In einem heute veröffentlichten Beschluss (1 BvR 256/08) vom 28. Oktober hat der 1. Senat des BVerfG die Vorratsdatenspeicherung erneut eingeschränkt: Zum einen hat es seine einstweilige Anordnung vom 11. März 2008 verlängert: Auch in den nächsten 6 Monaten dürfen Strafverfolgungsbehörden nur unter eingeschränkten Bedingungen auf die gespeicherten Daten zugreifen. Darüber hinaus haben die Karlsruher Richter weitere Vorraussetzungen für derartige Zugriffe normiert. Sie sind voerst nur noch in besonders schweren Fällen erlaubt. Der einstweiligen Anordnung gegen die Vorratsdatenspeicherung wurde so zum Teil stattgegeben; den Antrag hatten die Bevollmächtigten der sog. „Massen-Verfassungsbeschwerde“ gestellt.
Einschränkungen auch für andere Behörden
Der Beschluss vom März schränkte lediglich die Pflicht zur Übermittlung nach § 113b Satz 1 Nr. 1 TKG, „zur Verfolgung von Straftaten“ ein. Die besteht vorerst nur, wenn eine Katalogstraftat nach § 100 a StPO vorliegt. Nun gelten auch für die beiden anderen Varianten, also „zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ (§ 113b Satz 1 Nr. 2 TKG) und „zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes“ (§ 113b Satz 1 Nr. 3 TKG) verschärfte Vorrausetzungen. Die speichernden Stellen müssen Daten in Zukunft nur noch dann übermitteln, wenn im Fall der Nr. 2…
„(…) der Abruf der Daten zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr erforderlich ist.“
Im Fall der Nr. 3 gilt, …
„(…) dass im Falle eines Abrufs die Daten nur dann an die ersuchende Behörde übermittelt werden dürfen, wenn neben den Voraussetzungen der Abrufnorm (z.B. Art. 6c Abs. 2 BayVSG) auch die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1, § 3 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10-Gesetz) vorliegen.“
Damit sollen hier die gleichen Bedingungen wie auch für das Abhören von Telekommunikation eingehalten werden.
Eingriffe in Grundrechte
In beiden Fällen betont das BVerfG ein strenges Zweckbindungsgebot und Übermittlungsverbot für die abgerufenen Daten. Die zusätzliche Einschränkung war seit der letzten einstweiligen Anordnung nötig geworden, weil zwischenzeitlich in Bayern und Thüringen die Polizei- und Verfassungsschutzgesetze abgeändert wurden. Danach ist den Behörden ein Zugriff auf die Vorratsdaten nach § 113b TKG prinzipiell erlaubt. Eine solche Abrufnorm galt bisher nur für die Strafverfolgungsbehörden. Die Einschränkung begründet der 1. Senat wie folgt:
„Die Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten der bevorrateten Verkehrsdaten verstärkt zugleich die durch §§ 113a und 113b TKG begründete Beeinträchtigung der allgemeinen Unbefangenheit des elektronischen Informations- und Gedankenaustauschs sowie des Vertrauens in den durch Art. 10 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der Telekommunikation in erheblichem Maße. Durch den größer gewordenen Kreis abrufberechtigter Behörden und die Erweiterung des zulässigen Abrufszwecks erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für den Betroffenen, auf der Grundlage der durch einen Vorratsdatenabruf erlangten Erkenntnisse weiteren polizeilichen Maßnahmen wie Telekommunikationsüberwachungen, Beschlagnahmen und Wohnungsdurchsuchungen ausgesetzt zu werden, die ohne diese Erkenntnisse nicht durchgeführt worden wären (…).
Diese können außer auf repressive jetzt auch auf präventive Erwägungen gestützt werden. Ins Gewicht fällt dabei auch, dass im Bereich der Gefahrenabwehr die dem Datenabruf zugrundeliegenden Erkenntnisse doppelt ungewiss sind: Nicht nur die Beurteilung der Frage, von wem eine Gefahr droht, sondern auch diejenige der Frage, ob überhaupt eine Rechtsgutverletzung bevorsteht, beruht letztlich auf behördlichen Prognosen, die naturgemäß unsicher sind. Insgesamt erhöht sich hierdurch die Wahrscheinlichkeit eines sachlich von den Betroffenen nicht veranlassten Zugriffs auf ihr Kommunikationsverhalten.“
Noch keine Entscheidung in der Hauptsache
Das Gericht hat in diesem Beschluss noch nicht über die verdachtsunabhängige Pflicht zur Speicherung der Verbindungsdaten nach § 113a TKG entschieden; es ging lediglich um den Abruf dieser Informationen. Hier ist jedoch die jüngste Entscheidung des VG Berlin zu beachten, wonach ein einzelner TK-Anbieter vorerst von der Speicherungspflicht befreit wurde. Allerdings ist auch das lediglich ein Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Eine endgültige Entscheidung darüber, ob die Vorratsdatenspeicherung mit der deutschen Verfassung vereinbar ist, steht noch aus. Außerdem wird die Richtlinie, die die EU-Mitgliedstaaten zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung verpflichtet, zurzeit vom EuGH überprüft; die Schlussanträge wurden hier Mitte Oktober gestellt.
Zur Pressemitteilung des BVerfG.
Telemedicus ausführlich zur „Doppelhypothese“ bei einer solchen Entscheidung.