Sind Warnhinweise für notorische Urheberrechtsverletzer im Netz auch in Deutschland denkbar? Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hat eine Studie hierzu veröffentlicht. Sie enthält einen Vorschlag für ein deutsches Modell: Keine Abmahnung mehr, bevor die Nutzer nicht verwarnt wurden.
Die Studie wurde von der Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln unter der Leitung von Rolf Schwartmann vorgelegt (PDF). Keine überraschenden Erkenntnisse liefert sie, soweit sie in einem ersten Teil die Ausprägung von Urheberrechtsverstößen untersucht. Insoweit ist von der Internetpiraterie als „Massenphänomen” die Rede. Danach stellt das Gutachten ausländische Modelle vor. Im folgenden Teil kommt dann der Kernpunkt der Studie: Die Erörterung eines Modells für Warnhinweise in Deutschland.
Schwartmann schlägt vor, Usern Warnhinweise zukommen zu lassen, bevor sie „unvermittelt abgemahnt“ werden können (S. 338 f.). Jeder gewarnte User soll die Möglichkeit haben, sein vermeintlich rechtswidriges Verhalten zu erkennen und einzustellen, um einer weiteren Verfolgung durch die Rechteinhaber zu entgehen.
Ist das eine „Three Strikes“-Lösung, wie sie in Großbritannien diskutiert wurde und in Frankreich als Hadopi angewendet wird? Nein – es fehlt der dritte „Strike“. Von der Sperrung einzelner Internetzugänge als ultima ratio eines Warnmodells nehmen die Ersteller der Studie Abstand. Auch für den BMWi-Staatssekretär Hans Joachim Otto kommen Sperrmaßnahmen nicht in Frage – ganz im Unterschied etwa zum französischen Three-Strikes-Modell. Daher ist von „Two Strikes“ die Rede.
Modell soll Bürger erreichen – und nimmt Provider in Pflicht
Nach dem Vorschlag des Gutachtens wird dem urheberrechtlichen Auskunftsanspruch (vgl. § 101 Abs. 1, 9 UrhG) ein „vorgerichtliches Mitwirkungsmodell“ vorangestellt. Rechteinhaber melden den Internet-Providern die IP-Adressen, bei denen sie Urheberrechtsverstöße entdecken. Der Provider verschickt dann einen ersten Warnhinweis.
Das Gutachten hat auch einen Vorschlag zur besseren Rechtsdurchsetzung: Jeder Provider soll eine Liste erstellen, die (anonymisiert) die bereits begangene Verstöße seiner User speichert. Begehen bereits gelistete User einen neuen Verstoß, sollen die Provider dies dem Rechteinhaber bekannt geben. Das Gutachten hierzu:
„Das Mittel im Rahmen des hier vorgeschlagenen Modells zur [Reduzierung] von Rechtsverletzungen im Internet ist eine Kombination aus aufklärenden Warnungen und Auskunftsanspruch. (…) [Es sollen] Wertungen in Lösungsansätze einfließen, die den Bürger erreichen. (…) Rechtsstaatlich ist der Ansatz von Vorteil, weil er vor einer Abmahnung auf aufklärende Warnungen setzt.“
(S. 337 des Gutachtens)
Rechtsstaatliche Bedenken und Belastung der Provider
Der Branchenverband Eco befürchtet, dass Warnmodelle die Rechtsdurchsetzung privatisieren könnten. Und tatsächlich: Die Warnhinweise gehen nach dem vorgeschlagenen Modell zu keinem Zeitpunkt durch Behördenhände. Das spricht nicht unbedingt dafür, dass das Verfahren rechtsstaatlichen „Mehrwert“ bringen würde, wie es das Gutachten behauptet.
Das Warnmodell dürfte auch eine erhebliche Mehrbelastung für Provider mit sich bringen. Die kann, gerade auch wenn man das Netzsperren-Urteil des EuGH vom letzten Jahr (Scarlet Extended) betrachtet, die unternehmerische Freiheit der Provider verletzen. Außerdem verbietet Art. 15 der E-Commerce-Richtlinie (2000/31/EG), Providern allgemeine Überwachungspflichten aufzuerlegen. Eine solche Überwachungspflicht dürfte das Warnmodell aber voraussetzen. Harsche Kritik erntet der Vorschlag außerdem, weil er nicht ohne Vorratsdatenspeicherung auskommt: Auf Zuruf von Rechteinhabern müssten Provider die Daten von Einzelverstößen speichern und Verstoßlisten pflegen.
Insgesamt lässt das Gutachten eine rechteinhaberfreundliche Tendenz erkennen. Verfassungsrechtliche Bedenken – etwa in Bezug auf Eingriffe in die Berufsfreiheit der Provider und die informationelle Selbstbestimmung der User – sieht es durch einen weitgehenden Urheberrechtsschutz ausgeräumt.
Das Gutachten im Volltext (PDF).
Die Gegenmeinung im „Beipackzettel” der Digitalen Gesellschaft (PDF).