Am 9. Oktober, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, tötete ein rechtsextremistisch motivierter Täter in Halle zwei Menschen. Dies geschah in direkter Umgebung zu einer Synagoge, in die er zuvor versucht hatte, einzudringen. Der Anschlag, der sich in eine Serie besorgniserregender Vorfälle in jüngster Vergangenheit einreiht, gab Anlass zu politischen Konsequenzen: Die Bundesregierung reagiere nun mit „konkreten Maßnahmen”, so Bundesinnenminister Seehofer, und weiter: „Das Signal ist klar: Wir handeln und lassen unseren Worten Taten folgen.” Am 30.10.2019 präsentierte die Bundesregierung dann ihr aus neun Punkten bestehendes „Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität”.
Aber ist der 9-Punkte-Plan wirklich so konkret, wie die Bundesregierung suggeriert, oder vielleicht doch nur Symbolpolitik?
Das Papier der Bundesesregierung nennt insgesamt 9 Maßnahmen. Diese stehen unter den folgenden Überschriften:
1. Identifizierung bei Hasskriminalität im Netz verbessern
2. Strafbarkeit von Cyber-Stalking, Hetze und aggressiver Beleidigung anpassen
3. Schutz von Kommunalpolitikerinnen und -politikern verbessern
4. Bearbeitung des Rechtsextremismus im Verfassungsschutzverbund intensivieren und Austausch mit den Polizeien verstärken
5. Waffen- und Sprengstoffrecht schärfen
6. Schutz des medizinischen Personals verbessern
7. Recht der Melderegister anpassen
8. Präventionsarbeit ausweiten und verstetigen
9. Ressourcen stärken
Aus diesem Maßnahmenpaket betrifft ein Großteil (die Punkte 1, 2, 3, 5, 6 und 7) Änderungen an Gesetzen. Punkte 4, 8 und 9 sind eher dem Bereich der Verwaltung zuzuordnen. Durchweg handelt es sich dabei um Ankündigungen. Das Maßnahmenpaket enthält also keine konkreten Gesetzesentwürfe oder Budget-Zuweisungen. Diese müssen erst noch folgen.
Eine wichtige Änderung ist für das sog. Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vorgesehen. Dieses Gesetz verpflichtet bereits seit Anfang 2018 Anbieter sozialer Netzwerke mit mehr als zwei Millionen in Deutschland registrierten Nutzern dazu, bestimmte „rechtswidrige Inhalte” innerhalb vorgegebener Zeitspannen zu entfernen.
Das Maßnahmenpaket sieht nun vor, das Gesetz in zwei Aspekten zu ergänzen: Einerseits plant die Bundesregierung, den Katalog der „rechtswidrigen Inhalte” in § 1 Absatz 3 NetzDG auszuweiten. Zum anderen will sie die Betreiber der Social Networks verpflichten, bestimmte Inhalte aktiv an die Polizei zu melden. Wörtlich hierzu das Papier der Bundesregierung:
Wir werden eine Meldepflicht für Diensteanbieter nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) einführen. Ziel ist eine Verpflichtung der Telemediendiensteanbieter, tätig zu werden, vor allem bei Morddrohungen und Volksverhetzung. Die betreffenden relevanten Inhalte und IP-Adressen sollen einer neu zu errichtenden Zentralstelle im BKA mitgeteilt werden. Der Deliktskatalog in § 1 Absatz 3 NetzDG wird entsprechend angepasst werden. Wir werden prüfen, ob es über die derzeit im NetzDG erfassten sozialen Netzwerke hinaus Handlungsbedarf bzgl. weiterer Dienste gibt.
Laut ersten Medienberichten über einen entsprechenden Gesetzesentwurf sollen die Social Networks zukünftig nicht nur die strafbaren Inhalte melden, sondern auch die dazugehörigen Daten zu dem Account und die IP-Adresse, von der aus die Inhalte gepostet wurden. Bloße Beleidigungen (§ 185 StGB) sollen jedoch nicht zu den strafbaren Inhalten zählen, die dem BKA verpflichtend zu melden sind.
Begleitend zu der Änderung am NetzDG will die Bundesregierung auch das BKA-Gesetz und die StPO ändern. Dort sollen die Ermittlungsbehörden „Auskunftsbefugnisse“ gegenüber den Social Networks bekommen.
Der Schwerpunkt des Maßnahmenpakets sind verschiedene Änderungen im Strafgesetzbuch (StGB). Ziel der Bundesregierung: „Gewalthetze in all ihren Erscheinungsformen“ bestrafen. Dazu sind nach Ansicht der Bundesregierung insbesondere Anpassungen des Äußerungsstrafrechts notwendig:
Das betrifft vor allem die Aspekte der Aufforderung zu Straftaten oder der Billigung oder Verharmlosung von Straftaten. Den Tatbestand der Beleidigung werden wir an die Besonderheiten des Netzes anpassen.
