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Das Kirchhof-Gutachten im Detail

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine allgemein zugängliche Quelle.” Mit diesen Worten beginnt das 85-seitige Gutachten von Professor Dr. Paul Kirchhof, in dem er sich mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von verschiedenen Modellen der Rundfunkfinanzierung auseinandersetzt. Der ehemalige Verfassungsrichter hat das Gutachten im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio angefertigt.

Im Ergebnis befürwortet er die Einführung einer neuen allgemeinen Haushaltsabgabe zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Telemedicus hat sich das Gutachten einmal genauer angesehen und fasst die wesentlichen Inhalte zusammen.
Rahmenbedingungen

Um sich dem Gutachten inhaltlich zu nähern, sollte man sich zunächst die Eckpunkte vor Augen führen, innerhalb derer sich Kirchhofs Stellungnahme überhaupt bewegt. Denn sowohl das deutsche Verfassungsrecht, als auch das europäische Gemeinschaftsrecht stecken für die Rundfunkfinanzierung die Grenzen ab:

1. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG immer wieder betont, dass es Aufgabe des Staates ist, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu gewährleisten. Dieser muss jedoch so organisiert – und damit auch finanziert – sein, dass ein unmittelbarer Einfluss des Staates so weit wie möglich ausgeschlossen ist (BVerfGE 12, 205; 57, 295; 59, 231; 90, 60; 121, 30). Gleiches gilt auch für die Beeinflussung durch ökonomische Interessen des Marktes, etwa bedingt zu starke Abhängigkeit von Werbeeinnahmen.

2. Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besteht nicht nur in einer Mindestversorgung, sondern in einer weit zu verstehenden „Grundversorgung”. Dazu gehört nicht nur Minderheitenfernsehen, sondern auch Massenprogramm (BVerfGE 74, 297; 83, 238). Dabei muss sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch neuer Technologien bedienen dürfen (BVerfGE 83, 238; 90, 60; 119, 181). Von Theaterkanal bis Bundesliga, vom Radio bis zum Internet-Stream: Der Bereich, in dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk tätig sein darf und soll, kann auch durch die Finanzierung nicht künstlich beschnitten werden (BVerfGE 90, 60; 119, 181).

3. Auch aus europarechtlicher Sicht kann die Art und Weise der Rundfunkfinanzierung nicht beliebig gewählt werden. Im Jahr 2007 einigten sich die Bundesländer mit der EU-Kommission, dass sich eine Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in bestimmten Grenzen bewegen muss (sog. „Beihilfekompromiss”). Würde das System der Rundfunkfinanzierung in Deutschland erheblich geändert werden, bestünde die Gefahr, dass dieser über Jahre ausgehandelte Kompromiss hinfällig wird. In diesem Fall müsste das neue Finanzierungssystem erst die strengen Kontrollen der EU-Kommission (Art. 107 Abs. 1 AEUV) durchlaufen – mit möglicherweise ungewissem Ausgang.

Zunächst ist also festzuhalten: Das Gutachten kann die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht hinterfragen, sondern muss sie vielmehr als Maßstab annehmen. Das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an sich kann daher nicht Gegenstand des Gutachtens sein. Und auch eine Reform der Rundfunkfinanzierung kann sich nur innerhalb der verfassungsrechtlich vorgegebenen Grenzen bewegen.

Gebühr oder Beitrag?

Um den Gedankengang Kirchofs zu verstehen, muss man sich neben den Rahmenbedingungen auch die abgabenrechtliche Einordnung der Rundfunkgebühr vor Augen halten. Denn schon hier ergeben sich entscheidende Schwierigkeiten.

Eine „Gebühr” im juristischen Sinne geht von einem konkreten Austauschverhältnis aus: Eine Person nimmt eine bestimmte Leistung in Anspruch und muss dafür einen bestimmten Betrag bezahlen. Eine von der Stadt erhobene Parkgebühr ist etwa tatsächlich juristisch gesehen eine „Gebühr”: Für die konkrete Leistung, parken zu dürfen, bezahlt der Autofahrer Geld.

