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DGRI: „Schutz der Offenheit – Schutz vor Offenheit“

Wenn die Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik e. V. (DGRI) zu ihrer Jahrestagung ruft, kommen sie alle: Juristen, Informatiker, Techniker, Politiker. Alle? Nein, nicht alle. Ein Mensch aus der Whistleblowing-Region leistet passiven Widerstand. Daniel Domscheit-Berg sollte ursprünglich die Keynote halten, musste aber absagen: „persönliche Gründe“. Stattdessen ließ es sich Marina Weisband, politische Geschäftsführerin der Piratenpartei nicht nehmen, über Offenheit in der Politik zu referieren. Ein Tagungsbericht.
München im November und IT-Recht

Vom 10. bis 12. November war es wieder einmal soweit: Die DGRI hielt ihre Jahrestagung ab – dieses Mal in München. Ganz allgemein geht es bei der DGRI um den „Bereich der Schnittstelle zwischen Informatik und EDV-Technik einerseits sowie Recht und Wirtschaft andererseits“.

Die Gesellschaft hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Zusammenarbeit von Lehre, Forschung und Praxis zu fördern. Sie beschäftigt sich dabei mit Rechtsfragen der Informationsverarbeitung, dem Einsatz der Informationstechnik im Rechtswesen und der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen für die Informationstechnik. Das soll einerseits ihren Mitgliedern zugute kommen. Andererseits will man aber auch Einfluss auf Gesetzgebung und Rechtsprechung nehmen. Im beeindruckenden Ambiente des Hilton Park Hotel trafen sich also gut 130 Teilnehmer, um über das Thema „Schutz der Offenheit – Schutz vor Offenheit“ zu diskutieren.

Ein Königreich für einen Spiegel

Marina Weisband kam dabei die „Keynote-Ehre“ zuteil. Mit ihrem Vortrag „Offenheit als politischer Auftrag und zwischenmenschliche Herausforderung“ nahm sie diese Herausforderung an – und überzeugte mit eingängigen Gedanken, elaboriert neu zusammengemischt, die den Hauch einer kleinen Offenbarung hatten.

Ausgangspunkt war die interessante Beobachtung, dass der derzeitige demokratische Prozess dem Fortschritt im Digitalzeitalter nicht gerecht werde: Alle vier Jahre ein Kreuz auf einem Wahlzettel zu setzen, entspräche gerade einmal einer Datenübertragung von zwei Byte. Das Internet biete aber die Möglichkeit, den Informationsfluss ganz neu zu nutzen. Man könne und solle seine eigenen Gedanken mitteilen, Informationen weitergeben, andere teilhaben lassen. So entstünde mehr Verantwortlichkeit für jeden Einzelnen. Gleichzeitig könne man sich die „Schwarmintelligenz“ zu nutze machen. Das führe letztlich zu einer moralischen und ethischen Politik, denn die einzige Voraussetzung für moralische Politik sei, alle mitentscheiden zu lassen.

Dafür brauche man Transparenz und Offenheit. Offenheit habe hier aber zusätzlich eine menschliche Komponente: Man müsse verständliche Sprache nutzen, dürfe Gesetzeslücken nicht ausnutzen, solle den Beruf „entmystifizieren“ und vermenschlichen und als Politiker Anregungen und Kritik annehmen. Der ideale Politiker sei „der Politiker als Mensch“. Auf der anderen Seite stünde aber auch die Gesellschaft in der Pflicht: Diese müsse Fehler verzeihen und Meinungsänderungen akzeptieren. Die Grenze solcher Offenheit liege schließlich in legitimen Staatsinteressen oder dem Datenschutz.

Diese Worte klangen erfrischend, erfrischend mutig und erfrischend anders. Da stand nun eine 24-jährige Psychologiestudentin vor einer Vielzahl erfahrener Juristen und sprach mit der Leichtigkeit des Seins davon, dass man keine teuren Anzüge tragen müsse, um seinen Job gut zu machen. Ob das auch einen kleinen Seitenhieb ins Publikum beinhaltete, wird wohl niemals geklärt werden. Es war aber womöglich ein großer, gut gemeinter Spiegel, den Marina Weisband (auch) den Anwesenden vorhielt. Dementsprechend kritisch wurde ihr Vortrag anschließend diskutiert.

Umfangreiches, anspruchsvolles Programm

Die DGRI hat es sich zur Aufgabe gemacht, IT und Recht in einen harmonischen Ausgleich zu bringen. Dazu dient alljährlich auch die Jahrestagung. Dementsprechend vielfältig waren auch die diesjährigen Beiträge. Unter dem zentralen Thema der „Offenheit“ wurden zwei Themenblöcke, parallele Sitzungen und sonstige Einzelvorträge abgehalten. Dabei kam das gesamte Spektrum der aktuell so heiß diskutierten Fragen zum Vorschein: Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung, Klarnamenzwang, um nur drei Beispiele zu nennen.

