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Callactive vs. Niggemeier: Urteilsbegründung liegt vor

Im Rechtsstreit der Callactive GmbH gegen den bloggenden Journalisten Stefan Niggemeier liegt nun die schriftliche Urteilsbegründung vor, deren „entscheidende Passagen“ Niggemeier auf seiner Homepage veröffentlicht hat. Das Gericht hatte geurteilt, Niggemeier habe pflichtwidrig gehandelt, als er einen beleidigenden Kommentar eines Lesers, abgegeben am Sonntag um 3:37 Uhr, erst sieben einhalb Stunden später entdeckte und löschte (Telemedicus berichtete und kommentierte). Das Urteil ist bereits bei der kostenpflichtigen juristischen Datenbank juris abrufbar (Az. 324 O 794/07).

Das Gericht bestimmt für die Prüfpflichten eines Webseitenbetreibers einen „gleitenden Sorgfaltsmaßstab mit einem Spektrum abgestufter Prüfungspflichten“, dessen Intensität davon abhängt, wie vorhersehbar es ist, dass Persönlichkeitsverletzungen auf dieser Webseite eintreten. Die Prüfpflicht könne „bis hin zu einer Dauer- oder Vorabkontrollpflicht anwachsen“.
Zur Begründung verweist das Gericht darauf, dass

…in der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zwischen Meinungs- und Medienfreiheit einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits keines dieser Rechtsgüter einen generellen Vorrang beanspruchen kann.

Diesem kurzen Hinweis auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit folgt eine ausführliche Subsumtion der entsprechenden Blog-Diskussion, bei der das Gericht zu dem Schluss kommt, aufgrund des „in äußerungsrechtlicher Hinsicht zumindest grenzwertigen Verlauf[s] der Diskussion“ Niggemeier entweder einen Moderator hätte einschalten oder alle Kommentare vorab kontrollieren müssen.

[…] denn in der Gesamtschau der obigen Erwägungen war konkret vorhersehbar, dass es jederzeit zu schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter kommen konnte.

Dass Niggemeier den beleidigenden Kommentar erst knapp acht Stunden später löschte, hält das Gericht nicht für ausreichend:

Die Kammer ist […] der Auffassung, dass aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles so gravierender Anlass zu der Befürchtung bestand, dass es durch Kommentare zum Artikel "Call-TV-Mimeusen" zu schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dritter kommen würde, dass selbst die vom Antragsgegner vorgetragene Überprüfung nicht ausreichte.

Dem Argument, derartige Prüfungspflichten seien angesichts des großen Umfangs des Niggemeier-Blogs unzumutbar, hält das Gericht entgegen:

Wer ein öffentliches Diskussionsforum eröffnet, kann sich seiner Pflicht zur angemessenen Überwachung dieses Forums nicht dadurch entziehen, dass er es auf ein für ihn nicht mehr angemessen kontrollierbares Maß anwachsen lässt.

Stefan Niggemeier hat angekündigt, gegen dieses Urteil Berufung einzulegen. Angriffspunkt ist vor allem das hier offenbarte – nur in einem Halbsatz abgehandelte – Verständnis von Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und ihrem Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG). Dem lapidaren Hinweis, man möge halt sein Forum nicht auf ein „nicht mehr angemessen kontrollierbares Maß“ anwachsen lassen, folgt leider keine Erläuterung, wie man dies überhaupt verhindern sollte – und keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob dadurch nicht die freie Rede und die Möglichkeit der öffentlichen Diskussion unzumutbar beschränkt würde. Im Lichte der Meinungsfreiheit angreifbar ist auch die gerichtliche Schlussfolgerung, die Entfernung des beleidigenden Kommentars nach sieben einhalb Stunden habe nicht ausgereicht.

Kommentar bei Telemedicus zur verfassungsrechtlichen Würdigung der Entscheidung.

Zum Beitrag von Stefan Niggemeier mit Auszügen des Urteils.

, Telemedicus v. 15.02.2008, https://tlmd.in/a/656

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