Die Internetgesetze sind – man möchte sagen, endlich – auch zum Politikum geworden. Fast alle Parteien haben sich von der Vorstellung verabschiedet, das Internet könne als „rechtsfreier Raum“ sich selbst überlassen bleiben. In der Diskussion dominieren Sachfragen: Die Internetrecht-Experten der Fraktionen stellen konkrete Forderungen, z.B. nach einem Haftungsprivileg für Suchmaschinen oder einre rechtlichen Verankerung des „Notice and Take Down“-Verfahrens.
Vergangenen Donnerstag hat der Bundestag verschiedene Beschlussvorschläge diskutiert, die die Oppositionsparteien zu einer TMG-Revision eingebracht hatten. Im Folgenden dokumentieren wir (verkürzt und unter Hervorhebung der wichtigsten Punkte) die Anträge der Parteien.
Sämtliche Oppositionsparteien forderten eine unverzügliche Reformierung des TMG. Das aktuelle Gesetz werde „seinen Anforderungen nicht gerecht“ (FDP), weise „erhebliche Defizite auf“ (Grüne) bzw. sei „hinsichtlich der Rechtssicherheit das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht“ (Linke).
Die FDP forderte vor allem technische Verbesserungen. So verlangt die Partei in ihrem Antragspapier (PDF) unter anderem, das neue TMG solle:
— die Begrifflichkeiten und Abgrenzungen von Telemediendiensten, Telekommunikationsdiensten und Rundfunk eindeutiger und zukunftsgerichteter definieren.
— sicherstellen, dass der Rahmen für die allgemeinen Informationspflichten sachgerecht gezogen wird, um nicht private Homepages, Weblogs, Meinungsforen oder Chats, vor allem aber auch Shareware und Open-Access- Angebote nach § 5 Abs. 1 TMG mit überzogenen Anforderungen zu belasten. Das jetzige Abgrenzungsmerkmal „geschäftsmäßig“ lässt hier noch zuviel Spielraum, weil potenziell auch kostenlose Angebote erfasst sind, die anderswo möglicherweise gegen Entgelt angeboten werden.
— sicherstellen, dass Anbieter von Telemediendiensten nicht mit unerfüllbaren Haftungs- und Verantwortlichkeitsregeln oder Überwachungspflichten konfrontiert werden.
— das grundsätzliche Strukturproblem des europäischen und deutschen Telemedienrechts aufgreifen: Diejenigen Provider, die im Kampf gegen illegale Inhalte freiwillig Prüfmaßnahmen durchführen, stehen aufgrund ihrer damit verbundenen (potenziellen) Kenntnis haftungsrechtlich schlechter als diejenigen, die auf solche Anstrengungen verzichten.
— die Haftung und Verantwortung soweit wie möglich grundsätzlich dem Verursacher selbst zuordnen und ein formalisiertes Verfahren zur Klärung der Rechteinhaberschaft sowie der damit verbundenen Konsequenzen etablieren. Auf diese Weise würden Content-Provider und (potenzielle) Rechteinhaber zusammengeführt und Host- und Access-Provider aus ihrer haftungsrechtlichen Zwickmühle entlassen. Umsetzen ließe sich dies z. B. durch die Einführung des „Notice-and-take-down“-Verfahrens.
— in die Zukunft gerichtete Überwachungspflichten von in den Schutzbereich von Artikel 5 des Grundgesetzes fallenden Plattformen – insbesondere also so genannten Meinungsforen – grundsätzlich ausschließen.
— die besondere Situation von Suchmaschinen und Hyperlinks im TMG abbilden.
— die Bestandsdatennutzung nach § 14 des TMG-Entwurfs so regeln, dass die Sphäre des elektronischen Geschäftsverkehrs nicht stärker als die des „klassischen“ Geschäftsverkehrs reglementiert wird. Danach wird § 14 TMG so umformuliert, dass bei bestehenden Kundenbeziehungen grundsätzlich Opt-out-Regelungen greifen, so wie es im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ebenfalls vorgesehen ist.
— der Bekämpfung von SPAM weiterhin eine hohe Priorität zumessen.
Im Übrigen weist der Deutsche Bundestag die Bundesländer auf die bestehenden Wettbewerbsnachteile hin, die durch die zersplitterte und der konvergenten Medienrealität nicht gerecht werdende Aufsichts- und Regulierungslandschaft auftreten.
Die Forderungen der FDP sind teilweise sehr detailliert. Hier wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit stark gekürzt.
