Was eint die Irin Shelby Lynn, das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel und die deutsche Youtuberin Kayla Shyx? Ein Spannungsverhältnis zu Rammstein-Frontmann Till Lindemann. Seit Ende Mai sieht sich Lindemann mit Vorwürfen konfrontiert; vor allem junge Frauen werfen ihm Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe vor. Vor dem Landgericht (LG) Hamburg konnte der Sänger einige (Teil-)Erfolge erzielen. Eine rechtliche Analyse.
Den Anfang machte Shelby Lynn: Die 25-jährige Irin twitterte am 25. Mai einige Bilder und ein Video, auf denen ihre Blutergüsse zu sehen sind. Sie behauptet, dass diese von einem Rammstein-Konzert stammen würden. Allerdings könne sie sich nicht mehr daran erinnern, wann genau die Verletzungen entstanden seien, da sie unter dem Einfluss von bewusstseinsverändernden Substanzen gestanden habe. Diese seien ihr vermutlich auf dem Rammstein-Konzert verabreicht worden.
Daraufhin gingen weitere junge Frauen mit unterschiedlichen Vorwürfen an die Öffentlichkeit. Der zentrale Vorwurf: Lindemanns Assistentin Alena Makeeva habe die jungen Frauen mit einem Casting gezielt ausgesucht und diese hätten dann sexuelle Kontakte mit Lindemann gehabt – unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen.
Die Youtuberin Kayla Shyx (bürgerlich: Kaya Loska) veröffentlichte am 5. Juni das Video „Was wirklich bei Rammstein Afterpartys passiert“. Darin berichtete sie von ihren (negativen) Erfahrungen bei einem Rammstein-Konzert und las einige Chatverläufe mit Frauen vor, die angeblich ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Lynn, Shyx und die anderen Frauen waren Teil der sog. „Row Zero“ – der vordersten Reihe eines Rammstein-Konzerts.
Zu den vermeintlichen Vorfällen berichtete der Spiegel Anfang Juni; dabei wurden auch die Aussagen einiger interviewter Frauen wiedergegeben.
Till Lindemann ging sowohl gegen den Spiegel als auch gegen Shyx vor. Die Kanzlei Schertz Bergmann vertrat ihn jeweils vor dem LG Hamburg. Vor allem Christian Schertz repräsentierte in Verfahren rund um den Persönlichkeitsschutz bereits bekannte Namen, z.B. Cristiano Ronaldo, Thomas Gottschalk und Jan Böhmermann.
Lindemann 2017 bei der Buchmesse in Frankfurt; Foto: Sven Mandel | Creative Commons
Das LG Hamburg untersagte dem Spiegel am 14. Juli per einstweiliger Verfügung einige Passagen des Artikels, die von Lindemann angegriffen wurden (Az. 324 O 228/23). Andere gerügte Teile der Berichterstattung ordnete das LG als zulässig ein. Der Beschluss liegt Telemedicus vor.
Worum ging es in dem Prozess? Das LG Hamburg prüfte in seinem Beschluss zwei Punkte: Ergibt sich aus den Aussagen der Zeuginnen eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Verdachtsberichterstattung des Spiegels? Und wenn ja, überwiegt das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die Beeinträchtigung von Lindemanns Persönlichkeitsrecht?
Keine ausreichende Tatsachengrundlage gab es laut dem LG Hamburg für den Verdacht, dass es in der Rammstein-Crew gängige Praxis sei, die Frauen als „Schlampenparade“ zu bezeichnen, die zur exklusiven After-Aftershow-Party eingeladen wurden. Das Gleiche gilt für den Begriff „Resteficken“ für die Frauen, die nicht zu dieser exklusiven Party durften. Auch gab es nicht genügend Anhaltspunkte für einen Streit zwischen Lindemann und Rammstein-Mitglied Kruspe um eine junge Frau.
Im Spiegel-Artikel gaben einige Frauen an, dass ihre Getränke „gespiked“ – also mit K.O.-Tropfen oder Ähnlichem versetzt – worden seien. Nur eine Zeugin hat explizit den Verdacht geäußert, dass Lindemann und seine damalige Assistentin systematisch jungen Frauen Alkohol und Drogen gegeben hätten – mit dem konkreten Ziel, sie gefügig zu machen. Dies reichte dem LG nicht als Tatsachengrundlage für einen solch „schwer ehrenrührigen Verdacht“. „Es hat ein System der Manipulation junger Frauen mittels Drogen und Alkohol zu Sexzwecken gegeben“, ist also eine unzulässige Behauptung.
