Blogger, die ihre Weblogs mit Creative Commons-Lizenzen ausstatten; die VG Wort, die Blog-Autoren eine wirtschaftliche Verwertung ihrer Blogs anbietet und Blogger, die sich auf das urheberrechtliche Zitatrecht berufen, gehen alle von einer bestimmten rechtlichen Vorfrage aus: Sie nehmen an, ein Weblog sei schutzfähig im Sinn des UrhG. Dass es sich bei Weblogs grundsätzlich um schutzfähige Werke handelt, ist aber längst nicht sicher. Die Rechtsprechung hat zu dieser Frage bisher nicht Stellung genommen, die Literatur streift das Thema nur am Rande. Dieser Beitrag untersucht, unter welchen Voraussetzungen Weblogs schutzfähige Schriftwerke i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG sein können. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf den klassischen Begriff des „Werks“, der dem UrhG zugrundeliegt, also den des Kunstwerks.
I. Die Schutzfähigkeit von Werken
Voraussetzung für die Entstehung von Urheberrechten ist das Erreichen der sogenannten “Schöpfungshöhe”. Nach § 2 Abs. 2 UrhG liegt diese vor, wenn es sich bei einem Werk um eine “persönliche geistige Schöpfung” handelt. Der Begriff der Schöpfungshöhe, auch bezeichnet als “Gestaltungshöhe” oder “Werkhöhe”, ist einer der zentralen Begriffe des Urheberrechtes: Anhand dieses Merkmals ermittelt die Rechtsprechung den Ausgleich zwischen dem Schutzanspruch des Urhebers und dem Freihaltebedürfnis der Öffentlichkeit. Der Begriff der Schöpfungshöhe ist Gegenstand umfangreicher wissenschaftlicher Erörterung und einer ausdifferenzierten Rechtsprechung, die an dieser Stelle nicht ausführlich dargestellt werden kann. [1]
Das deutsche Urheberrecht fußt historisch auf dem Bild des Künstlers als “genialem” Autor: Das Kunstwerk ist Ergebnis eines “freien” Schaffensprozesses und verdient auch nur den Schutz der Rechtsordnung, wenn es Ausdruck der “Phantasie” seines Schöpfers ist.
Es wäre allerdings ein Verstoß gegen die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG, würde man dies anhand der “Qualität” des Werkes ermitteln. Vielmehr stellen Rechtsprechung und Literatur hier fast ausschließlich auf das Merkmal der “individuellen Prägung”, bzw. die “Eigentümlichkeit” des Kunstwerks ab. Das Urheberrecht konzentriert sich somit auf die Frage, inwieweit sich das Werk vom “Gewöhnlichen” und “Üblichen” abhebt.
Das Ergebnis ist eine zweischrittige Prüfung: Zunächst ist zu ermitteln, inwiefern das jeweilige Werk vom “Gewöhnlichen” abweicht. Dann ist zu prüfen, ob diese Abweichung hinreichend “individuell geprägt” ist, um eine Schutzfähigkeit (und damit die Einschränkung der Rechte der Allgemeinheit an einem bestimmten Werk) zu rechtfertigen.
II. Weblogs zwischen Kunst und Kommunikation
Ein Weblog ist eine Online-Publikation, die stark individuell geprägt ist. Der Autor eines Weblogs begreift dieses als digitale Präsentation seiner selbst [2], in Art und Auswahl seiner Einträge spiegeln sich unmittelbar Persönlichkeit und Interessen des Bloggers wieder. Ein Weblog ist somit im Regelfall viel “individueller” als ein typisches Kunstwerk.
Zudem ist ein Weblog in sich nie abgeschlossen: Es liegt im Wesen des Bloggens, dass ein Blog immer als Fortsetzungswerk angelegt ist. Der Eintrag von heute ist immer eine Einleitung für den Eintrag von morgen; der Eintrag von heute ist immer auch eine Fortschreibung der Einträge von gestern und vorgestern. Anders als ein typisches Kunstwerk wie z.B. ein Roman oder ein Gemälde hat ein Blog somit kein Ende. Den Zeitpunkt, indem der Autor seine “fertige” Schöpfung vollständig in die Öffentlichkeit entlassen würde, gibt es nicht.
