Einsatz von Tracking-Programmen kann abgemahnt werden
Vor wenigen Wochen hat das Landgericht Berlin ein Urteil des AG Berlin Mitte bestätigt, das das Verfolgen von User-Bewegungen auf Homepages verbietet. Und damit für einige Aufregung in der Internetszene gesorgt. Denn bisher war es nichts Außergewöhnliches, wenn sich die Betreiber so über die Benutzung ihrer Web-Seiten informierten. Über sogenannte „Tracker“ lässt sich ermitteln, welcher Nutzer zu welcher Zeit wie lange welche Datei aufgerufen hat. Dazu werden die IP-Adressen der Besucher gespeichert. Und genau diese Speicherung verstößt nach Ansicht der beiden Berliner Gerichte gegen das Gesetz.
Das Justizministerium auf der Beklagtenseite
Angeklagt war im vorliegenden Fall das Bundesjustizministerium (BMJ). Dieses hatte die Daten von Besuchern der Seite „www.bmj.bund.de“ für 14 Tage gespeichert. Der Kläger sah sich dadurch in seinen Rechten verletzt und verlangte vom BMJ Unterlassung der Speicherungen. Ein Anspruch auf Unterlassung ergibt sich aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dieser Paragraph schützt eigentlich das Eigentum. Wenn er zum Schutz anderer Rechte herangezogen wird, kommt lediglich eine analoge Anwendung in Betracht. Im vorliegenden Fall ist das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Dieses Recht aus den Art. 1 und 2 GG besagt, dass jeder selbst bestimmen darf, welche „seiner“ Daten er wem zugänglich macht. Es wird durch das BDSG und das speziellere TKG bzw. TMG geschützt.
Hier hielt das Gericht § 15 Abs. 4 TMG für einschlägig. Diese Norm regelt die Speicherung von Nutzungsdaten durch Internetdiensteanbieter. Grundsätzlich werden im Datenschutzrecht nur Daten mit Personenbezug geschützt. Also solche, die einen Rückschluss auf eine Person erlauben – ihr zugeordnet werden können. Es genügt, wenn die Person durch zusätzliches Wissen bestimmbar ist. Dabei kommt es auf die Kenntnisse des Datenverarbeiters an – man spricht von einem „relativen Personenbezug“.
Aber welches Wissen ist dafür ausschlaggebend? Nur das des Datenverarbeiters? Auch das von Dritten? Vielleicht auch solches, das man nur auf illegale Weise erlangen kann? Nach Ansicht des Gerichts ist der Begriff des Personenbezugs sehr weit zu verstehen. Demnach sind auch (dynamische) IP-Adressen erfasst. Diese werden zwar bei jedem Einwählen ins Internet neu vergeben. Aber mit Hilfe des Wissens Dritter (z. B. Access-Provider) ist ein Personenbezug herstellbar:
Eine Verneinung des Personenbezuges von dynamischen IP-Adressen mit der Folge der Nichtanwendbarkeit des TDDSG und TDSV, beziehungsweise jetzt des TMG und des TKG, hätte zur Folge, dass diese Daten ohne Restriktionen an Dritte z.B. den Access-Provider übermittelt werden könnten, die ihrerseits die Möglichkeit haben, den Nutzer aufgrund der IP-Adresse zu identifizieren, was mit dem Grundgedanken des Datenschutzrechts nicht vereinbar ist.
Im Normalfall müsen die Nutzungsdaten (also solche mit Personenbezug) gem. § 15 TMG nach Ende der Nutzung gelöscht werden. Nur ausnahmsweise dürfen die Daten auch länger gespeichert bleiben: Etwa, wenn sie zur Abrechnung der Dienste benötigt werden. Im vorliegenden Fall konnte sich das Justizministerum jedoch auf keine dieser Ausnahmen berufen. Mit der Speicherung hat es gegen die Norm und die Rechte des Klägers verstoßen. Er kann also für die Zukunft vom BMJ die Unterlassung der Speicherung verlangen.
Die Diskussion des Urteils im Netz
Das Urteil wurde mit unterschiedlichen Reaktionen aufgenommen: Datenschützer sehen hierin einen großen Schritt für mehr Anonymität und damit einen Beitrag zu einer freien Diskussionskultur im Netz. Andere halten diese neuen Vorgaben der Rechtsprechung für „Wahnsinn“ bzw. für schlichtweg nicht umsetzbar: Die Speicherung der IP-Adresse vollkommen zu verhindern, ist bei vielen Web-Seiten nur unter großem Aufwand möglich. Oder man müsste mit aufwändigen, praxisuntauglichen Einwilligungserklärungen arbeiten. Außerdem hat, wer eine Internetseite betreibt, in vielen Fällen überhaupt keinen Einfluss auf die Speicherung von IP-Adressen – das bestimmen die Hosting-Unternehmen.
Zum Teil wird auch mit einem „virtuellen Hausrecht“ argumentiert: Web-Seiten-Betreiber hätten ein Recht darauf, zu wissen, wer sich auf ihren Seiten herumtreibt. Hinzu kommt, dass die Speicherung der IP-Adressen notwendig sein kann, um Fehler auf der Web-Seite zu beheben. Sie ist also für die Wartung und Pflege des Internet-Auftritts nötig. Trotzdem zeigt das Urteil auf, dass der Einsatz von Tracking-Programmen unter Umständen in die Persönlichkeitsrechte der Nutzer eingreifen kann – und wenn diese Rechte verletzt werden, dann habe die Nutzer auch ein Recht darauf, darin geschützt zu werden. Auch nach diesem Urteil wird man demnach noch viel über die richtige Abwägung zwischen dem Datenschutz und anderen Interessen diskutieren.
Das Urteil des AG Berlin Mitte (Az. 5 C 314/06).
Das Urteil des LG Berlin (Az. 23 S 3/07).
Illusion der Anonymität: Interview zum Thema „Tracking“.
We respect your privacy – Initiative für Anonymität im Netz.