Das ist genau genommen bei der „Rundfunkgebühr” aber nicht der Fall: Diese wird nämlich auch dann fällig, wenn man öffentlich-rechtliche Sendungen nicht konsumiert, sondern lediglich ein Gerät bereit hält, mit dem der Empfang theoretisch möglich ist. So hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich betont, es sei umstritten, ob es sich „bei der Rundfunkgebühr um eine „Gebühr“ im klassischen Sinne, um eine „Gebühr mit Beitragscharakter“ oder aber schlicht um einen „Beitrag“ handele (Gutachten, S. 45).

Im Unterschied zu einer „Gebühr” wird ein „Beitrag” nämlich unabhängig davon fällig, ob man das damit finanzierte Angebot auch wirklich in Anspruch nimmt. Juristisch gesehen ist etwa eine „Studiengebühr” eigentlich ein „Studienbeitrag”: Studenten zahlen zum Beispiel an ihre Uni nicht für eine konkrete Veranstaltung, sondern dafür, aus dem Vorlesungsverzeichnis bestimmte Veranstaltungen auswählen zu können. Es wird also für das Angebot der Uni bezahlt, nicht für den Besuch einer einzelnen Vorlesung.

Kirchhof geht deshalb davon aus, dass es sich schon jetzt bei der „Rundfunkgebühr” um einen klassischen „Beitrag” im verfassungsrechtlichen Sinne handelt (Gutachten, S. 47). Ein Rundfunkbeitrag wird also schon für die theoretische Möglichkeit des Empfangs fällig – ob der Einzelne tatsächlich Rundfunk konsumiert, spielt keine Rolle.

Eine steuerbasierte Finanzierung scheidet Kirchhof zufolge unter anderem aufgrund des Gebots der Staatsfreiheit des Rundfunks aus (Gutachten, S. 26).

Die bisherige gerätebasierte Abgabe

Die theoretische Möglichkeit, Rundfunk zu empfangen, hat nach Kirchhofs Ansicht zunächst nahezu jedermann in Deutschland – sei es durch Satellit, DVB-T, Kabel oder auch Internet. Grundsätzlich schuldet deshalb jeder seinen Beitrag zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Es wäre jedoch unpraktikabel, von jeder einzelnen Person in Deutschland den Rundfunkbeitrag zu erheben. Bislang war deshalb der entscheidende Anknüpfungspunkt das Bereithalten eines Empfangsgerätes. Es wurde also nicht – obwohl es durchaus möglich gewesen wäre – von jeder Person ein Beitrag gefordert, sondern nur von solchen, die ein Gerät vorhalten. Zu der Zeit, als diese Regelung geschaffen wurde, war das auch sinnvoll: De facto hatte jeder Haushalt entweder ein Radio oder ein Fernsehgerät, das auch gemeinschaftlich im Haus genutzt wurde.

Im Laufe der Zeit wurde das jedoch zunehmend problematisch. Denn zu den klassischen Geräten kamen die „neuartigen Rundfunkempfangsgeräte” wie Computer und Handy hinzu. Die Medienkonvergenz ist heutzutage im Leben der Menschen angekommen. Die Abgrenzung zwischen normalem Arbeitsgerät und Rundfunkempfangsgerät verschwimmt daher zusehends.

Dadurch ergeben sich nach Kirchhofs Ansicht Ungerechtigkeiten, die sich verfassungsrechtlich kaum noch rechtfertigen lassen:

„Während in den Gründerzeiten des Fernsehens das eine Gerät die Nutzung in Haushalt und Betriebstätte zusammenführte, trägt heute jedermann zunehmend sein Rundfunk- und Fernsehgerät in seinem Handy oder PC mit sich. Durch diese tatbestandliche Anknüpfung an das Rundfunkgerät verfehlt das Abgabenrecht heute die gemeinte Wirklichkeit, ist nicht sachgerecht und deshalb gleichheitswidrig […].”