Ausreichende Tatsachengrundlagen gibt es laut dem LG Hamburg hingegen für Aussagen über das folgende Thema: sexuelle Handlungen mit Fans, die unter erheblichem Alkohol- und Drogeneinfluss standen – ohne dass Lindemann oder seine Assistentin die Frauen zu diesen sexuellen Handlungen manipuliert hätten. Das LG wog nun zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse und Lindemanns Persönlichkeitsrecht ab.
Lindemanns Sexualkontakte zu den Fans fielen laut der Gerichtsentscheidung nicht automatisch in dessen Intimsphäre. Denn während eines Konzerts hatte der Sänger ein Video gezeigt, in dem er Sex mit einer Konzertbesucherin hatte – unter der Bühne in einer „eigens dafür installierten Vorrichtung“. Nach der Auffassung des Landgerichts habe Lindemann daher kein Geheimhaltungsbedürfnis bezüglich des Themas „Sex mit seinen Fans“. Die Berichterstattung über diese sexuellen Kontakte greife somit nicht in seine Intimsphäre ein.
Dennoch sei die starke Beeinträchtigung von Lindemanns Persönlichkeitsrecht bei der Abwägung zu berücksichtigen. Die Berichterstattung berühre sensible Vorgänge (Sexualleben) und zeichne ein „sehr ehrabträgliches Bild“ des Sängers. Diesem Persönlichkeitsschutz stehe aber ein gewichtiges öffentliches Informationsinteresse gegenüber: Die Thematik sei Teil der „mit hoher medialer Aufmerksamkeit geführten ‚MeToo-Debatte‘“ und der „großen öffentlichen Debatte um Geschehnisse rund um die Konzerte“ von der weltweit bekannten Band Rammstein. Weiterhin sei es von hohem öffentlichem Interesse, dass eine Band ein System unterhalte, bei dem junge Frauen zu Partys rekrutiert würden, bei denen es viel Alkohol gebe und sexuelle Kontakte mit Lindemann üblich seien. Das LG beschloss daher, dass der Spiegel diese Äußerungen veröffentlichen durfte.
Die Trennlinie zwischen verbotener und erlaubter Aussage ist damit sehr dünn:
„Die Frauen erhielten Drogen und Alkohol, damit sie mit Lindemann sexuell aktiv werden.“
ist verboten.
„Till Lindemann hatte Sex mit stark alkoholisierten Fans.“
ist grundsätzlich erlaubt.
Das LG Hamburg bestätigte den Eilbeschluss mit seinem Urteil vom 25. August (Az. 324 O 228/23). Ist dies das Ende des Rechtsstreits? Laut LTO legt das Verhalten des Spiegel-Rechtsanwalts vor Gericht nahe, dass der Spiegel die weiteren Instanzen anrufen wird, um seine Interessen durchzusetzen. Nächster Stopp: Das Hanseatische Oberlandesgericht.
Rammstein Konzert; Foto: Maëva Vigier | Unsplash
Nicht nur gegen den Spiegel zog Lindemann vor Gericht. Auch die Youtuberin Kayla Shyx musste sich wegen ihres Lindemann-Videos vor dem LG Hamburg verantworten. Dieses untersagte ihr sechs Aussagen ihres Videos am 24. Juli per einstweiliger Verfügung (Az. 324 O 264/23). Auch dieser Beschluss liegt Telemedicus vor.
Nach der Auffassung des LG Hamburg sind Shyx‘ Äußerungen zum Teil prozessual unwahre Tatsachenbehauptungen und zum Teil unzulässige Meinungsäußerungen. Eine Tatsachenbehauptung ist beweisbar – also wahr oder unwahr. Das Gericht behandelt Tatsachenbehauptungen als prozessual unwahr, wenn die sich äußernde Person nicht beweisen kann, dass ihre Aussage wahr ist. Demgegenüber ist eine Meinungsäußerung eine persönliche Wertung oder Einschätzung. Meinungen basieren meist auf Tatsachen oder beziehen sich auf diese, sodass es schwer sein kann, Aussagen trennscharf in diese beiden Kategorien einzuordnen.
