Ein Gastbeitrag von Simon Schlauri
Am Montag hat der Vorsitzende der US-amerikanischen Federal Communications Commission (FCC), Julius Genachowski, neue Regeln vorgeschlagen (PDF), mit denen die amerikanischen Breitband-Internet-Service-Providers (ISPs) verpflichtet werden sollen, Internetinhalte, -anwendungen und -dienste nichtdiskriminierend zu behandeln, also die „Netzneutralität” zu wahren.
Hintergrund der Regelung der Netzneutralität ist, dass die bisherige Funktion des Internets als Innovationsmotor gewahrt werden soll, indem weiterhin die Endverbraucher, und nicht die ISPs, über Erfolg und Misserfolg von Inhalten, Anwendungen und Diensten des Internet entscheiden.
Die FCC hatte bereits vor einiger Zeit vier Prinzipien zur Netzneutralität bekanntgegeben (PDF):
1. To encourage broadband deployment and preserve and promote the open and interconnected nature of the public Internet, consumers are entitled to access the lawful Internet content of their choice.
2. (…) consumers are entitled to run applications and use services of their choice, subject to the needs of law enforcement.
3. (…) consumers are entitled to connect their choice of legal devices that do not harm the network.
4. (…) consumers are entitled to competition among network providers, application and service providers, and content providers.
Im Wesentlichen enthalten diese Prinzipien Verbote für ISPs, ihren Kunden den Zugang zu (legalen) Internetinhalten, -anwendungen und -diensten zu verwehren und ihnen den Anschluss von Geräten an das Internet zu verunmöglichen. Die Prinzipien waren zunächst allerdings rechtlich unverbindlich.
Die FCC will nun diese vier Prinzipien für verbindlich erklären und durch zwei weitere, ebenfalls verbindliche Prinzipien ergänzen. Der Wortlaut der neuen Prinzipien ist noch nicht bekannt, indessen umschrieb Genachowski ihren Inhalt in seinem Vortrag:
Diskriminierungsverbot
Gemäss dem neuen fünften Prinzip soll es Breitband-ISPs verboten werden, bestimmte Internetinhalte oder –anwendungen zu „diskriminieren“. ISPs sollen m.a.W. keine Anwendungen blockieren dürfen und sie sollen auch nicht in den Wettbewerb zwischen den Anwendungsanbietern eingreifen, indem sie einzelne von ihnen bevorzugen. Verboten soll es den ISPs auch sein, Anwendungen zu benachteiligen, weil diese mit ihren eigenen traditionellen Angeboten in Konkurrenz stehen: So dürfte ein Kabelnetzbetreiber ein Angebot für Internetfernsehen nicht mehr bremsen, bloß weil es mit seinen eigenen Kabelfernsehkanälen in Konkurrenz steht, oder ein Mobilfunkanbieter dürfte Skype nicht mehr blockieren, bloß weil er befürchtet, seine Kunden würden nun Skype anstelle der teureren Mobilfunkminuten verwenden.
Ausgenommen von der Nichtdiskriminierungsregel des fünften Prinzips soll einzig ein „vernünftiges Netzwerkmanagement“ bleiben: ISPs sollen beispielsweise die Möglichkeit haben, zu Zeiten der Überlastung den Verkehr von Nutzern zu bremsen, die das Internet übermäßig belasten und dadurch andere Nutzer behindern.
Transparentes Netzwerkmanagement
Ein sechstes Prinzip stellt sodann sicher, dass die ISPs über die genannten Techniken des Netzwerkmanagements transparent informieren. Sie sollen verständlich und präzise darlegen, unter welchen Bedingungen sie welche Datenströme blockieren oder bremsen. Dies soll – so Genachowski – dazu führen, dass die Verbraucher über die Dienste, die sie bekommen, informiert werden, dass die Anwendungsanbieter ihre Produkte effizienter an den Mann bringen können, und dass die Politik die nötige Information erhält, um eine effiziente Regulierung vorzunehmen.
Im Oktober will die FCC einen ersten Entwurf für eine Kodifikation der sechs Prinzipien veröffentlichen. Interessierte Kreise werden aufgefordert, am Prozess der Formulierung der Prinzipien und bei deren Konkretisierung im Hinblick auf die Anwendung mitzuwirken.
Kommentar:
Dass die FCC nun eine schärfere Gangart in Sachen Netzneutralität ankündigt, überrascht nicht: Präsident Obama hatte bereits im Wahlkampf versprochen, eine entsprechende Regelung einzuführen.
Die Ankündigung von Regeln, die dazu führen sollen, dass auch bei den Internetinhalten, -anwendungen und -diensten die Verbraucher – und nicht einige wenige ISPs – über Erfolg und Misserfolg entscheiden sollen, scheint leicht nachvollziehbar. Mit ihrer Regelung nimmt die FCC allerdings in Kauf, die Motivation der ISPs zum Ausbau der Breitbandnetze zu schmälern, denn mit Exklusivabsprachen zwischen ISPs und Anwendungsanbietern sowie mit dem Ausschluss von internetbasierter Konkurrenz etwa zur Telefonie oder zum TV ließe sich viel Geld verdienen, und mit den Gewinnaussichten sinken tendenziell auch die Anreize für Investitionen.