Gutachten, S. 48 f.

Darüber hinaus lade das derzeitige Modell geradezu zum Missbrauch ein, so Kirchhof:

„Die gegenwärtige, geräteabhängige Abgabenlast lädt zu Vermeidungsstrategien ein, wenn die Zuordnung eines Gerätes zum Haushalt oder zum Gewerbetrieb Abgabenvorteile verspricht. Sie erleichtert Verschleierungen, weil der Besitz eines Gerätes für die Rundfunkanstalten und die GEZ nicht ersichtlich ist, gerade moderne Kleingeräte sich leicht verbergen lassen, oft auch von den Geräteinhabern wegen ihrer Vielfachfunktionen nicht als Rundfunkgerät verstanden und genutzt, oder aber im Willen gegen die Beitragszahlung nicht als Rundfunkempfangsgerät definiert werden.”

Gutachten, S. 56

Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit effektiver Kontrollen. Diese jedoch seien problematisch im Hinblick auf die Privatsphäre und die Unverletzlichkeit der Wohnung:

„Nach [den] verfassungsrechtlichen Maßstäben ist die Bemessungsgrundlage des Rundfunkbeitrages so zu gestalten, dass die Ermittlung und die Erhebung des Beitrags möglichst wenig persönlichkeitsbezogene Daten erfasst, außerdem ein Betreten zumindest der Wohnungen erübrigt. Solange die Abgabe an Geräte anknüpft, müssen diese ermittelt, also das Nutzerverhalten der Gerätebesitzer erforscht und letztlich auch Kontrollen in Wohnungen durchgeführt werden.”

Gutachten, S. 58

Der Haushaltsbeitrag

Das Empfangsgerät hat sich also nach Kirchhofs Ansicht als untaugliches Kriterium für die Bemessung der „Rundfunkgebühr” erwiesen. Eine Kopplung des Rundfunkbeitrags an den Haushalt hält Kirchhof für praktikabler, transparenter und grundrechtsschonender:

„Die unterschiedlichen Nutzungsgewohnheiten der Rundfunkteilnehmer lassen sich in einer einfachen, vollziehbaren, unausweichlichen und grundrechtschonenden Weise erfassen, wenn der Beitragstatbestand sich auf die Gruppe eines Privathaushaltes bezieht und nicht die Einzelperson des Rundfunkempfängers belastet. […] Auch die unterschiedlichen
Nutzungsgewohnheiten von Jung und Alt – die Nutzung klassischer und neuer Empfangsgeräte – lassen sich bei typisierender Betrachtungsweise im Haushalt zusammenfassen und zu einem gewissen Grad ausgleichen.”

Gutachten, S. 63

Da es in diesem Fall auch gar nicht mehr darauf ankommt, ob ein Empfangsgerät vorhanden ist, erübrigen sich auch Hausbesuche und Kontrollen durch die Gebührenbeauftragten. Dadurch sei auch eine Steigerung der Akzeptanz der Rundfunkbeiträge und der Legitimation des Rundfunks selbst zu erwarten, so Kirchhof. Gleichzeitig sei es bei diesem Modell auch nicht mehr so einfach, sich seiner Beitragspflicht zu entziehen.

Allerdings stellt sich die Frage, ob eine solche Pauschalisierung vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes aus Art. 3 GG noch zulässig ist. Kirchhof spricht in diesem Zusammenhang von dem abgabenrechtlichen Begriff der „Typisierung”. Danach ist es dem Gesetzgeber durchaus erlaubt, sich am Regelfall (Wahrscheinlichkeitsmaßstab) zu orientieren, ohne auf jeden Einzelfall Rücksicht nehmen zu müssen, um Abgaben effizient zu gestalten:

„Der Rundfunkbeitrag ist eine Abgabe, die viele Millionen Haushalte und Gewerbebetriebe monatlich mit einem Betrag in überschaubarer Höhe belastet. Der Beitrag muss wegen der Vielzahl der Steuerschuldner, der Häufigkeit der (monatlichen) Erhebung und der Geringfügigkeit des jeweils erhobenen Betrages einfach und praktikabel ausgestaltet werden. Das verfassungsrechtlich anerkannte Instrument für die Praktikabilität von Abgaben- und insbesondere von Steuergesetzen in Massenvorgängen ist die Typisierung.”

