Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Rainer Erd
Hylands Law Firm liegt nur wenige Meter entfernt von Pekings berühmtem Markt für raubkopierte Produkte, dem Silk Market. Hier erhalten Touristen und Einheimische nahezu alle Bekleidungsgegenstände zu einem Preis, der weit unter dem des Originals liegt. Eine nicht abreißende Kette von Bussen mit Ausländern beschert den Betreibern des Silk Market riesige Umsätze. Nicht weniger erfolgreich arbeiten die 120 Rechtsanwälte in Hylands Law Firm, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Produktpiraterie in China einzuschränken.
Produktpiraterie: Riesige Gewinne, viele Veränderungen
Marken- und Produktpiraterie ist in China ein großes Thema. Trotz vielfältiger Initiativen der Regierung, das chinesische Rechtssystem internationalen Standards anzupassen, steht China noch immer an der Spitze der Länder, die Marken-, Patent- und Urheberrechte verletzen und damit riesige Gewinne machen. Eines jedoch hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Seitdem das chinesische Marken-, Patent- und Urheberrecht dem in westlichen Ländern weitgehend entspricht, können Juristen der Marken- und Produktpiraterie unter Berufung auf chinesisches Recht den Kampf ansagen. Genau dieses tun die Anwälte von Hylands Law Firm.
Anders als deutsche Anwaltskanzleien beschäftigen die großen chinesischen Kanzleien, die sich auf Marken- und Produktpiraterie spezialisiert haben, nicht nur Rechtsanwälte sondern auch sog. „investigators“, Detektive. Ihre Aufgabe besteht darin, den Anwälten das Material zu liefern, aufgrund dessen sie dann tätig werden können. Investigators machen Verkaufsplätze, Warenlager und Produktionsstätten von raubkopierten Produkten ausfindig und ermöglichen es auf diese Weise den Anwälten, rechtliche Strategien gegen die Marken- und Produktpiraterie zu entwickeln.
Das chinesische Recht eröffnet Anwälten eine Fülle von Handlungsmöglichkeiten. Sind von den Detektiven Örtlichkeiten ausfindig gemacht worden, an denen rechtswidrig hergestellte Produkte verkauft, gelagert oder produziert werden, dann können sie bei den zuständigen Verwaltungsbehörden eine Beschlagnahme der Produkte beantragen. In vielen Fällen wird dem stattgegeben, woraufhin Anwälte und Verwaltungsbeamte Waren in einem Geschäft oder Warenlager beschlagnahmen lassen. Es kann sich auch um eine Homepage handeln, auf der raubkopierte Produkte angeboten werden. Ist sie ausfindig gemacht, kann sie auf Antrag eines Anwalts geschlossen werden.
In ländlichen Regionen gelten andere Regeln
In einem Land mit 1,3 Milliarden Einwohnern sind solche Aktionen allerdings stets nur ein kleiner Erfolg. Weitaus seltener gelingt es, Produktionsstätten ausfindig zu machen, weil sich diese meist – gut abgeschirmt – in ländlichen Regionen befinden. Und in diesen Regionen, das weiß jeder chinesische Anwalt, gelten andere Regeln als in den großen Städten. Die in China allgegenwärtige Korruption ist in ländlichen Gebieten besonders ausgeprägt. Wenn hier eine Produktionsstätte auf Antrag eines Anwalts geschlossen werden soll, dann stehen Hunderte Arbeitsplätze auf dem Spiel. Und entsprechend zurückhaltend reagieren örtliche Behörden und Gerichte. Vor Aktionen in ländlichen Gebieten schrecken chinesische Anwälte deshalb meist zurück, weil die Erfolgschancen außerordentlich gering sind.
Wer in China rechtlich gegen Raubkopierer vorgeht, muss sich der unterschiedlichen Erfolgsmöglichkeiten bewusst sein. Als Faustregel gilt: Je großstädtischer der Produktions- und Verteilungsort, desto größer die Chancen, einem Rechtsbrecher das Handwerk zu legen. Und umgekehrt: Je ländlicher die Region, desto problematischer ein Erfolg. Eine wirkungsvolle Strategie gegen Raubkopierer und ihre Distributoren muss dies berücksichtigen.
Chinesische Besonderheiten
Neben präzisen Argumentationen ist chinesischen Juristen etwas Anderes von Bedeutung, was in Deutschland auch eine große Rolle spielt, aber nicht in diesem Umfang: Die Pflege sozialer Beziehungen, guanxi genannt. Chinesische Anwälte, die zusammen mit Behörden und Gerichten Raubkopierer verfolgen wollen, müssen mit diesen regelmäßig gute Kontakte pflegen. Einladungen zum Essen sind dabei eine Form, die deutschen Anwälten am vertrautesten ist. Andere Formen kennt man in diesem Umfang in Deutschland nicht.
Anwälte, die in China erfolgreich sein wollen, müssen die Besonderheit des Rechtssystems in China beachten. Im Gegensatz zum europäischen ist das chinesische Rechtssystem von der Politik der Kommunistischen Partei Chinas bestimmt. Kein Gericht ohne einen Repräsentanten der Partei. Kein Urteil in einer nicht alltäglichen Frage ohne Beteiligung des Parteivertreters. Und keine folgenreiche Aktion einer Verwaltungsbehörde, ohne dass der Parteivertreter gehört worden ist. Der Politisierung des chinesischen Rechtswesens arbeiten Anwälte mit intensiver Beziehungspflege entgegen. Erfolge sind dadurch nicht garantiert, Misserfolge aber sicher, wenn man dies unterlässt.
Wer in China rechtlich erfolgreich gegen Produktpiraterie vorgehen will, sollte die spezifischen Regeln des Landes beachten. Das chinesische Recht bietet eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten. Es gibt mittlerweile große Anwaltskanzleien, die sich auf dieses Themengebiet spezialisiert haben und erfolgreich tätig sind. Das alles sind gute Nachrichten aus einem Land, das politisch nicht zu den fortschrittlichen dieser Welt gehört. Für eine erfolgreiche Kooperation von deutschen und chinesischen Juristen im Bereich der Marken- und Produktpiraterie sind auf jeden Fall in den letzten Jahren gute Voraussetzungen geschaffen worden. Jetzt kommt es darauf an, etwas daraus zu machen.
Prof. Dr. Rainer Erd ist Rechtsanwalt für Datenschutzrecht und gewerblichen Rechtsschutz bei Schmalz Rechtsanwälte in Frankfurt am Main. Davor war er Hochschullehrer für Informationsrecht in Darmstadt.