Die geplanten Änderungen werden vermutlich die Tatbestände der §§ 111, 131 und 140 des Strafgesetzbuches betreffen. Genaue Vorschläge, wie die Bundesregierung diese Straftatbestände anpassen will, liegen aber noch nicht vor.
Ein zweiter wichtiger Punkt: Die Bundesregierung will § 188 StGB auch auf Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker ausweiten. Bis jetzt bestraft diese Vorschrift bereits die üble Nachrede und Verleumdung von Spitzenpolitikern in Bund und Ländern – und zwar härter als bei der „normalen” Verleumdung bzw. üblen Nachrede (§§ 186, 187 StGB). In Zukunft will die Bundesregierung die besonders harten Strafen des § 188 StGB auch auf Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker ausdehnen. Denn diese gehörten nach der Rechtsprechung bislang nicht zum geschützten Personenkreis.
Die dritte angekündigte Änderung betrifft den Straftatbestand des § 113 StGB, der bislang „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” heißt. Die Bundesregierung will diese Vorschrift auch auf „medizinisches Personal, insbesondere in ärztlichen Notdiensten und Notfallambulanzen”, erweitern. Diese Personen sind keine Vollstreckungsbeamten, sollen jedoch nun ähnlich geschützt werden.
Der siebte Punkt des Maßnahmenpakets der Bundesregierung betrifft eine Anpassung im „Recht der Melderegister”. Was damit gemeint ist, wird in dem Papier der Bundesregierung aber gar nicht erläutert. Wörtlich heißt es dazu lediglich:
Wir werden gesetzliche Änderungen im Melderecht umsetzen, um den Schutz von Personen, die durch Gewalt gefährdet werden, zu gewährleisten.
Weitere Ausführungen macht die Bundesregierung nicht; die Beschreibung wirkt auf den ersten Blick wie eine Leerformel. Wo bleibt die von Innenminister Horst Seehofer versprochene Konkretheit?
Worauf die Bundesregierung hinaus will, ist vorerst also Spekulationssache. Vermutlich steht hinter der Ankündigung folgender Gedanke: Bislang ist es recht einfach möglich, bei Meldeämtern die Adressen von Personen zu erfragen. Vermutlich möchte die Bundesregierung die Adressdaten nun besser schützen, um Drohungen und Hassbotschaften zu unterbinden. Bislang ist eine Auskunftssperre nur dann möglich, wenn ein Betroffener vortragen kann, dass für sie oder ihn eine „Gefahr für Leben, Gesundheit und persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen“ besteht (§ 51 Bundesmeldegesetz). Gut möglich, dass die Bundesregierung hier zusätzliche Zugangsschranken einfügen will.
Weitere Punkte des Maßnahmenpakets betreffen die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz- und Polizeibehörden (Punkt 4), bundesfinanzierte Präventionsprogramme (Punkt 8) und allgemein die Ressourcenausstattung der Sicherheitsbehörden des Bundes (Punkt 9). Lediglich in Bezug auf die Präventionsarbeit geht die Bundesregierung in ihrem Papier näher ins Detail. Die Bundesregierung nennt dort einige (bereits vorhandene) Programme zur Demokratieförderung und Extremismusprävention und kündigt eine „finanzielle Verstetigung der Förderung auf hohem Niveau“ an. Außerdem will die Bundesregierung „kurzfristig prüfen, wo und wie eine Nachjustierung der Präventionsprogramme und weiterer Maßnahmen erforderlich ist“.
Die Bundesregierung schließt ihre Ausführungen zur Präventionsarbeit mit dem ganz wesentlichen Gedanken, dass sie eine drohende Radikalisierung frühzeitiger erkennen will. Außerdem will sie erreichen, dass Angehörige in solchen Fällen rechtzeitig beraten werden. Sie will dies jedoch nur „prüfen”.
Insgesamt steht fest: Die meisten Maßnahmen müssen noch mit Leben gefüllt werden. Es sind zweifellos fundierte und wichtige Ansätze erkennbar, welche durchaus das Potential haben, im Kampf gegen Rechtsextremismus Wirkung zu zeigen.
Die Zukunft wird zeigen, ob auf die Maßnahmen in Worten auch entsprechende Taten folgen werden – und vor allem welche Wirkung diese haben. Mit dem Entwurf zur Verschärfung des NetzDG hat die Bundesregierung jedenfalls bereits den ersten konkreten Schritt unternommen. Auf Nachfrage von Telemedicus hat das Bundesjustizministerium bestätigt, dass auch weitere Gesetzesentwürfe noch dieses Jahr folgen werden.
Das Papier zum Maßnahmenpaket der Bundesregierung im Volltext.
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Zusatzausbildung „Recht und Kommunikation”, die Telemedicus gemeinsam mit Bird & Bird anbietet. Weitere Informationen zur Zusatzbildung finden sich hier. Die Beiträge geben inhaltlich lediglich die Auffassung der jeweiligen AutorInnen wieder.