Die folgenden Äußerungen ordnete das LG Hamburg als prozessual unwahre Tatsachenbehauptungen ein:
„Shelby war bei seinem Konzert und wurde dort unter Drogen gesetzt […]. Was eine Welle an Opfern losgelöst hat, die das Gleiche beim Rammstein-Konzert erlebt haben.“
„Die Mädchen werden besoffen gemacht, sie trinken zusammen mit ihm. Anscheinend werden bei einigen Mädchen auch K.O.-Tropfen reingemacht […]. Das heißt, es werden Fan-Girls da reingebracht, sie werden besoffen gemacht und dann sucht er sich aus, mit wem er Sex haben will.“
„Sie wurde halt vor dem Konzert so wie Shelby und viele andere gedrugt und schreibt, dass sie am Ende Sex mit ihm hatte und zwar komplett unter Drogen gestellt. Das sind so viele Fälle. Das ist so schlimm. Oh Digger.“
„Und dass jetzt so viele Mädchen auch gesagt haben, dass sie unter K.O.-Tropfen waren und sich an nichts erinnern können, ist halt so herzzerreißend. Oder dass sie spüren, dass sie blutend aufwachen und wissen, dass ihnen was passiert ist, woran sie sich aber nicht erinnern können. Das ist so schlimm.“
Diese Aussagen seien prozessual unwahre Tatsachenbehauptungen, urteilte das LG Hamburg. Da Shyx diese Äußerungen getätigt hat, müsse sie auch beweisen, dass sie der Wahrheit entsprechen, z.B. durch eidesstattliche Versicherungen der Frauen, auf deren Berichte Shyx sich beruft. Denn der Zuschauer des Videos gehe davon aus, dass die Ereignisse wie von Shyx geschildert tatsächlich geschehen sind. Sie könne allerdings nicht glaubhaft machen, „welche Informationen ihr vorliegen, aus denen sich die Wahrheit der behaupteten Vorwürfe ergibt.“ Daher seien diese Aussagen vor Gericht als unwahr zu behandeln.
„Es ist genauso eine Scheiße wie bei so R. Kelly und diesen ganzen pädophilen Vergewaltigern, die irgendwelche 15-jährigen ficken wollen.“
„Auf der ganzen Welt nutzen Männer ihre Machtposition aus. Mädchen sexuell zu missbrauchen, weil sie so ein ganzes riesen fucking System um sich herum haben, beschützt zu werden. Und es ist einfach nichts Neues. Wir wissen, dass sowas passiert. Und Till Lindemann ist einer davon.“
Das LG Hamburg bewertet diese Aussagen als unzulässige Meinungsäußerungen. Diese Meinungsäußerungen knüpften an Tatsachenbehauptungen an und diese wiederum könne Shyx nicht glaubhaft machen. Es besteht also das gleiche Problem wie bei den ersten vier Aussagen: Kayla Shyx konnte ihre Äußerungen nicht ausreichend auf belegbare Tatsachen stützen.
Das LG Hamburg bestätigt damit seine Linie aus dem Spiegel-Beschluss: Unzulässig ist die Behauptung, dass Lindemann oder seine Assistentin systematisch Drogen oder K.O.-Tropfen an Fans vergeben hätten, um Sex mit Lindemann zu ermöglichen. Dass Lindemann Sex mit betrunkenen oder unter Drogen stehenden Fans gehabt haben soll, ist dagegen eine zulässige Aussage.
Die Verfahren gegen den Spiegel und Shyx waren nur der Auftakt für weitere äußerungsrechtliche Prozesse um das Thema Lindemann bzw. Rammstein.
Laut der FAZ haben Lindemann und seine Anwälte vor dem LG Hamburg weitere einstweilige Verfügungen gegen die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) und den NDR erwirkt. Dabei ging es um die Berichterstattung über vermeintliche sexuelle Übergriffe, die weiter in der Vergangenheit liegen sollen.
Im Gegensatz dazu wies das LG Frankfurt einen Antrag Lindemanns auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die SZ zurück (Az. 2-03 O 306/23). Die SZ berichtete über zwei Frauen, an denen Lindemann sexuelle Handlungen vorgenommen haben soll – ohne deren Zustimmung.
Ein Unterlassungsantrag Lindemanns gegen Shelby Lynn scheiterte vor dem LG Hamburg (Az. 324 O 256/23): „the girl that got spiked AT Rammstein. please read my posts“ darf weiterhin in der Profilbeschreibung ihrer Social-Media-Kanäle stehen. Das LG ordnet diese Aussage als zulässige Meinungsäußerung ein.
Auch im Strafrecht ist der Fall Lindemann präsent: Seit Anfang Juni hatte die Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Sänger ermittelt wegen Tatvorwürfen aus dem Bereich der Sexual- und Betäubungsmitteldelikte. Nun hat sie das Ermittlungsverfahren eingestellt; es bestünde kein hinreichender Tatverdacht.
Zu LTO über den Spiegel-Beschluss
Zu LTO über den Shyx-Beschluss