Gutachten, S. 53

Diese pauschale Gleichbehandlung durch den Haushaltsbeitrag sei deshalb vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes durch die genannten Vorteile der Typisierung gerechtfertigt.

Schließlich spricht Kirchhof sich nach all diesen Gründen klar für eine allgemeine Haushaltsabgabe aus, die im Übrigen auch die bisher fällige Abgabe für Zweitwohnungen entfallen lassen würde.

„Im Ergebnis verlangen somit die Erfordernisse einer einsichtigen, vollzugsfähigen, unausweichlichen, die Privatheit schonenden Abgabe eine Typisierung der Rundfunkabgabe, die den Nutzer der Rundfunkprogramme zur Finanzierung der Rundfunkanstalten – staats- und marktfern – heranzieht, dabei aber nicht die individuelle, tägliche Fernsehnutzung ermittelt, sondern die Bemessungsgrundlage auf die vermutete, übliche Nutzung ausrichtet. Deswegen ist nicht eine Rundfunkgebühr, sondern ein Rundfunkbeitrag zu erheben. Dieser Beitrag hat nicht den einzelnen Rundfunkteilnehmer in seiner individuellen, vielleicht täglich wechselnden Nutzungsgewohnheit zu typisieren, sondern die üblichen Nutzergruppen zu belasten.”

Gutachten, S. 58

Der Betriebsstättenbeitrag

Auch im bisherigen System sind nicht nur Rundfunkempfangsgeräte in Privathaushalten, sondern auch solche in Gewerbebetrieben „gebühren”pflichtig. Nach Kirchhofs Reformvorschlägen sollen auch weiterhin die Inhaber von Betriebsstätten zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herangezogen werden. Denn private Haushalte und Betriebsstätten seien im Grundsatz gleichwertige Orte des Rundfunkempfangs. Somit entfalle auch auf alle Betriebsstätten eine grundsätzliche Beitragspflicht. Auch hier dürfe sich der Gesetzgeber des Werkzeugs der Typisierung bedienen (Gutachten, S. 66). Allerdings soll sich die Höhe des Beitrags insbesondere an der Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter und der Art des Empfangs orientieren; etwa ob nur Hörfunk oder auch Fernsehen angeboten wird.

Bemessung des neuen Rundfunkbeitrags

Die Höhe des Rundfunkbeitrags soll sich Kirchhof zufolge weiterhin am Bedarf der Anstalten orientieren. Dabei soll am jetzigen System zur Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die KEF festgehalten werden.

Die Höhe des neuen Rundfunkbeitrags soll für Privathaushalte zunächst in ihrem Betrag nach Euro und Cent der derzeit fälligen Geräteabgabe gleichen. Lediglich bei den von den Betriebsstätten zu leistenden Abgaben soll sich die Belastung durch die Einführung des neuen gestaffelten Tarifs verändern (Gutachten, S. 70 f.).

„Deshalb ist die erneuerte Abgabe behutsam so zu bemessen, dass die vertraute Abgabe ersichtlich erhalten bleibt, deren Strukturfehler aber ebenso offensichtlich bereinigt wird. Dieses Ziel lässt sich erreichen, wenn […] die Abgabenhöhe der gewohnten Last entspricht, für die privaten Haushaltungen möglichst im gleichen Euro- und Centbetrag […].”

Gutachten, S. 50 f.

