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EGMR: Chilling Effects in der innerprozessualen Kommunikation

Hans-Peter Lehofer hat mich dankenswerterweise auf eine Entscheidung des EGMR hingewiesen (Entscheidung vom 22.10.2008, No. 513/05). In dieser Entscheidung drehte es sich um einen österreichischen Rechtsanwalt, der der Lebensmitteluntersuchungsanstalt Wien schriftsätzlich vorgeworfen hatte, sie unternehme „Schummelversuche.” Das führte zu einer Disziplinarstrafe für den Anwalt. Der EGMR hatte sich dann mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Verurteilung im Disziplinarverfahren mit der EMRK vereinbar war.
Im Ergebnis bejahte der Gerichtshof das – allerdings nur mit einer knappen Mehrheit von 4 zu 3 Stimmen. Die Minderheit schreibt in ihrer dissenting opinion, dass sie u.a. dem Abwägungsergebnis der Entscheidung nicht folgen wollte. Zu Gunsten des Anwalts bringt sie in Anschlag, dass eine Verurteilung ja auch ein „chilling effect” für die zukünftige Arbeit von diesem und anderen Anwälten bedeutet:

After all, disciplinary action against a lawyer is to be taken very seriously, as it has a potential chilling effect. With regard to disciplinary proceedings, the Court has already found that the mere threat of an ex post facto review of criticism voiced by counsel is difficult to reconcile with his duty to defend the interest of his client and would have a “chilling effect” on the practice of his profession (see Nikula, cited above, § 54, and Steur v. the Netherlands, no. 39657/98, § 44, ECHR 2003-XI).

Dieser Aspekt betrifft nicht die gesellschaftliche Kommunikation, wie sie eine Demokratie benötigt. Hier geht es um die prozessuale Kommunikation, wie sie ein Rechtsstaat benötigt. Gemeint ist hier nicht die Meinungsfreiheit oder ein ähnliches Grundrecht, sondern die Arbeit des Rechtsanwalts als „Organ der Rechtspflege”. Trotzdem kommt die dissenting opinion hier zu einer Anwendung des chilling effects-Gedanken.

Das lenkt den Blick darauf, dass es auch neben der gesellschaftlichen Kommunikation auch andere Formen der Kommunikation gibt, die das GG anerkennt und schützt. Neben der prozessualen Kommunikation wäre das z.B. auch die Kommunikation im Parlament, die vom Grundsatz der Indemnität fast absolut geschützt wird (Art. 46 Abs. 1 GG).

, Telemedicus v. 23.07.2009, https://tlmd.in/a/1414

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