Dadurch, dass das Weblog grundsätzlich zur Zukunft hin offen ist, ist es mit dem Lebenslauf seiner Autoren unmittelbar (und häufig auch unwideruflich) verbunden: Selbst Blogs, die sich vorrangig mit Sachthemen beschäftigen, konzentrieren sich auf subjektive Darstellungen. [3] Auf den Inhalt seiner Einträge hat auch der Blogger selbst deshalb nur begrenzt Einfluss, häufig ist er nur Chronist von Geschehnissen die er nicht selbst bestimmen kann. Diese Verknüpfung von Realität und Fiktion, fremder Einflussnahme und eigener Formgebung macht den grundlenden Charakter des Bloggens aus.
Ein Blog ist somit wesentlich mehr als nur eine Ansammlung von Schriftstücken. Es ist – zumindest im Regelfall – eine höchstpersönliche Darstellung der Person des Bloggers, vom Typ her angesiedelt irgendwo zwischen einem Tagebuch, Briefen und fachlichen Stellungsnahmen. Hinzu kommt, dass sich die Gestaltung des Weblogs nicht auf seinen Inhalt im engeren Sinne beschränkt, sondern auch das Design, die Kommentarspalte, die Gestaltung der Linklisten und vieles mehr betrifft. Es ist also in sehr hohem Ausmaß individuell geprägt – viel mehr, als das viele „klassische“ Kunstwerke sind. Würde man das Merkmal der „Eigentümlichkeit“ direkt anwenden, müsste das Ergebnis sein, dass letztlich jedes Blog ein schutzfähiges Werk ist.
III. Der klassische Werkbegriff
Das Urheberrecht geht historisch jedoch von einer ganz anderen Form von (Kunst-) Werken aus. Das klassische Kunstwerk ist ein in sich abgeschlossenes Werkstück, das der Künstler gezielt außerhalb der eigenen Persönlichkeitssphäre gestellt hat. Der Schöpfer hat mit der Vollendung des Kunstwerks auch seinen Schaffensprozess beendet: Ein Designer, der z.B. eine Skulptur aufstellt, bringt diese als eigenständiges, zeitlich und räumlich abgegrenztes Werkstück in die Sphäre der Öffentlichkeit. Das Werk soll für sich allein wirken, aus sich selbst heraus interpretiert werden. Der Künstler hat hier zwar Elemente seiner Persönlichkeit verarbeitet, ihnen gewissermaßen künstlerischen Ausdruck verliehen – aber dennoch will er sein Kunstwerk nicht als Fortsatz seiner eigenen Person verstanden sehen, sondern als abstraktes Bündel von Informationen und Gefühlen. Nicht der Künstler will mit seiner Umwelt interagieren, sondern das Kunstwerk soll dies tun: Es soll selbst beim Rezipienten bestimmte Eindrücke auslösen – und gleichzeitig seine Bedeutung durch den Vorgang der Interpretation verändern, indem sich neue Bedeutungsebenen erschließen.
Die Tatsache, dass ein Schöpfer (oder Künstler) im Regelfall versucht, seine eigene Individualität aus einem Werk zurückzudrängen, führt zu der Gegenbewegung des Urheberrechts: Je mehr persönliche Prägung in einem Werkstück verbleibt, desto eher soll es schutzfähig sein. Dieser Mechanismus ist tauglich, um Kunstwerke von (noch weniger persönlich geprägten) Handwerksstücken abzugrenzen – um die Abgrenzung zur anderen Richtung hin vorzunehmen, zu den noch persönlicher geprägten Tagebüchern oder eben auch Weblogs, ist er untauglich.
III. Schlussfolgerungen
Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass das reine Merkmal der “Individualität” nicht ausreichend sein kann, um die Schöpfungshöhe von Weblogs zu ermitteln. Da jedes Weblog “individuell” ist, müsste auch jedes Weblog schutzfähig sein – eine deutlich unbillige Lösung, die auch dem Willen der jeweiligen Blogger selbst nicht ensprechen dürfte. In der Rechtsprechung wird in ähnlichen Fällen, z.B. bei Briefen [4] und Tagebüchern [5], unterschiedlich entschieden. Die Entscheidungen stellen dabei darauf ab, ob sich in den Briefen oder Tagebüchern “Phantasie und Gestaltungskraft” zeigen [6], bzw. ob sie sich “durch die Art der Sprachgestaltung oder der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen, kulturellen, politischen oder sonstigen Fragen abheben” [7].