Etwas unklar bleibt bei Kirchhofs Ausführungen jedoch, ob das gesamte Beitragsaufkommen bei einer allgemeinen Haushalts- und Betriebsstättenabgabe höher ausfallen wird, als das bisher. In einem solchen Fall erscheint es jedoch wahrscheinlich, dass eine Überkompensation zu Gunsten des Rundfunks durch eine Neufestlegung der Beitragshöhe durch die KEF zu Beginn einer neuen „Gebührenperiode” weitgehend ausgeglichen werden würde. Oder einfach ausgedrückt: Wenn mehr mehr Haushalte als bisher zahlen sollten, müssten die einzelnen Beiträge gesenkt werden, damit am Ende auch wirklich nur der tatsächliche Bedarf der Rundfunkanstalten gedeckt wird.

Ausnahmetatbestände und Härtefallregelungen

Genau wie das geltende Rundfunkgebührenrecht (§ 6 RGebStV) sieht auch das Kirchhof’sche Modell Ausnahmetatbestände für die Abgabenpflicht vor. Jedoch sind diese bedeutend enger gefasst als bislang (Gutachten, S. 84). Kichhof zufolge reicht der Hinweis auf das Fehlen eines entsprechenden Empfangsgerätes nicht mehr aus, um die Zahlungspflicht entfallen zu lassen. Vielmehr ist hierfür nun eine objektive „Empfangsunfähigkeit ” notwendig.

„Der Bewohner einer in einem Funkloch gelegenen Alpenhütte oder der Wohnsitzinländer, der sich in einer für den Vermutungsmaßstab erheblichen Zeit – ein Jahr – ständig im Ausland aufhält, werden unter Hinweis auf das Erfordernis der Realitätsnähe des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes einwenden, dass die gesetzliche Typisierung ihren Sachverhalt nicht träfe, also widerlegbar sein müsse.”;

Gutachten, S. 61

Da der Rundfunkbeitrag nach Kirchhof von seiner Natur her unabhängig von der tatsächlichen Rundfunknutzung und unabhängig vom Besitz eines Empfangsgerätes ist (s.o.), erscheinen diese engen Ausnahmetatbestände konsequent.

Haushalte, die aufgrund ihrer Einkommens-, Vermögens- oder Familienverhältnisse nicht in der Lage sind, den Rundfunkbeitrag aufzubringen, finden bei Kirchhof allerdings auch eine besondere Berücksichtigung. Denn insbesondere aufgrund des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) dürfen seiner Meinung nach Bürger aus finanziellen Gründen nicht an der Rundfunknutzung gehindert werden (Gutachten, S. 67).

Allerdings sieht Kirchhof für solche Fälle nicht zwingend eine Befreiungsregelung vor. Statt dessen sollen die staatlichen Transferleistungen – wie etwa das Wohngeld – um den Satz der Rundfunkbeitrags erhöht werden, um die Belastung zu kompensieren.

„Das Rundfunkbeitragsrecht könnte, muss aber deshalb keinen Ausnahmetatbestand für soziale Bedürftigkeit vorsehen. Das Erfordernis eines einfachen, die Privatsphäre schonenden Vollzugs legt nahe, die Beitragslast allgemein zu erheben, aber im Sozialrecht auszugleichen.”

Gutachten, S. 71 f.

Im Falle einer möglichen Umsetzung von Kirchhofs Vorschlägen in Gesetzesform wäre hierbei allerdings zu beachten, dass die Regelung der Transferleistung in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt. Insoweit würde in diesem Punkt sicherlich eine Verständigung zwischen dem Bund und den Landesgesetzgebern notwendig werden.

Einnahmen aus Werbung und Sponsoring

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es zulässig, dass ein geringer Teil des Finanzbedarfs beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch durch Werbe- und Sponsoringeinnahmen gedeckt werden darf. Dabei muss allerdings die Unabhängigkeit des Systems von ökonomischen Interessen des Marktes gewährleistet bleiben und stetig durch den Gesetzgeber überprüft werden (BVerfGE 90, 60; 119, 181).

