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DSGVO: Unterlassungsanspruch und immaterieller Schaden – zwei Dauerbrenner

Am 26.09.2023 legte der Bundesgerichtshof (BGH) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einige Fragen zur Vorabentscheidung vor. Dabei geht es um zwei Themen, die die Streitlust der Jurist:innen schon des Öfteren herausgefordert haben: Lassen sich Unterlassungsansprüche aus der DSGVO ableiten und sperrt sie nationale Unterlassungsansprüche? Und was ist ein immaterieller Schaden nach der DSGVO?

Was war geschehen?

Der spätere Kläger hatte sich bei der beklagten Privatbank über das Online-Portal Xing beworben. Der Kläger stellte Gehaltsforderungen, aber die ablehnende Antwort landete nicht nur bei ihm, sondern versehentlich auch bei einer dritten Person. Der Kläger kannte diesen Dritten, da beide im gleichen Berufsfeld gearbeitet haben.

Nun ging der Kläger gegen die Bank vor: Er forderte Unterlassung der (erneuten) Weitergabe seiner persönlichen Daten; löschen müsse die Bank diese hingegen nicht. Darüber hinaus forderte er Ersatz des immateriellen Schadens. Sein immaterieller Schaden bestehe konkret darin, dass der Dritte die Daten weitergeben und sich einen Vorteil in Bewerbungsprozessen verschaffen könne. Außerdem empfinde er die gescheiterten Gehaltsverhandlungen als eine „Schmach“, die durch die Weitergabe der Daten offengelegt und vergrößert worden wäre.

Vor dem erstinstanzlichen Landgericht Darmstadt hatte seine Klage zum Teil Erfolg: Das Gericht verurteilte die beklagte Bank zur Unterlassung einer (erneuten) Datenweitergabe und zur Zahlung von 1.000 € Schadenersatz. Die Bank ging in Berufung.

Das Oberlandesgericht Frankfurt beließ es bei der Verurteilung zur Unterlassung, aber verwarf die Forderung nach dem Schadensersatz.

Daraufhin ging der Rechtsstreit vor den BGH. Dieser setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die folgenden Fragen vor.

Das will der BGH vom EuGH wissen

Die Fragen des BGH lassen sich zusammenfassen und in zwei Gebiete unterteilen: Fragen zum Unterlassungsanspruch und zum immateriellen Schaden.

Die Fragen zum Unterlassungsanspruch:

  1. Lässt sich ein Unterlassungsanspruch aus der DSGVO herleiten, wenn der Betroffene nicht verlangt, die Daten zu löschen?
  2. Welche Voraussetzungen hätte ein unionsrechtlicher Unterlassungsanspruch (zB eine Wiederholungsgefahr)?
  3. Falls der EuGH einen DSGVO-Unterlassungsanspruch verneint: Kann man auf das nationale Recht zurückgreifen, um dem Betroffenen einen Unterlassungsanspruch zuzusprechen?

Die Fragen zum immateriellen Schaden:

  1. Ab welchem Grad der negativen Gefühle bzw. der Nachteile für die betroffene Person besteht ein immaterieller Schaden?
  2.  Ist der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen, des Auftragsverarbeiters oder des Mitarbeitenden ein relevantes Kriterium für die Höhe des Schadens?
  3. Wirkt sich ein parallel bestehender Unterlassungsanspruch des Betroffenen anspruchsmindernd aus?

Auch andere nationale Gerichte und die rechtswissenschaftliche Literatur haben sich ähnliche Fragen bereits gestellt und sehr unterschiedlich beantwortet.

Bild: Gerd Altmann/geralt | pixabay

Der Unterlassungsanspruch (nur) nach der DSGVO

Habe ich einen Anspruch auf Unterlassung, wenn meine personenbezogenen Daten rechtswidrig verarbeitet werden? Die Antworten auf diese Frage sind vielfältig.

1. Position: Es gibt zwar einen Anspruch auf Unterlassung, aber nur in den engen Grenzen der DSGVO.

Das Recht auf Löschung von Daten (Art. 17 DSGVO) könne man als Unterlassung der weiteren Speicherung dieser Daten verstehen. Wenn die Verletzung der DSGVO anhält, dann könne der Betroffene ein Unterlassen der rechtswidrigen Handlung auch im Rahmen des Schadensersatzes nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO fordern.

Die nationalen Unterlassungsansprüche (insb. § 823 Abs. 1 iVm § 1004 BGB) könnten nicht herangezogen werden. Die DSGVO sei als Verordnung unmittelbar geltendes Recht und entfalte daher Sperrwirkung.

Diese Ansicht vertreten einige Stimmen in der Literatur und das OLG Frankfurt (Az. 16 U 22/22); dieses Urteil ist jedoch bislang nicht rechtskräftig.

Was würde diese Ansicht für den oben geschilderten Fall bedeuten? Der Kläger verlangte keine Löschung der Daten und die unbefugte Datenweitergabe an den Dritten war bereits abgeschlossen; die Verletzung der DSGVO hielt also nicht mehr an. Dementsprechend käme kein Unterlassungsanspruch aus der DSGVO in Betracht und nationale Ansprüche wären gesperrt. Der Kläger hätte keinen Anspruch auf Unterlassung einer Datenweitergabe.

