Sie sind überall. Das Girlie mit dem iPod in der U-Bahn, das mit dem Handy eine SMS nach der anderen verschickt. Der Ferienpraktikant im Büro, der gekonnt Abhilfe schafft, wenn das Mailprogramm mal wieder spinnt. Die Achtjährige, die Erwachsene bei jedem erdenklichen Computerspiel besiegt und obendrein um Längen schneller tippen kann. Oder auch das Neugeborene der weit entfernt wohnenden Nichte, das Sie noch nie gesehen haben, aber trotzdem schon gut kennen, weil jede Woche eine neue Ladung digitaler Babyfotos bei Ihnen ankommt.
Sie – damit sind die „Digital Natives“ gemeint: Eine Generation, die ein Leben ohne Internet und Computer nicht mehr kennt. Eine Generation, die sich in den digitalen Lebensräumen nicht weniger zu Hause fühlt, als in der analogen, realen Welt zum Anfassen.
„Generation Internet“ heißt der Titel eines Buches, das sich mit den jungen Menschen auf jenen Flecken dieser Erde beschäftigt, die dem Internet angeschlossen sind: „Wie sie leben, was sie denken, wie sie arbeiten“. Wie prägt das Internet die unter 25jährigen? Es bestand immer schon eine große Kluft zwischen den Alten und den Jungen einer Gesellschaft. Doch die jeweilige Unkenntnis und Differenz der verschiedenen Altersgruppen war wohl nie größer als heute. Der 85jährige Großvater reagiert ganz erstaunt, wenn man ihm per iPhone schnell mal das Foto der angehimmelten Radiomoderatorin zeigt: „Steckt das alles da drin, in diesem Telefon? Das ist ja allerhand!“ Die Enkelin dagegen, amüsiert über den alten Mann, wäre ohne jederzeitigen Informationsnachschub per Internet oft aufgeschmissen.
Bewunderung und Furcht vor der neuen Generation und den neuen Medien zeigen aber nicht nur die wirklich alten Menschen: Eltern, Lehrer und Politiker sind oftmals voller Sorge und sehen zahlreiche Gefahren, die das Internet mitbringt. Und genau hier setzt das Buch an: Sachlich und rational zeigen die Autoren John Palfrey und Urs Gasser, wo wirklich Gefahren drohen und Handlungsbedarf besteht. An anderer Stelle beruhigen sie und nehmen Ängste, zum Beispiel weil bloß unbegründete Generationenskepsis angemeldet wurde. Und sie machen deutlich: Nicht alle der Probleme sind wirklich internetspezifisch, manche – wie Mobbing – existieren genauso oder ähnlich in der realen Welt. Wohltuend ist, dass die beiden Autoren nicht ins Gejammer der Medien und Politiker einsteigen, sondern die einzelnen Argumente sorgsam betrachten und mit neuen Denkansätzen kommen. Es wird nicht einseitig das Verhalten der jungen Menschen verteufelt; kritisiert werden auch die anderen, allen voran die Gesetzgeber dieser Welt.
Transnationale Dimensionen
Das Internet ist ein weltweit genutztes Medium, das die Menschen rund um den Globus miteinander in Kontakt bringt. Sowohl die Vor- als auch die Nachteile des WWW finden sich überall in ähnlichem Umfang und vergleichbarer Qualität. Deshalb appellieren Palfrey und Gasser, diese transnationalen Dimensionen in die (vor allem juristischen) Lösungen einzubeziehen – nur dann seien sie auch erfolgsversprechend. Auch ein anderer wichtiger Aspekt, den die Autoren ansprechen, soll hier hervor gehoben werden. Besorgniserregend ist nämlich nicht nur die Kluft zwischen alt und jung, sondern auch die Schere zwischen arm und reich, die vor allem regional bedingt ist und immer größer wird. Noch nicht allenorts sind Internetverbindungen vorhanden, sodass der Wissens- und Entwicklungsvorsprung der reichen, digital angebundenen Länder unaufholbar größer wird.
Anschaulich, aber in erster Linie ein Sachbuch
Die Autoren, selber Eltern von Digital Natives und Rechtsprofessoren, sammelten umfassendes Recherchematerial, darunter auch viele Interviews mit jungen Menschen. Vor allem diese O-Töne machen das Buch sehr anschaulich. Dennoch ist und bleibt das Buch trotz eher umgangssprachlichen Formulierungen in erster Linie ein Sachbuch, das zu lesen mitunter etwas müßig ist. Grund dafür ist, dass die Autoren die jeweiligen Probleme und ihre Standpunkte mit vielen Beispielen untermalen und belegen. Das ist grundsätzlich nützlich, führt hier aber oftmals dazu, dass man als Leser den roten Faden verliert. Manche Beispiele wiederholen sich oder erscheinen zu ausführlich, zu langatmig, weil man den springenden Punkt längst verstanden hat.
Trotzdem: „Generation Internet“ ist eines der ersten Bücher, das sich mit dieser noch kaum erforschten Altersgruppe und den Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur beschäftigt. Lesenswert!
„Generation Internet – Die Digital Natives: Wie sie leben. Was sie denken. Wie sie arbeiten“ , von John Palfrey und Urs Gasser, 440 Seiten mit umfangreichem Glossar, erschienen im Hanser Verlag. Gebunden, 19,90 €.