Die Linkspartei hat einen eigenen Antrag (PDF) eingebracht. Auszugsweise forderte sie darin:
2. eine positivrechtliche Definition (Legaldefinition) des Begriffes Telemedien im Gesetzesentwurf zu verankern;
3. im TMG ein Koppelungsverbot zwischen der Nutzung persönlicher Daten und der Nutzung von Diensten einzufügen;
4. die Erstellung von Nutzerprofilen nur bei einer ausdrücklichen vorherigen Einwilligung des Nutzers zu erlauben. Dem Nutzer sind auf sein Verlangen unentgeltlich und unverzüglich die zu seiner Person oder seinem Pseudonym gespeicherten Daten mitzuteilen;
5. die Versendung von Werbemails an die vorliegende Zustimmung des Empfängers zu knüpfen und Verstöße dagegen als Ordnungswidrigkeit zu behandeln;
6. die Anwendung der Datenschutzvorschriften des Telekommunikationsgesetzes einschließlich des Fernmeldegeheimnis auf das Telemediengesetz zu übertragen;
7. bei der Neufassung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 TMG (Allgemeine Informationspflichten) eine eindeutige Regelung zu finden, ob zu den „Angaben, die eine schnelle elektronische Kontaktaufnahme und unmittelbare Kommunikation (…) ermöglichen“ im Rahmen der Pflichtangaben im Impressum auch die Angabe einer Telefon- und/oder Faxnummer gehört oder nicht;
8. im Rahmen des § 7 Abs. 2 TMG präventive Überprüfungs- und Überwachungspflichten der Anbieter von Telemediendiensten eindeutig auszuschließen;
9. insbesondere auch für die Betreiberinnen und Betreiber von Suchmaschinen proaktive Überwachungspflichten eindeutig auszuschließen;
10. auf die besondere Situation in der digitalen Welt Rücksicht zu nehmen und im Gesetzentwurf zur Novellierung des TMG die so genannte Störerhaftung und die Haftung als so genannter Mitstörer (Haftung für fremde Inhalte) eindeutig und im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer zu verankern;
11. die Haftungsprivilegierung des TMG im Sinne der Internetwirtschaft eindeutig auch auf den Unterlassungsanspruch auszuweiten;
12. eine eindeutige Regelung zur Frage der Haftung beim Setzen von Hyperlinks im Gesetzentwurf zu verankern;
13. die in § 14 Abs. 2 TMG im Gesetz sehr weitreichenden Auskunftsmöglichkeiten über Bestandsdaten im Lichte des Datenschutzes zu begrenzen und die Herausgabe an eine vorherige gerichtliche Anordnung zu knüpfen und die Nachrichtendienste aus dem Kreis der berechtigten Stellen zu streichen;
14. in § 13 Abs. 1 TMG eindeutig klarzustellen, ab wann und unter welchen Umständen und Voraussetzungen vom „Beginn des Nutzungsvorgangs“ auszugehen ist und eine praxisnahe Anwendung zu gewährleisten.
Einige der Vorschläge der Linkspartei wirken unsinnig. So gilt für Werbemails bereit jetzt eine sog. „double-opt-in“-Lösung aus § 7 Abs. 2 UWG (Nr. 5); die Frage, ob ein Impressum auch eine Telefonnummer enthalten muss (Nr. 7), liegt aktuell dem EuGH vor.
Bündnis90/Die Grünen konzentrieren sich auf den Verbraucherschutz. Sie fordern (PDF):
2. eine positivrechtliche Definition von Telemedien im Gesetz festzuhalten und sich bei der Überarbeitung des Gesetzes an der europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste zu orientieren;
3. das Zusenden von kommerzieller Werbung, die der Empfänger nicht ausdrücklich verlangt hat, grundsätzlich als Ordnungswidrigkeit im TMG zu ahnden, unabhängig davon, ob der Absender oder der kommerzielle Charak- ter der Nachricht verschleiert wird;
4. eine eingängige Kennzeichnung für zugesandte Werbe-E-Mails in der Betreffzeile verpflichtend vorzuschreiben;
5. die Bundesnetzagentur als Verfolgungsbehörde der Ordnungswidrigkeiten zu bestimmen;
6. die Koppelung von Dienstenutzung und Preisgabe persönlicher Daten sowie Zustimmung zur Werbe-E-Mailzusendung uneingeschränkt zu verbieten.;
7. die Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Weitergabe der Bestandsdaten an die Sicherheitsbehörden auf die Erfüllung der in § 14 Abs. 2 des Gesetzentwurfs bestimmten Zwecke zu beschränken und die Weitergabe der Daten an die Polizeibehörden der Länder zum Zwecke der Gefahrenabwehr zu streichen; dabei sollte auch geprüft werden, ob der Schutz geistigen Eigentums an dieser Stelle sachgerecht und erforderlich ist;
8. im Unterlassungsklagegesetz klarzustellen, dass den Betroffenen ein Auskunftsanspruch bei unverlangt zugesendeter Werbung zusteht; zudem im Unterlassungsklagegesetz einen Unterlassungsanspruch für die von unverlangt zugesendeter E-Mail Betroffenen zu verankern;
9. verbrauchernahe und dauerhaft arbeitende Beschwerdestellen für Verbraucher einzurichten, die auch über Bürgerrechte in der digitalen Welt aufklären;
10. eine gesetzliche Klarstellung ins TMG aufzunehmen, die verdeutlicht, dass es auch für Suchmaschinenanbieter keine proaktiven Überwachungspflichten gibt;
11. eine Regelung ins TMG aufzunehmen, die verdeutlicht, dass auch Meinungsforen von in die Zukunft gerichteten Überwachungspflichten ausgeschlossen sind. Umsetzen ließe sich dies durch die Einführung eines „Notice and Take down Verfahrens“.
Es ist vorerst nicht damit zu rechnen, dass die Vorschläge in eine direkte TMG-Reform einmünden werden. Alle Anträge wurden bereits in den Ausschüssen verhandelt – und jeweils mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU abgelehnt. Angeblich arbeitet das Wirtschaftsministerium an einer Novelle, der Entwurf ist bisher jedoch noch nicht bekannt und es ist höchst zweifelhaft, ob dieser noch in der laufenden Legislaturperiode verabschiedet wird.