2. Position: Die DSGVO sei zwar vorrangig, aber enthalte auch etliche Öffnungsklauseln; eine solche stelle Art. 79 Abs. 1 DSGVO dar. Als Ausprägung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz solle diese Regelung einen wirksamen Rechtsbehelf zur Abwehr einer rechtswidrigen Datenverarbeitung ermöglichen. So werde ein lückenloser gerichtlicher Rechtsschutz geschaffen. Die DSGVO solle wehrhaft gegen jede Form der rechtswidrigen Datenverarbeitung sein und deswegen dürften die Rechtsschutzmöglichkeiten nicht eingeschränkt werden. Nationale Unterlassungsansprüche könnte man also über die Öffnungsklausel des Art. 79 Abs. 1 DSGVO heranziehen.

Diese Ansicht wird ebenfalls in der Literatur und in der Rechtsprechung vertreten, insb. vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Az. 5 BV 20.2104).

Angewendet auf den Fall: Der Kläger hätte einen (nationalen) Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1 iVm § 1004 BGB. Dies vertraten die ersten beiden Instanzgerichte.

Diese zwei gegensätzlichen Positionen zeigen, wie wichtig eine klärende EuGH-Entscheidung ist, um Rechtssicherheit zu schaffen – für alle Beteiligte.

Immaterieller Schaden – und täglich grüßt die Erheblichkeit

Am 04.05.2023 jubelte die Datenschutzwelt: Die Entscheidung des EuGH zum immateriellen Schadensersatz ist da („Österreichische Post“, Az. C-300/21). Doch die Ernüchterung kam postwendend; wann ein immaterieller Schaden vorliegt, hatte der EuGH nicht erklärt. Immerhin legte das Urteil fest, dass ein Schadensersatzanspruch (1.) einen Verstoß und zusätzlich einen (2.) kausalen (3.) Schaden voraussetze. Der Anspruchsteller müsse einen konkreten Schaden darlegen, allerdings gäbe es keine Erheblichkeitsschwelle. Ein dargelegter Schaden löse immer einen Schadensersatzanspruch aus – auch wenn der Schaden noch so klein sei.

Was auf den ersten Blick vernünftig aussah, offenbarte auf den zweiten ein Problem: Ab welchem Ausmaß der negativen Gefühle bzw. der Nachteile für die betroffene Person besteht ein immaterieller Schaden? Die Frage nach der Erheblichkeit wurde durch die Entscheidung des EuGH also nur verschoben. Von „Wie erheblich muss ein Schaden sein, damit er ersatzfähig ist?“ zu „Wie erheblich müssen die Nachteile für die betroffene Person sein, damit ein Schaden vorliegt?“.

Daher blieb auch nach diesem EuGH-Urteil eine zentrale Frage der Praxis bestehen: Können schon negative Gefühle wie Ärger, Sorge oder Angst ein immateriellen Schaden nach der DSGVO sein? Die Rechtsprechung in Deutschland beantwortet diese Frage unterschiedlich; die Mehrheit verneint sie.

Eine klarstellende EuGH-Entscheidung ist also auch hier von großer Bedeutung.

Wann entscheidet der EuGH?

Vorlageverfahren vor dem EuGH dauern im Schnitt ungefähr eineinhalb Jahre. Dementsprechend könnte man frühestens Anfang 2025 mit einer Antwort auf diese wichtigen Fragen rechnen. Ganz so lange müssen wir hoffentlich nicht mehr warten: Ähnliche Fragen zum Unterlassungsanspruch und zum immateriellen Schaden sind auch schon Gegenstand anderer Vorlageverfahren vor dem EuGH, zB der Rechtssachen C-21/23 (Unterlassung) und C-340/21 (immaterieller Schaden).

In der Rechtssache C-21/23 („Lindenapotheke“) legte ebenfalls der BGH dem EuGH u.a. folgende Fragen vor:

Kann ein Unternehmer einen Unterlassungsanspruch aus nationalem Wettbewerbsrecht (hier aus § 8 UWG) gegen einen Konkurrenten geltend machen, weil dieser gegen die DSGVO verstößt und daher wettbewerbswidrig handelt? Oder ist die DSGVO diesbezüglich abschließend?

In der Rechtssache C-340/21 („VB/Natsionalna agentsia za prihodite“) legte ein bulgarisches Gericht dem EuGH u.a. diese Frage vor:

Kann die bloße Befürchtung eines künftigen Missbrauchs der personenbezogenen Daten einen immateriellen Schaden auslösen?

In dieser Sache sind die Schlussanträge des Generalanwalts (GA) am EuGH bereits im April 2023 ergangen. Daher ist mit einer Entscheidung des EuGH voraussichtlich noch in diesem Jahr zu rechnen. Der GA Pitruzzella ist der Ansicht, dass die Befürchtung eines künftigen Missbrauchs von personenbezogenen Daten einen immateriellen Schaden darstellen könne; wenn die betroffene Person nachweist, dass sie „individuell einen realen und sicheren emotionalen Schaden“ erlitten habe. Dies sei von den Gerichten in jedem Einzelfall zu prüfen. Die Schlussanträge eines GA sind für den EuGH nicht bindend, finden aber Gehör.

Demnach behandelt der EuGH einige ähnliche Vorlagefragen wie die des BGH bereits in anderen Prozessen. Unabhängig davon, in welchen Verfahren die Probleme um den Unterlassungsanspruch und den immateriellen Schaden erörtert werden: Eine schnelle und eindeutige Klärung der Fragen wäre begrüßenswert.

Zur Pressemitteilung des BGH

, Telemedicus v. 19.10.2023, https://tlmd.in/-11389

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