Rudolf Heß-Gedenkkundgebungen in Wunsiedel beschäftigen schon seit geraumer Zeit die deutsche Justiz. Der ewige Streit zwischen der Versammlungsbehörde und der anmeldenden Partei konzentriert sich im Kern neben versammlungsrechtlichen Fragestellungen auf die Einschränkbarkeit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG). So auch am 04. November 2009, als das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit des Straftatbestandes der Volksverhetzung aus § 130 Abs. 4 StGB entschieden hat.
Der Fall
Die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG ist nach dem Diktum des Bundesverfassungsgerichts für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung als „schlechthin konstituierend” einzustufen. Dies gilt selbst für Auffassungen, die sich in extremistischer Tendenz gegen diese Staatsordnung richten, wie die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts.
In der Sache ging es maßgeblich um die Frage, ob die Strafvorschrift des § 130 Abs. 4 StGB (Volksverhetzung) verfassungsgemäß ist und damit einen Eingriff in die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG rechtfertigen kann.
Das Bundesverfassungsgericht kam nunmehr zu dem Schluss, dass § 130 Abs. 4 StGB zwar kein allgemeines Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG und damit keine qualifizierte Schranke darstellt (entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts), die Beschränkung der Meinungsfreiheit aber dennoch verfassungsgemäß sein soll.
Allgemeine Gesetze
Zentrales Problem war dabei die Frage, ob es sich bei der Volksverhetzung um ein „allgemeines Gesetz” im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG handelt. Der Begriff der „allgemeinen Gesetze” wurde maßgeblich durch die Lüth-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geprägt. Danach sind alle Gesetze als „allgemeine Gesetze” einzustufen, die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten. Außerdem muss das Gesetz der Wahrung eines „schlechthin zu schützenden” Rechtsguts dienen.
Das Bundesverfassungsgericht kam in seiner aktuellen Entscheidung zu dem Ergebnis, dass § 130 Abs. 4 StGB zwar meinungsbeschränkendes Sonderrecht darstellt – also gerade kein „allgemeines Gesetz”. Gleichwohl soll dem Grundrecht eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze „immanent” sein, wenn es darum geht, der „Gutheißung des nationalsozialistischen Regimes” Grenzen zu setzen.
Damit wird letztlich eine Ausnahme zu den Anforderungen der allgemeinen Gesetzte eingeführt, die sich im Hinblick auf die Verhinderung von nationalsozialistischer Propaganda rechtfertigen soll.
Fazit
So begrüßenswert das Ergebnis auch sein mag, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wirkt angesichts ihrer Begründung durchaus angreifbar. § 130 Abs. 4 StGB, der nach Auffassung des Gerichts meinungsbeschränkendes Sonderrecht darstellt, hätte nach herkömmlicher Dogmatik die Meinungsfreiheit nicht beschränken können, da es am Erfordernis des allgemeinen Gesetzes i.S.v. Art. 5 Abs. 2 Alt. 1 GG fehlt.
Ausnahmen, wie hier vom Bundesverfassungsgericht angenommen, bedürfen schon einer besonderen Begründung – gerade wenn es sich um Fundamentalwerte der Verfassung handelt. Ob die Begründung des Bundesverfassungsgerichts für Vorschriften, „die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“, wirklich tragfähig ist, erscheint durchaus fragwürdig. Denn schon kurze Zeit später äußert das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf den seit geraumer Zeit schwellenden Streit mit dem OVG Münster um rechtsextremistische Versammlungsverbote:
„Insbesondere kennt das Grundgesetz kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubte.“
Einer Übertragung dieses Ansatzes auf die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) soll damit anscheinend ein Riegel vorgeschoben werden. Wie bereits RA Stadler in seinem Blog äußerte, erscheint die gesamte Konstruktion keineswegs unproblematisch – auch im Hinblick auf die generelle Möglichkeit, die Meinungsfreiheit weiter einzuschränken.