Prof. Dr. Paul Kirchhof
Photo: © Euku, GFDL.

Da sich das Gutachten Kirchhofs umfassend mit der Frage der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auseinandersetzt, untersucht er auch den Teilbereich der Werbe- und Sponsoringeinnahmen. Kichhof sieht dabei in der Neuausrichtung des Finanzierungssystems für den Gesetzgeber die Gelegenheit, seinen Überprüfungspflichten hinsichtlich der Marktunabhängigkeit des Rundfunks nachzukommen. Insoweit stellt er die Einnahmequelle aus Werbung und Sponsoring erst einmal grundsätzlich zur Diskussion. Denn ein Werbeverzicht würde neben der Sicherung einer vollständigen Unabhängigkeit von ökonomischen Interessen auch noch die gesellschaftliche Akeptanz des öffentlich-rechtlichen Systems und seiner Beitragsfinanzierung stärken.

„Würde der Gesetzgeber sich entscheiden, den öffentlichrechtlichen Rundfunk gänzlich – vor dem Hintergrund der gebotenen Aufkommensneutralität auch schrittweise – ohne Werbung und Sponsoring zu finanzieren, wäre die Identität der Rundfunkanstalten und des Rundfunkprogramms – ein Programmablauf ohne jegliche Werbeunterbrechung – in eindrucksvoller Weise hervorgehoben.”

Gutachten, S. 52

Allerdings kommt Kirchhof schließlich doch zu dem recht knapp begründeten Ergebnis, dass ein vollständiger Verzicht auf Werbung und Sponsoring derzeit zu weit gehen würde. Daher beschränkt er sich bei seinen Reformvorschlägen zunächst nur auf ein Verbot bei Eigenproduktionen.

„Das Verbot von Werbung und Sponsoring kann allerdings generell nur für die Eigenproduktion der Rundfunkanstalten gelten, nicht für den Kauf von Programmen, die nur unter den Bedingungen des Sponsorings erwerbbar sind.”

Gutachten, S. 52

Gesetzliche Umsetzung der Reformvorschläge

Kurt Beck
Photo: © Zhou Yi

Das politische Vorhaben, die Rundfunkfinanzierung zu reformieren, ist keineswegs neu. Seit letztem Herbst beraten die Länderchefs allerding verstärkt darüber. Das Kirchhof-Gutachten wird für diesen politischen Reformprozess sicherlich wichtige Impulse liefern.

Auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 9. Juni will die Rundfunkkommission der Länder auf Grundlage des Gutachtens einen Eckpunkte-Beschluss fassen. Dies bestätigte der Vorsitzende der Kommission Kurt Beck (SPD). Bayerns Medienminister Siegfried Schneider (CSU) geht davon aus, dass die Haushalts- und Betriebsstättenabgabe zur neuen Gebührenperiode ab 2013 in Kraft treten kann. Vor allem über die Einschränkungen bei Werbung und Sponsoring dürften aber noch einige politische Richtungsdebatten zu führen sein.

Zur Umsetzung von Kirchhofs Reformvorschlägen wären tiefgreifende Änderungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (PDF) notwendig. Praktisch wären damit auch große Umstellungen in Auftrag, Organisation und Arbeitsweise der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) verbunden. Mit einer gesetzlichen Umsetzung ist wohl nicht vor dem übernächsten Rundfunkänderungsstaatsvertrag im Frühjahr 2011 zu rechnen.

Das Kirchhof-Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (PDF).

Telemedicus: Reaktionen auf das Kirchhof-Gutachten.

Update am 08. Juni 2010:
Rundfunkfinanzierung: Ministerpräsidenten stellen die Weichen.

Update am 09. Juni 2010:
Die Ministerpräsidenten haben sich auf eine Reform der Rundfunkfinanzierung geeinigt.

  • Adrian Schneider

    Adrian Schneider ist Mitbegründer, Vorstand und Hausnerd von Telemedicus sowie Rechtsanwalt bei Osborne Clarke in Köln.

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