Das Bundesjustizministerium hat heute einen höchst fragwürdigen Entwurf eines „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes” zur Bekämpfung von „Hate Speech” und „Fake News” angekündigt. Der Entwurf ist von von Netzpolitik.org geleakt worden (PDF). Wir nehmen dies zum Anlass, einen Kommentar zur „HateSpeech”-Debatte von Simon Assion, der für das demnächst erscheinende DIVSI-Magazin vorgesehen ist, leicht modifiziert vorab auf Telemedicus zu veröffentlichen.
„Hatespeech” ist nichts wirklich Neues. Schon immer haben Menschen gehasst, und schon immer haben Menschen diesen Hass auch ausgesprochen. Und doch geht es bei der Debatte um „Hatespeech” um etwas, das sich in unserer Gesellschaft gerade ganz grundsätzlich verschiebt. Denn der Hass manifestiert sich heute schriftlich und öffentlich, nicht mehr nur im privaten Kreis.
Aber was soll das eigentlich sein, Hatespeech? Hinter der Bezeichnung „Hatespeech“ steht auch ein Wandel in der Bewertung solcher Äußerungen – und damit ein genereller Paradigmenwandel in der Medienpolitik. Wer den Begriff „Hatespeech“ gebraucht, der zeigt, dass es ihm weniger um den Schutz der persönlichen Ehre der Betroffenen geht, sondern mehr um die Eindämmung ganz bestimmter Meinungen und Äußerungen.
Das Wort „Hatespeech“ ist ungenau und interpretationsoffen. Gerade dies macht den Begriff aus Sicht der Politik attraktiv. Politiker schreiben sich gerne auf ihre Fahnen, politische Initiativen gegen „Hatespeech” zu unterstützen – wer sollte auch dagegen sein? Wer gegen „Hatespeech“ kämpft, kämpft vermeintlich für ein gutes Ziel, weil niemand „Hatespeech” wirklich in Schutz nehmen will. Aber was abstrakt gesehen sinnvoll erscheint, lässt sich kaum in die Praxis übertragen. Denn im Einzelfall ist die Einstufung einer Äußerung als „Hatespeech” kaum umsetzbar. Was der eine für untragbare Hetze hält, bewertet der andere als verzeihlichen (oder sogar nachvollziehbaren) Gefühlsausbruch. Des einen „Hatespeech” ist nun einmal des anderen Meinungsäußerung.
Eben aus diesem Grund sehen viele Beobachter die Initiativen gegen „Hatespeech” sehr kritisch. Versteckte Zensurinstrumente seien dies, vermuten Kritiker. Und in der Tat laufen viele der Initiativen darauf hinaus, mit staatlichen Mitteln Einfluss auf die öffentliche Debatte zu nehmen. Stärker, als dies dem Staat eigentlich erlaubt ist.
In Deutschland gibt es seit mehreren Jahrzehnten ein fein ausdifferenziertes Medien- und Äußerungsrecht. Die grundsätzlichen Koordinaten dieses Rechtsgebietes sind universell, die gelten auch für „Hatespeech”:
Unser heute geltendes Mediensystem hat den großen Vorteil, staatliche Einflussnahme auf die politische Debatte weitgehend zu vermeiden. Dies ist essenziell für die Funktionsfähigkeit einer Demokratie. Denn Demokratie lebt davon, dass die Bürger den Staat kontrollieren und steuern, nicht umgekehrt. Demokratie funktioniert nur, wenn sich Bürger unbefangen untereinander austauschen können und die Institutionen, die diesen demokratischen Austausch unterstützen – die Medien – dabei nicht behindert werden.
Der Nachteil, der mit diesem Ansatz einhergeht, ist der schwache Schutz der Betroffenen vor Rechtsverletzungen. Im Bereich der Medien, einschließlich Social Media, hält sich der Staat zurück. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Es soll eben kein „Wahrheitsministerium” entstehen, das wie in George Orwells „1984” den Bürgern vorschreibt, was sie zu sagen und zu denken haben. Für Betroffene von Beleidigungen, Hetze oder Mobbing bedeutet die staatliche Zurückhaltung allerdings, dass sie von der Hoheitsmacht kaum Unterstützung erwarten können.
Unser aktuelles Äußerungsrecht verleiht den Betroffenen zwar durchaus (zivilrechtliche) Abwehransprüche. Wer im Internet beleidigt oder verleumdet wird, kann die Täter vor den Zivilgerichten verklagen. Aber um dies tun zu können, braucht fast jeder die Unterstützung eines Rechtsanwalts und muss außerdem die Prozesskosten vorschießen. Für viele ist das zu mühsam und zu teuer. Eine zivilrechtliche Klage kann außerdem nur einreichen, wer die Identität des Beklagten kennt. Längst nicht immer ist das der Fall.
Zu den zivilrechtlichen Abwehransprüchen kommt das Strafrecht hinzu. Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Volksverhetzung, öffentlicher Aufruf zu Straftaten – all dies ist bereits jetzt strafbar. In der Theorie könnten Polizei und Staatsanwaltschaften solchen Äußerungen deshalb selbstständig nachgehen, die Täter ermitteln und sie der Strafverfolgung zuführen. In der Praxis werden strafrechtliche Ermittlungsverfahren aber nur selten eingeleitet und führen noch seltener zur Verhängung von Strafen. Denn Polizei und Staatsanwaltschaften sehen sich nicht als „Meinungspolizei” und verfolgen nur solche Äußerungen, die ganz eindeutig strafbar sind. Und auch die schiere Masse der entdeckten und angezeigten Delikte macht es den Behörden schwer.