„Offenheit – ein Wert an sich?“, fragte einer der Themenblöcke. Wie sich ein Softwareanbieter plötzlich in der Rolle eines Telekommunikationsanbieters wiederfindet, erläuterte ein Vortrag. Warum Apple als App-Store-Betreiber gegen Vertrags- und Kartellrecht verstößt, erklärte ein anderer.

So vielfältig wie die Themen waren, so heiß diskutiert wurden die Vorträge. Als Ausgleich wurde ein exquisites Rahmenprogramm geboten. An eine Führung durch die Pinakothek der Moderne schloss sich dort ein Abendessen an. Eingeladen haben verschiedene Münchener IT-Rechts-Kanzleien. Dort kam auch der IT-Beauftragte der bayrischen Staatsregierung zu Wort – und gab in seiner Kompetenz als „CIO“ beispielsweise auch etwas zum von ihm (unbewusst?) so genannten „Computer Chaos Club“ zum Besten.

Alter Wein in neuen Schläuchen? Novellierung des Datenschutzrechts

Dieses Jahr gab es neben althergebrachten Tagungsabläufen auch eine Neuerung: Alle anwesenden Mitglieder sollten in die Entscheidungsfindung der DGRI mit einbezogen werden. Aufhänger hierfür war ein Thema, das bereits seit geraumer Zeit (auch) in der Netzgemeinde schwelt: das Datenschutzrecht besser auf das Informationszeitalter anzupassen. Jochen Schneider, weithin bekannter IT-Rechtler und DGRI-Mitglied, gab bereits im April dieses Jahres einen neuen Impuls dafür: die komplette Novellierung des Datenschutzrechts – in diesem Fall anhand von 10 Thesen.

Ausgangsüberlegung war, dass ein zeitgemäßes Rahmenkonzept geschaffen werden müsse. Permanent nur Details zu modifizieren, könne die Probleme nicht ausreichend lösen. Die Politik fordere Innovationen, die den neuen gesellschaftlichen Bedingungen in der Informationsgesellschaft gerecht werden müssten. Diese zu verwirklichen, sei aber nur mittels Informationen und insbesondere personenbezogener Daten möglich. Informationen hätten sich im digitalen Zeitalter schließlich als „Währung“ etabliert. Dennoch verbiete das Datenschutzrecht den Umgang mit personenbezogenen Daten zunächst, um ihn dann mit komplexen, schwer durchschaubaren Regelungen wieder zu erlauben.

Eine der Kernthesen war daher, das Verbotsprinzip als oberstes Prinzip des Datenschutzes abzuschaffen und erst auf einer späteren Stufe innerhalb eines ausgeglichenen Stufenmodells wieder greifen zu lassen. Besonders kritisch wurde auch der Aspekt beleuchtet, dass ein effektives Datenschutzrecht nur international, gegebenenfalls beschränkt auf Europa, Wirkung beanspruchen könne.

Die anschließende Diskussion brachte einige kritische Beiträge hervor. Weitestgehend wurde den Thesen aber zugestimmt. Die hervorgebrachten Argumente sollen nun in einem der vielen Fachausschüsse der DGRI, dem Fachausschuss Datenschutz, genutzt und verarbeitet werden.

Fazit

Bereits in seinem Vorwort wies Anselm Brandi-Dohrn, Vorsitzender der DGRI, darauf hin, dass es sich beim Thema „Schutz von und vor Offenheit“ um ein höchstpolitisches Thema handele. Nichtsdestotrotz zeigte sich auf der Jahrestagung, wie eng die Rechtswissenschaft damit verknüpft ist. Die DGRI setzte mit ihrer diesjährigen Jahrestagung an diesen Schnittpunkten an. Sie reflektierte dabei aktuelle Entwicklungen kritisch und schaffte es gleichzeitig, konkrete Blicke in die Zukunft zu werfen.

Dass dabei auch neue Methoden wie eine besondere Form der Mitgliederpartizipation verwendet wurden, ist beinahe bezeichnend. So könnte man festhalten, dass „Offenheit“ und „Schwarmintelligenz“ auf schnellen Füßen ihren Weg schließlich auch in die DGRI gefunden haben – und das kann wiederum den rechtswissenschaftlichen Diskurs positiv beeinflussen. Für die Zukunft könnte das nicht nur bedeuten, dass auch der „Jurist als Mensch“ wieder etwas in den Vordergrund gelangt. Es könnte auch zur Folge haben, dass man das schwierige Zusammenspiel von Recht und Informationsgesellschaft erneut ein Stück weiter vorangetrieben hat.

Weiterer Bericht von Tagungsstipendiat Sven Asmussen.

Offenlegung: Der Verfasser hat als Tagungsstipendiat an der DGRI-Jahrestagung 2011 teilgenommen.

, Telemedicus v. 20.12.2011, https://tlmd.in/a/2124

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