Satire kann Kunst sein, nicht jede Satire ist aber Kunst. Manche Satire ist zulässig, manche nicht. Das ist soweit unproblematisch. Normalerweise läuft es in einem Rechtsstaat so, dass über Grenzfragen von Satire Gerichte entscheiden. Wer sich durch eine Satire in seinen Rechten verletzt sieht, kann klagen und muss nicht auf eigene Faust Gerechtigkeit herstellen. Auch das ist nicht überraschend.
Überraschend ist aber, dass das Bundesinnenministerium anscheinend einen eigenen Weg gefunden hat, mit Satire umzugehen. So berichtet jedenfalls ein Blogger, dessen Webseite angeblich vom BMI gesperrt wurde.
Die Webseite war eine Satire zu Netzsperren. Im Stil der Internetseite des Bundesinnenministeriums wurde den Besuchern verkündet, dass die hier gehostete Webseite gesperrt sei. Unter anderem wegen „südländisch wirkender Gebete“ und „kritischer Anmerkungen zur Bundesregierung“ (siehe Screenshot). Aus Spaß wurde jedoch Ernst: Die Webseite verschwand aus dem Netz.
Die Hintergründe sind bislang nicht ganz klar. Der Hoster des Bloggers „Pantoffelpunk“ deutete jedoch an, dass das Bundesinnenministerium um die „unverzügliche freiwillige Kündigung gebeten“ habe. Grund soll unter anderem sein, dass die Webseite das „Logo“ des Innenministeriums trage. Der Hoster gab dieser „Bitte“ nach. Denn eine Beschlagnahmung von Servern könne man auch im Interesse anderer Kunden nicht riskieren.
Wenn der Staat die Verantwortung abgibt
Unterstellt, dass diese Darstellung so stimmt, wäre das schon ein interessanter Vorgang. Indem das Ministerium Druck auf den Hoster ausübt, überträgt es diesem nämlich auch das Klagerisiko. Denn wenn die Sperrung nicht durch das Ministerium, sondern durch den Hoster „auf freiwilliger Basis“ geschieht, kann sich der Betroffene nur mit einer Klage gegen seinen Hoster wehren. Gewisse Parallelen zu Kinderporno-Netzsperren und dem Versuch, diese vertraglich zu regeln, drängen sich auf.
Gleichzeitig sitzt der Hoster in einer Zwickmühle: Riskiert er staatliche Repressionen, die unter Umständen unbeteiligte Kunden mit hineinziehen und seinen Ruf schädigen können oder beugt er sich der – möglicherweise haltlosen – Einflussnahme des Ministeriums?
Der Staat umgeht damit die rechtsstaatliche Überprüfung seines Handelns. Er muss gar nicht mehr selbst in Grundrechte eingreifen, das besorgen schon andere für ihn. Zum Teil sogar die Grundrechtsträger selbst, die ihre Grundrechte freiwillig nicht mehr ausüben, um eventuelle Repressionen – die noch nicht einmal sicher drohen, sondern nur im Raum stehen – zu vermeiden. Denn wer wird sich jetzt schon noch trauen, eine Satire-Webseite über das BMI ins Netz zu stellen?
Warten wir ab, wie sich der Fall entwickelt. Ein ungünstigerer Zeitpunkt, um auf diese Art gegen unliebsame Webseiten im Internet vorzugehen, wäre aber aus Sicht des BMI kaum denkbar. Denn bisher hatten vor allem Familien-, Justiz- und Wirtschaftsministerium den schwarzen Peter der Netzsperren am Hals. Mit einer solchen Sperrung würde sich das Innenministerium ganz schnell mit in diese Reihe profilieren.
Zum Blogeintrag (mit weiteren Updates zur Sache) beim „Pantoffelpunk“.
(via)
Update:
Zwischenzeitlich liegt eine Stellungnahme des Hosters „Domainfactory“ vor. Dieser bestätigt, dass eine „schriftliche Aufforderung des Bundesverwaltungsamtes“ erfolgt sei. Die Rechtswidrigkeit der Webseite ergebe sich aus § 124 Ordnungswidrigkeitengesetz. Um keine Störerhaftung zu riskieren, habe man die Internetseite daraufhin vom Netz genommen:
„Als Provider von Webhosting-Dienstleistungen sind wir bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit von über unsere Server im Internet veröffentlichten Inhalten im Rahmen der sogenannten „Störerhaftung“ mitverantwortlich. Demnach sind wir verpflichtet, bei Kenntniserlangung über einen offensichtlichen Rechtsverstoß umgehend zu reagieren und dafür Sorge zu tragen, dass eine Fortführung des Verstoßes unterbleibt. Bis zu einer Beseitigung des Verstoßes erfolgt daher in solchen Fällen eine vorübergehende Sperrung der Domain, über welche die entsprechenden Inhalte abrufbar sind.“
In der Tat befürchtet man außerdem eine Beschlagnahme von Servern:
„Für uns als Anbieter von Webhosting-Dienstleistungen können diese Konsequenzen sehr schnell zu einer Bedrohung der unternehmerischen Existenz führen. Eine nicht erfolgende Reaktion und somit Fortführung des Rechtsverstoßes kann im schlimmsten Fall zu einer Beschlagnahme sämtlicher von uns betriebener Server führen, wenn der Verletzte gegen den anhaltenden Rechtsverstoß gerichtlich vorgeht – unabhängig davon, ob es sich dabei um eine Privatperson, eine juristische Person oder um eine öffentliche Einrichtung handelt. Eine wissentliche Duldung des Verstoßes führt somit nicht nur zur Entziehung der Existenzgrundlage der 50 Mitarbeiter unseres Unternehmens und deren Familien, sondern auch zu einer Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz von vielen unserer über 100.000 Kunden und deren Geschäftspartnern, die zurecht auf einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren bei uns gehosteten Webseiten, Onlineshops, E-Mail-Postfächern, etc. vertrauen dürfen.“
Ob in einem solchen Fall tatsächlich „existenzbedrohende Maßnahmen“ drohen, ist fraglich. Und auch ob die Störerhaftung in diesem Fall zwingend droht, ist nicht sicher. Aber heutzutage weiß man ja nie. Und kann man dem Hoster wirklich einen Vorwurf machen, auch ein minimales Risiko nicht eingehen zu wollen? Telemedicus ist ebenfalls bei Domainfactory gehostet. Mir wäre es sicher nicht recht, wenn unsere Webseite für Monate ins forensische Labor verfrachtet würde, nur weil wir zufällig auf dem selben Server liegen, wie eine Seite, die einem Ministerium nicht passt. Insofern hat der Hoster durchaus im Sinne seiner Kunden reagiert.
Der eigentliche Vorwurf ist nach wie vor dem BMI, bzw. dem Bundesverwaltungsamt zu machen. Ein gerichtliches Vorgehen wäre der Normalfall gewesen und hätte keine Unbeteiligten in den Streit hineingezogen.
Zur vollständigen Stellungnahme.
Nachtrag vom 29. März 2010:
Domainfactory unterstützt inzwischen (fast ein Jahr nach Veröffentlichung dieses Artikels) Telemedicus und stellt uns einen Webserver kostenlos zur Verfügung. Ein Zusammenhang mit unserer Berichterstattung über Domainfactory besteht natürlich nicht. Trotzdem möchten wir auf das Sponsoring an dieser Stelle hinweisen, um die Zusammenhänge, die mittlerweile ergeben haben, transparent zu machen.