Soweit sich aus diesen Merkmalen ergibt, dass auf die Qualität der schriftlichen (oder sonstigen) Gestaltung abzustellen ist, sind sie abzulehnen: Es ist nicht die Funktion des Urheberrechts, “gute” von “schlechter” Kunst zu trennen. Dies würde dem Zweck des UrhG, eine Fortentwicklung der Kunst zu gewährleisten, zuwiderlaufen und wäre auch ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 GG.
Vielmehr wird an dieser Stelle vorgeschlagen, nicht allein auf die “Individualität” oder “Neuheit” des Weblogs abzustellen, sondern auf die oben genannten Besonderheiten des Weblogs: Blogs sind nicht zu wenig, sondern zu stark individuell geprägt. Es muss daher auf das Gegenteil des Merkmals der „individuellen Prägung“ ankommen: Es muss danach entschieden werden, ob das Weblog (wie ein „typisches“ Kunstwerk) eine Bedeutung hat, die auch abgelöst von der Person seines Schöpfers bestehen bleibt. Es kommt also auf den “Abstraktionsgrad” des Weblogs an. Ein Weblog, dessen Informationsgehalt sich darin erschöpft, Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Bloggers zu geben, ist somit nicht schutzfähig. Ein Weblog, das dagegen auch für diejenigen interessant ist, die sich für die dahinterstehende Person des Bloggers nicht interessieren, ist schutzfähig.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass nicht nur die einzelnen Blog-Einträge betrachtet werden müssen, sondern immer auch das Blog als Gesamtheit. Ebenso muss Berücksichtigung finden, dass ein Blog durch seine inhaltliche Offenheit immer mehr ist als nur die Summe seiner Teile. Dieses Merkmal muss in die Ermittlung der Schöpfungshöhe positiv einfließen.
IV. Zusammenfassung
Nach der hier vertretenen Ansicht sind Weblogs somit nicht generell schutzfähig oder generell nicht schutzfähig. Vielmehr ist auf den Einzelfall abzustellen und zu ermitteln, inwiefern ein Weblog einem “klassischen” Werk der Kunst gleich kommt. Dabei ist insbesondere darauf Wert zu legen, ob das Blog einen, über die Person des Bloggers hinausreichenden, Bedeutungsgehalt hat. Wegen des Charakters des Blogs als “zusammengesetztes Werk” ist dabei stets auch das Blog als Gesamtheit zu berücksichtigen, nicht nur die einzelnen Einträge.
Die Besonderheit des Weblogs, dass es zur Zukunft hin offen und somit eng mit dem persönlichen Lebenslauf des Autoren verknüpft ist, muss positiv für den Blogger Berücksichtung finden. Somit ist im Regelfall von einer Schöpfungshöhe des Weblogs auszugehen, sofern sich der Blogger mit Themen auseinandersetzt, die außerhalb der eigenen persönlichen Individualsphäre liegen.
[1] Vgl. dazu statt aller Bullinger in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, § 2 Rn. 15 ff.
[2] Dies betrifft nicht alle Weblogs, jedoch die überwiegende Mehrzahl. Telemedicus dürfte zu den Ausnahmen zählen.
[3] Die Besonderheiten von wissenschaftlichen Weblogs würden hier den Rahmen sprengen; vgl. dazu allgemein Loewenheim in Schricker, Urheberrecht, § 2 Rn. 64, 85.
[4] Die Schutzfähigkeit von Briefen bejahend: BGHZ 31, 208, 311 – Alte Herren; verneinend: KG Berlin GRUR-RR 2002, 313 – Das Leben, dieser Augenblick.
[5] Die Schutzfähigkeit von Tagebüchern bejahend: BGHZ 249, 255 – Cosima Wagner; verneinend: KG GRUR-RR 1973, 603, 604 – Hauptmann-Tagebücher. In der letztgenannten Entscheidung ging es allerdings nicht um die Schutzfähigkeit der Tagebücher selbst, sondern einer wissenschaftlichen Bearbeitung derselben, die von einem Dritten vorgenommen worden war. Mit der Frage, ob die Tagebücher selbst schutzfähig waren, hat sich das KG Berlin nicht befasst. Nichtsdestotrotz wird die Entscheidung in der Literatur in diesem Zusammenhang zitiert.
[6] BGH GRUR 1986, 739, 741 – Anwaltsschriftsatz; LG Berlin ZUM 2005, 842, 843 – Host-Providing-Mustervertrag.
[7] RGZ 69, 401, 406; zitiert nach Ahlberg in Möhrung/Nicollini, UrhG, § 2 Rn. 88.