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EGMR: Meinungsfreiheit schützt Einsatz versteckter Kamera

Das Recht der freien Meinungsäußerung gemäß Artikel 10 EMRK schützt auch den Einsatz versteckter Bild- und Tonaufnahmen. Dies hat der EGMR gestern entschieden (Az. 21830/09). Insbesondere kann dies gelten, um Missstände zu belegen und dubiose Geschäftemacher zu überführen. Das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufdeckung von Missständen überwiege dabei die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen aus Artikel 8 EMRK.

Zum Sachverhalt: Versteckte Kamera deckt Vorgehen in der Versicherungsbrache auf

Gegenstand des Urteils war ein Bericht der Sendung „Kassensturz“ in der Schweiz aus dem Jahr 2003. „Kassensturz“ ist eine wöchentliche Sendung zum Verbraucherschutz. In dem beanstandeten Bericht wurde ein Gespräch zwischen einem Versicherungsberater und einer Kundin ausgestrahlt. Die Aufnahmen wurden mittels einer versteckten Kamera angefertigt. Sie wurden jedoch in der Form anonymisiert, dass nur noch die Haar- und Hautfarbe des Versicherungsberaters zu erkennen waren. Das Gesicht war verpixelt, die Stimme verfälscht. „Kassensturz“ wollte damit das Vorgehen in der Versicherungsbranche, namentlich den Verkauf ungeeigneter Versicherungsleistungen, dokumentieren.

2008 hatte das Schweizer Bundesgericht die betroffenen vier Journalisten und Redakteure wegen des Einsatzes der versteckten Kamera zu einer Geldstrafe verurteilt. Grundlage der Verurteilung bildeten die Artikel 179a und 179 des Schweizer Strafgesetzbuchs.

Zur Entscheidung des EGMR: Einsatz von versteckter Kamera als legitimes Mittel

Der EGMR erkannte die Anfertigung der versteckten Aufnahmen in seinem Urteil am Dienstag (Az. 21830/09) als rechtmäßig an. Zu beachten sei nach Ansicht des Gerichts, dass ein Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 10 EMRK nur unter drei strengen Voraussetzungen zulässig sei: Der Eingriff muss gesetzlich vorgeschrieben sein, ein oder mehrere Ziele verfolgen oder in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein.
Ziel der Artikel 179a und 179 sei nicht, die Privatsphäre des Einzelnen, sondern die Vertraulichkeit der nicht öffentlichen Unterhaltungen im Allgemeinen, zu schützen. Ein Eingriff in Art. 10 EMRK sei für diesen Fall somit nicht gesetzlich indiziert. Die Vorschriften des Schweizer Strafgesetzbuchs seien in einer demokratischen Gesellschaft auch nicht notwenig.

Das Gericht bezog sich auch auf die Bedeutung der Presse und den Medien in einer demokratischen Gesellschaft. Dabei sei die Rolle der Medien als Wachhund von besonderer Bedeutung. Diese Funktion wollten die Journalisten und Redakteure nach Ansicht des EGMR erfüllen und sich mit ihrem Beitrag an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligen.

Das öffentliche Interesse an den Informationen über das Vorgehen in der Versicherungsbranche überwiege daher die Persönlichkeitsrechte des Versicherungsberaters. Das Schweizer Bundesgericht habe die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 10 EMRK der betroffenen Journalisten und Redakteure nicht hinreichend beachtet und durch sein Urteil eingeschränkt.

Bewertung

Hierzulande hat das Urteil wegen des ohnehin starken Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit durch die deutschen Gerichte wohl eine geringere Bedeutung als in der Schweiz. Das Urteil unterstreicht die Notwendigkeit der Wachhundfunktion der Medien jedoch auch national enorm.

Beachtlich ist, dass einer der Richter des EGMR eine gegenteilige Auffassung vertritt und in seinem Sondervotum gerade keine Verletzung des Art. 10 EMRK annimmt. Richter Lemmens sieht in den Normen des Schweizer Gesetzbuchs vordergründig die Privatsphäre des Einzelnen geschützt. Er nimmt daher ein Überwiegen der Persönlichkeitsrechte des Versicherungsberaters gegenüber dem öffentlichen Interesse an.

Die Entscheidung im Volltext in der Telemedicus-Datenbank.

, Telemedicus v. 25.02.2015, https://tlmd.in/a/2907

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