2009 verhandelt.
Pro und Contra: Strenge Verbreiterhaftung oder Privilegierung für Interviews?
Für die Annahme einer strengen Verbreiterhaftung bei Presseinterviews, wie das LG Hamburg sie fordert, spricht der originär redaktionelle Charakter dieser journalistischen Darstellungsform. Sowohl die Auswahl und Formulierung der Fragen als auch die finale Bearbeitung des Artikels sind Entscheidungen der Presse. Theoretisch ist auch die Überprüfung aller Aussagen des Interviewpartners auf ihren Wahrheitsgehalt möglich. Dies dürfte in der Praxis allerdings Schwierigkeiten bereiten.
Würde man das Interview privilegieren, könnte dies außerdem dazu führen, dass die Presse durch die Wahl dieser Darstellungsweise rechtmäßig unwahre Tatsachenbehauptungen abdrucken würde, deren Verbreitung andernfalls rechtswidrig wäre. Insofern erscheint es erforderlich, dass bei der Haftung für die Verbreitung von Äußerungen in Interviews nichts anderes gilt als für Zitate in anderen redaktionellen Beiträgen.
Es dürfte mit dem Schutz der Betroffenenrechte also nicht vereinbar sein, die Zurechenbarkeit von Äußerungen in Interviews generell auszuschließen. Andererseits ist auch die Überprüfung jeder Behauptung der Presse nicht zumutbar – so beispielsweise im Falle von Äußerungen anerkannter Experten, bei denen das Vertrauen auf ihre Sachkunde geschützt sein muss. Wohl aber zumutbar ist die Nachprüfung des Wahrheitsgehalts von Tatsachenbehauptungen, die Dritte ganz offensichtlich besonders schwer in ihren Rechten verletzen können. Es darf mit Spannung erwartet werden, wo der BGH hier im Fall Markwort die genaue Grenze der Zurechenbarkeit zieht.
medium:online: Der Fall Markwort und die Verbreiterhaftung für Interviews.