Das BVerfG hat mit einem heute bekanntgegebenen Beschluss entschieden, dass die Störerhaftung des Anschlussinhabers beim BGH geklärt werden muss. Die Entscheidung betrifft also nicht das materielle Recht: Sie zeigt aber, dass das BVerfG mit der bestehenden Rechtsunsicherheit im Internetrecht unzufrieden ist.
Die Entscheidung betrifft die sog. „Massenabmahnungen”, die in Deutschland wegen Filesharing-Urheberrechtsverstößen verschickt werden. Mit diesen Abmahnungen wehren sich Rechteinhaber dagegen, dass Nutzer ihre Werke illegal über Filesharing-Netzwerke herunterladen. Das Problem dabei ist: Diese Abmahnungen betreffen grundsätzlich die Anschlussinhaber – denn nur diese Person kann von den Abmahnern ermittelt werden.
Wer das Filesharing-Programm tatsächlich betrieben hat, wissen die Abmahner aber nicht. Ihre übliche Argumentation: Es bestehe eine „tatsächliche Vermutung”, dass der Anschlussinhaber auch der Täter sei. Als Begründung hierfür wird normalerweise die „Sommer unseres Lebens”-Entscheidung des BGH herangezogen.
So war es auch im vorliegenden Fall. Nur, dass der Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde in diesem Fall ein „auf Onlinerecherche und Internetpiraterie spezialisierter Polizeibeamter” war, der dies offenbar nicht auf sich sitzen lassen wollte. Täter war er nämlich nicht gewesen, sondern der volljährige Sohn seiner Lebensgefährtin. Damit war die täterschaftliche Haftung vom Tisch – und es bliebt nur noch offen, ob den Polizeibeamten als Anschlussinhaber noch eine Störerhaftung trifft. Dazu müsste er aber Prüf- und Überwachungspflichten verletzt haben – z.B., indem er seine Wohnungs-Mitbewohner belehrte oder überwachte.
Diese Prüfpflichten habe der Anschlussinhaber verletzt, meinte das OLG Köln, und ließ hiergegen keine Revision mehr zu. Hiergegen wendete sich der Beschwerdeführer. Begründung: Die Rechtslage sei aktuell noch ungeklärt. Es liege unterschiedliche Rechtsprechung der Oberlandesgerichte vor. Der BGH habe den Streit noch nicht geklärt. Dadurch sei § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO verletzt. Diese Vorschrift besagt:
Die Revision ist zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Weil das OLG Köln diese Vorschrift missachtet habe, sei der Beschwerdeführer in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, meint das BVerfG:
Mithin hätte hier eine Revisionszulassung nahegelegen, weil eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), sowie eine entscheidungserhebliche Abweichung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO vorlag.
Gleichwohl hat das Oberlandesgericht – trotz Antrags des Beschwerdeführers auf Zulassung der Revision in der mündlichen Verhandlung und in seiner Anhörungsrüge – nicht nachvollziehbar begründet, warum es die Revision nicht von Amts wegen zugelassen hat. Im angegriffenen Urteil heißt es lediglich, Gründe, die Revision zuzulassen, lägen nicht vor. In der Entscheidung über die Anhörungsrüge geht das Oberlandesgericht auf die Frage der Revisionszulassung nur insofern ein, als es sich durch den Vortrag zu „älterer“ oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung nicht veranlasst sieht, die Revision zuzulassen.
Der Beschwerdeführer wird nun das Recht bekommen, eine Revision zum BGH zu erheben – und dieser wird die Streitfrage dann entscheiden müssen. Bisher hat sich der BGH relativ hemdsärmelig gezeigt, was die Störerhaftung im Filesharing-Bereich angeht. Hier wird es aber eventuell anders kommen: Das BVerfG hat hier bereits eine deutliche „Duftmarke” gesetzt.
Ohne, dass dies deutlich ausgeführt würde, schwingt in dem Urteil doch mit: Das BVerfG würde eine „Sippenhaft” des Anschlussinhabers für alle Mit-Benutzer wohl kritisch sehen. Denn, eine Störerhaftung in diesem Fall anzunehmen, würde bedeuten: Der Anschlussinhaber müsste seine Rolle als pirateriebekämpfender Polizist nicht nur beruflich, sondern auch im Familienkreis ausfüllen. Er müsste dann eventuell die anderen Familienmitglieder belehren – oder sogar durch Kontrollen sicherstellen, dass diese den Internet-Anschluss nicht für illegale Handlungen einsetzen. Kann das wirklich in einer Familie verlangt werden? Fraglich. Andererseits will der BGH sicherlich auch verhindern, dass Internet-Anschlussinhaber sich mit einfachsten Methoden aus der Affäre ziehen können.
Bis zu einer Entscheidung des BGH kann es noch einige Jahre dauern. Wenn bis dahin die Streitfrage nicht anderweitig geklärt ist, wird es vermutlich zu einer Grundsatzentscheidung kommen. In jedem Fall gilt: Bei der Störerhaftung des Anschlussinhabers ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Der Beschluss des BVerfG.
Die zugehörige Pressemitteilung des BVerfG.