Dieses Opfer bringt die FCC allerdings zu Recht, denn anders als in diesen Märkten für Internetzugang und -infrastruktur, die naturgemäß aufgrund des hohen Kapitalbedarfs nur wenigen Anbietern überhaupt offen stehen, leben die Märkte für Internetinhalte, -anwendungen und -dienste von niedrigen Marktzutrittsschranken, und diese sind es, die in den vergangenen Jahren für einen technologischen Boom gesorgt haben, wie wir ihn in so kurzer Zeit noch selten gesehen haben. Exklusivdeals oder gar der Ausschluss der Konkurrenz könnten diese bisher rasche Entwicklung demgegenüber beeinträchtigen.
Netzwerkmanagement: ISPs entscheiden letztlich doch
Im Detail ist allerdings auch vorsichtige Kritik angebracht, und zwar im Bereich des „Netzwerkmanagements”. Denn Netzwerkmanagement bedeutet nichts anderes, als das ISPs letztlich eben doch entscheiden, wer – zumindest in Stausituationen – gegenüber anderen den Vortritt erhalten soll.
Dies mag hinzunehmen sein, wenn kein besseres Mittel zur Verfügung steht, um das Letzte aus der Infrastruktur des Internet herauszukitzeln. So etwa bei IPTV, also bei hochqualitativen TV- Übertragungen über die Infrastruktur des Internet.
Der Markt als bessere Lösung gegen Stau im Netz?
Allerdings gibt es für andere Fälle von Stau im Netz, gerade bei „übermäßiger Nutzung” durch Einzelne, eine bessere Lösung als das verpönte „Winner Picking” durch die ISPs: Nämlich den Markt. Wenig spricht dagegen, die Nutzung der Internetinfrastruktur so auf die Endkundenpreise abzubilden, dass „Otto Alles-Sauger” von seinem Tun abgeschreckt oder zumindest auf ein gemeinverträgliches Maß einschränkt wird. Das Mittel dazu kennen wir aus den heutigen Mobilfunkverträgen: Sie beinhalten zumeist eine „gedeckelte Flatrate“, also ein freies Datenvolumen, bei dessen Überschreitung der Nutzer nochmals zur Kasse gebeten wird. Legt man den „Deckel“ hier so fest, dass der allergrößte Teil der Nutzer im gesteckten Rahmen bleibt, nehmen diese Nutzer das Abonnement wie eine Flatrate wahr und werden nicht in ihrer Nutzung beschränkt. Die „übermäßigen” Nutzer hingegen – und nur wenige Prozent der Nutzer machen den ISPs hier wirklich Sorgen – werden sich genau überlegen, ob sie tatsächlich ein derart großes Interesse an den übertragenen Daten haben, um halt mehr dafür zu zahlen, oder ob es doch in erster Linie die Lust an der schieren Masse ist, die man bisher gratis saugen konnte, und auf die man leicht verzichten kann. Einmal mehr sorgt der Markt also für ein effizientes Ergebnis, weil bedürfnisgerechte Produkte angeboten werden.
Es bleibt damit zu hoffen, dass die FCC den ISPs mit dem unverdächtigen Terminus „Netzwerkmanagement” nicht doch noch eine Hintertür für unnötige Verletzungen der Netzneutralität öffnet.
Transparenz auf den ersten Blick geeignet
Das sechste Prinzip, das den ISPs Transparenz über ihre Maßnahmen des Netzwerkmanagements vorschreibt, scheint auf den ersten Blick geeignet, um die ISPs von allzu scharfen Eingriffen in die Netzneutralität abzuhalten: Ein ISP dürfte Schwierigkeiten haben, seinen Nutzern die Einschränkung beliebter Dienste zu verklickern, ohne eine Kundenabwanderung befürchten zu müssen. Allerdings dürften solche Maßnahmen vom durchschnittlichen Verbraucher nur dann als einschränkend wahrgenommen werden, wenn die wenigen großen Angebote betroffen sind, die ohnehin jeder besucht. Der ISP, der per Netzwerkmanagement „zufällig” einen kleinen unliebsamen Entwickler ausschließt, wird solches nicht zu spüren bekommen.
Genau um die kleinen Entwickler geht es aber bei der Netzneutralität: Sie haben das Netz zu dem gemacht, was es heute ist. Deshalb dürfte die FCC Recht haben, wenn sie schon heute nicht nur auf Transparenz, sondern unmittelbar auf Markteingriffe zugunsten eines freien und offenen Internets setzt.
Bemerkungen des FCC-Vorsitzenden Genachowski zur Netzneutralität (PDF).
Dr. Simon Schlauri ist Rechtsanwalt und habilitiert an der Universität Zürich zum Thema Netzneutralität.