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BGH: Zur Verwertbarkeit von Vorratsdaten im Strafprozess

Im März 2010 hat das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften über die Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt (Az. 1 BvR 256/08). Zwar sei eine Vorratsdatenspeicherung nicht per se unzulässig, jedoch müsse sie dem Gebot effektiven Rechtsschutzes zugänglich sein und den Betroffenen hinlängliche Auskunftsrechte gewähren.

So weit, so gut. Sind die durch Vorratsdatenspeicherungen gewonnenen Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden nach dem Urteil des BVerfG in allen Fällen damit unverwertbar? Mitnichten. Der BGH hat noch im letzten Jahr entschieden, dass bestimmte „Vorratsdaten“ im Rahmen der Beweisführung im Strafprozess durchaus verwendet werden dürfen (Az. 4 StR 404/10).
Der Beschluss des BGH

Der BGH hatte sich mit einem Fall zu befassen, in welchem drei Angeklagte unter anderem wegen mehrfachen Einbruchdiebstahls vor dem Landgericht Münster angeklagt waren. Bei der Ausführung der Tat verwendeten die Angeklagten ihre Mobiltelefone, um sich gegenseitig Hinweise zu geben und einander zu warnen. Bei ihren Taten erbeuteten sie beispielsweise EC-Karten nebst deren PIN.

Die Angeklagten sind vom Landgericht daraufhin hin wegen Computerbetrugs und Diebstahls in mehreren Fällen verurteilt worden, es wurden jeweils Gesamtfreiheitsstrafen gebildet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts bezog dabei auch Erkenntnisse ein, welche die Strafverfolgungsbehörden durch die Anordnung von „Vorratsdatenspeicherungen“ gewonnen hatten.

Die Angeklagten wandten sich mit dem Rechtsmittel der Revision an den BGH und begründeten dies mit der Verletzung materiellen Rechts. Einer der Angeklagten beanstandete auch das Verfahren, weil die Beweisführung der Staatsanwaltschaft seiner Auffassung nach maßgeblich auf der Verwertung von Telekommunikationsverkehrsdaten beruht hätte, deren Erhebung nach dem Urteil des BVerfG vom 2.3.2010 verfassungswidrig gewesen sei.

Der BGH gab den Rechtsmitteln teilweise statt, stellte jedoch hinsichtlich der Verfahrensrüge fest, dass diese nicht in einer § 344 Abs. 2 StPO entsprechenden Form erhobenen worden sei, darüber hinaus aber auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte.

Begründung

Knapp zwei Jahre vor dem Urteil des BVerfG aus dem März 2010 hatte es im selben Verfahren bereits eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG getroffen (Az. 1 BvR 256/08). Darin legte das Bundesverfassungsgericht fest, dass eine Vorratsdatenspeicherung bis zur Hauptsacheentscheidung nur in Fällen „schwerer Straftaten“ nach § 100a Abs. 2 StPO von den Strafverfolgungsbehörden veranlasst werden dürfe.

„Vorratsdaten“, die jedoch nach diesen Maßgaben im Zeitraum zwischen der einstweiligen Anordnung des BVerfG und dessen Hauptsacheentscheidung erhoben worden sind, dürften demnach, so der BGH, auch weiterhin im Strafprozess verwertet werden. Die einstweilige Anordnung des BVerfG vom 11. März 2008 hätte insoweit eine endgültige Regelung der Rechtslage bedeutet. Es handele sich bei der Anordnung um „normvertretendes Übergangsrecht“, das sich auch der ex-tunc-Wirkung der Hauptsacheentscheidung entziehen würde.

Die Bedeutung für die Praxis

Alle „Vorratsdaten“, die zwischen der einstweiligen Anordnung des BVerfG aus März 2008 und dessen Hauptsacheentscheidung im März 2010 erhoben worden sind, dürfen also weiterhin im Strafprozess im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet werden – wenn die Erhebung zur Aufklärung einer „schweren Straftat“ im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO erfolgt ist.

Für etliche laufende Strafverfahren hat das weitreichende Konsequenzen, Strafverteidiger werden ihre Strategien ändern müssen. Das einfache Geltendmachen der Nichtigkeit der Normen zur Vorratsdatenspeicherung reicht nicht aus, um in einem entsprechenden Strafprozess erfolgreich zu sein. Strafverteidiger werden sich vielmehr mir der Norm des § 100a Abs. 2 StPO befassen müssen, um konkrete Angriffspunkte der Erhebung der infrage stehenden „Vorratsdaten“ zu finden.

Fazit

Auf den ersten Blick mag diese Ansicht des BGH verwundern, letztlich ist sie aber nur konsequent. Anderenfalls würde der Anwendungsbereich des § 32 Abs. 1 BVerfGG im Ergebnis leer laufen. Trifft das BVerfG eine Eilanodnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG, ist die Rechtslage bis zur Entscheidung in der Hauptsache klar, und kann davon auch nicht mehr nachträglich berührt werden. Ein Umstand, der Rechtssicherheit schafft.

Hat der BGH damit alle brennenden praktischen Fragen rund um die Vorratsdatenspeicherung entschärft? Wohl kaum. Wie liegt etwa der Fall, wenn die Strafverfolgungsbehörden eine Vorratsdatenspeicherung zur Aufklärung einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 StPO angeordnet haben, konkret damit aber lediglich eine Tat außerhalb dieses Katalogs aufdecken konnten? Hierzu schweigt das „obiter dictum“ des BGH. Konsequenterweise müssten die Strafrichter in solchen Fällen eine ex-post-Betrachtung vornehmen, die sich mit der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer entsprechenden Maßnahme befasst.

In den laufenden Strafverfahren kommt es damit auf eine sorgfältige richterliche Abwägung unter Würdigung aller Einzelfallumstände an. Die Vorratsdatenspeicherung bleibt damit nicht nur politisch ein heißes Thema, sondern beschäftigt Justiz und Strafverteidiger auch weiterhin.

Der Beschluss des BGH vom 4.11.2010 im Volltext in der Telemedicus-Urteilsdatenbank.

, Telemedicus v. 15.03.2011, https://tlmd.in/a/1962

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