Ein Kommentar von Christiane Müller
Wenn Prominente den Weg vor die Gerichte einschlagen, so finden sich meist Presseorgane auf der Anklagebank. Oskar Lafontaine, Dieter Bohlen, Oliver Kahn und Co. sehen durch bestimmte Berichte ihr Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Richter haben dann zwischen diesem Grundrecht und der Meinungs- und Pressefreiheit abzuwägen. Beide Rechtsgüter haben Verfassungsrang – eine Entscheidung ist jeweils vom konkreten Einzelfall abhängig. Doch mancherorts scheinen die Ergebnisse dieser Abwägungen vorhersehbar zu sein…
Im Presserecht ist nämlich grundsätzlich jedes Gericht örtlich zuständig, sofern das betroffene Blatt vor Ort erhältlich ist. Insofern existiert für den Kläger ein Wahlrecht. Besonders gerne wird in Hamburg und Berlin geklagt: Die Senate dort gelten als Verteidiger des Persönlichkeitsrechts – oder: als Gefahr für das Recht auf freie Meinungsäußerung. So sieht es Rolf Schälike. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, in seinem Weblog auf die zunehmend pressefeindliche Rechtsprechung aufmerksam zu machen. Diese Tendenz hat er mit dem Begriff „Buskeismus“ bezeichnet, in Anlehnung an den vorsitzenden Richter der Zivilkammer 24 des LG Hamburg Andreas Buske.
„more speech“…
Diese Entwicklung ist äußerst bedenklich. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen immer wieder die Bedeutung der Meinungsfreiheit betont: Für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung ist sie geradezu konstitutiv! Bisher musste sie nur bei bewusst unwahren Tatsachenäußerungen, bei Betroffenheit der Intimsphäre und bei Verstößen gegen die Menschenwürde hinter den Persönlichkeitsrechten zurücktreten. Außer in diesen Fällen wurde stets eine Abwägung zwischen den beiden Rechtsgütern vorgenommen. Dabei war der hohe Stellenwert der Meinungsfreiheit zu beachten: Schon bei der Deutung der Äußerung musste auch auf den Kontext geachtet werden; sofern möglich, war die Aussage so zu verstehen, dass sie keine Ehrverletzung enthält.
…oder „enforced silence“?
Mit diesen Vorgaben brach das Bundesverfassungsgericht im Oktober 2005 mit seiner Entscheidung im Verfahren „Stolpe“. Nun reicht bereits eine mögliche Deutungsvariante um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu begründen – unabhängig davon, wie die Äußerung tatsächlich vom Betroffenen oder Dritten aufgefasst wurde. Das Ergebnis: Im Zweifel gegen die Pressefreiheit.
Kritiker wie Rolf Schälike sehen in dieser Entwicklung eine neue Art von Zensur: Journalisten müssen befürchten, dass ihre Artikel von einem Richter so ausgelegt werden können, dass sie eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts enthalten. Sie werden also künftig von Ironie oder Anspielungen absehen. Von einer Diskussionskultur kann dann aber keine Rede mehr sein.