Im Ergebnis heißt das: Gefühlt 99 % der rechtswidrigen Äußerungen im deutschsprachigen Internet bleiben ungeahndet.
Ist dies ein Zustand, der so bestehen bleiben sollte? Oder ist es nicht auch andersherum eine Gefährdung der Demokratie, wenn bestimmte Menschen von einer Welle von Hassäußerungen überflutet werden – mit keinem anderen Schutz als dem eigenen „dicken Fell“?
Wer glaubt, es gäbe kein akutes Problem mit „Hatespeech“, sollte sich einmal damit auseinandersetzen, was es für viele Politiker, Aktivisten und Journalisten heutzutage bedeutet, sich zu kontroversen Themen öffentlich zu äußern. Beleidigungen übelster, sexueller oder rassistischer Art sind nicht nur alltäglich, bei Spitzenpolitikern treten sie im Minutentakt auf. Häufig kommt es zu ganz konkreten Bedrohungssituationen, z.B. durch Verbreitung der Privatadresse. In vielen Fällen bleibt es nicht bei der abstrakten Bedrohung, sondern es gibt Angriffe. Brandanschläge wie auf das Auto der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry, eingeworfene Scheiben wie bei der Privatwohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow oder sogar Mordanschläge wie auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Kein Klima, das Meinungsträger und Politiker dazu einlädt, sich zu Themen wie Flüchtlingen, Religionspolitik oder der inneren Sicherheit noch öffentlich zu äußern.
Kann unsere Gesellschaft es zulassen, wenn Meinungs- und Funktionsträger eingeschüchtert und bedroht werden? Wollen wir es zulassen, dass unser politischer Diskurs zu einem Schreiduell wird? Einem Meinungskampf, in dem sich nicht die Meinungsströmung mit den besten Argumenten durchsetzt, sondern die, die ihre Gegner am besten überschreit und einschüchtert?
Natürlich sind soziale Medien an der Verbreitung von Hass und Gewalt nicht „schuld” – das sind die Menschen, die solche Meinungen äußern. Aber das heißt nicht, dass Medienunternehmen keine Verantwortung dafür übernehmen sollten, was sich auf ihren Plattformen abspielt. Man kann diese Verantwortung als „Sozialpflichtigkeit des Eigentums” einordnen, so steht es im Grundgesetz (Art. 14 Abs. 2). Man kann auch simpler einfach von einer „Verkehrssicherungspflicht” sprechen. Zum Betrieb eines Wirtschaftsunternehmens gehört es nun einmal, den Betrieb so auszugestalten, dass niemand dabei zu Schaden kommt. Am Ende läuft es auf dasselbe hinaus: Auch soziale Medien sind Medien, und natürlich darf und soll es deshalb auch für soziale Medien ein „Medienrecht” geben.
Es gibt durchaus bereits einschlägige Gesetze. Insbesondere gilt § 54 des Staatsvertrags für Rundfunk und Telemedien: Anbieter von Internetangeboten sind nach dieser Bestimmung verpflichtet, die verfassungsmäßige Ordnung und die allgemeinen Gesetze zu beachten. Auch die Gesetze zum Schutz der persönlichen Ehre sind einzuhalten. Für Internetangebote mit journalistisch-redaktioneller Gestaltung gilt zusätzlich eine Verpflichtung auf die anerkannten journalistischen Grundsätze.
Sicherlich ist § 54 des Rundfunk- und Telemedienstaatsvertrags noch nicht der Endpunkt der Debatte. Aber er zeigt doch, dass nicht alles neu erfunden werden muss, sondern das geltende Medienrecht bereits Strukturen vorgibt, auf denen eine Weiterentwicklung aufbauen kann. Dabei stehen verschiedene Modelle zur Auswahl: Vom „laissez faire”-Ansatz wie beim deutschen Presserat bis hin zur strengen Aufsicht durch spezialisierte „Medienanstalten”, wie sie im Rundfunkbereich praktiziert wird. Auch das Jugendschutzrecht kann als Anregung dienen. Dort hat sich ein Modell der freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen etabliert, die sogenannte Co-Regulierung.
Vieles von dem, was bestimmte Politiker sich in den letzten Wochen zur Bekämpfung ungeliebter Äußerungen gewünscht haben, gehört allerdings in die politische Klamottenkiste. Insbesondere gilt dies für Vorschläge, bei denen Bundesbehörden zur Bekämpfung bestimmter Äußerungen ermächtigt werden sollen. So hatte hat das Bundesinnenministerium vorgeschlagen, beim Bundeskanzleramt ein sogenanntes „Fake News-Abwehrzentrum“ einzurichten – ein Vorschlag, der aus gleich mehreren Gründen offensichtlich verfassungswidrig ist. Dasselbe gilt für das jüngst veröffentlichte „Netzwerkdurchsetzungsgesetz”, das dem Bundesamt der Justiz eine solche Rolle zuweisen soll. Denn Medienregulierung muss staatsfern organisiert sein, abgeschirmt von politischer Einflussnahme. Außerdem ist die Medienaufsicht Ländersache, nicht Aufgabe von Bundesbehörden. Vor allem aber ist bereits der Ansatz verfehlt: „Hatespeech” und „Fake News” sind politische Kampfbegriffe, kein tauglicher Ansatz für Regulierung. Medienregulierung hat in einer offenen Demokratie auch viel mit Fingerspitzengefühl und Zurückhaltung zu tun.
Kommentar zum „Netzwerkdurchsetzungsgesetz” auf Netzpolitik.org.
Kommentar zum Gesetz auf dem CR-Blog.