Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung §§ 113a, 113b TKG und § 100g StPO für nichtig erklärt. Alle bislang gespeicherten Daten müssen unverzüglich gelöscht werden.
Dennoch wird die Entscheidung aller Voraussicht nach nicht das Ende der Vorratsdatenspeicherung bedeuten. Denn eine anlasslose Speicherung der Telekommunikationsdaten sei nicht per se verfassungswidrig, auch wenn die konkrete Umsetzung den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht genügt.
Konkrete Vorgaben an den Gesetzgeber
Das Bundesverfassungsgericht skizziert sehr genau, wie eine grundgesetzkonforme Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung auszusehen hat. Konkret nennt es folgende Punkte:
Ausnahme: Auskunft über IP-Adressen
Eine wichtige Ausnahme macht das Gericht bei Auskunftsanfragen über IP-Adressen: Fragen staatliche Stellen lediglich den Inhaber einer bestimmten IP-Adresse ab, sind nicht so hohe Anforderungen an gesetzliche Regelungen zu stellen. In Filesharing-Fällen dürfte diese Einschränkung sicherlich noch interessant werden. Aus der Entscheidung (Rn. 261):
„Dementsprechend darf der Gesetzgeber solche Auskünfte [über eine IP-Adresse] auch unabhängig von begrenzenden Rechtsgüter- oder Straftatenkatalogen für die Verfolgung von Straftaten, für die Gefahrenabwehr und die Aufgabenwahrnehmung der Nachrichtendienste auf der Grundlage der allgemeinen fachrechtlichen Eingriffsermächtigungen zulassen […]. Hinsichtlich der Eingriffsschwellen ist allerdings sicherzustellen, dass eine Auskunft nicht ins Blaue hinein eingeholt werden, sondern nur aufgrund eines hinreichenden Anfangsverdachts oder einer konkreten Gefahr auf einzelfallbezogener Tatsachenbasis erfolgen darf.”
Hervorhebung nicht im Original.
Auch ein Richtervorbehalt sei nicht vorzusehen. Allerdings müsse der Betroffene über die Abfrage seiner Daten benachrichtigt werden.
Datensammlung muss die Ausnahme sein
Das Gericht stellt aber gleichzeitig auch klar, dass ihm die Datensammlung von Deutschland und der EU langsam zuviel wird (Rn. 218):
„Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit einer vorsorglich anlasslosen Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten setzt vielmehr voraus, dass diese eine Ausnahme bleibt. […] Die Einführung der Telekommunikationsverkehrsdatenspeicherung kann damit nicht als Vorbild für die Schaffung weiterer vorsorglich anlassloser Datensammlungen dienen, sondern zwingt den Gesetzgeber bei der Erwägung neuer Speicherungspflichten oder -berechtigungen in Blick auf die Gesamtheit der verschiedenen schon vorhandenen Datensammlungen zu größerer Zurückhaltung. Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland […], für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss. Durch eine vorsorgliche Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten wird der Spielraum für weitere anlasslose Datensammlungen auch über den Weg der Europäischen Union erheblich geringer.”
Hervorhebung nicht im Original.
Wie geht es weiter?
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont, wie wichtig eine freie Kommunikation ohne ein „diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins” für den Bürger ist, kann die Entscheidung keinesfalls als vollständiges Ende der Vorratsdatenspeicherung verstanden werden. Zwar sind die derzeitigen Regelungen nichtig und alle bereits erhobenen Daten müssen gelöscht werden. Der Gesetzgeber bekommt allerdings eine zweite Chance für die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung. Auch wenn dem enge Grenzen gesetzt sind, wird uns die Vorratsdatenspeicherung sicher noch eine Zeit lang beschäftigen.
Ausführlich in der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. (Az. 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08)