Im November letzten Jahres hat der BGH in einem wichtigen Urteil über die Haftung von Eltern für ihre Kinder beim Filesharing entschieden (Az.: I ZR 74/12). Als Inhaber eines Internetanschlusses haften diese nur, wenn sie ihre elterliche Aufsichtspflicht verletzen, hieß es damals in der Pressemeldung. Mittlerweile liegt das Urteil im Volltext vor.
Ausgangslage für die Entscheidung war ein Fall, wie er sich wahrscheinlich schon in vielen Familien vorgekommen ist: Der 13jährige Sohn der beklagten Eltern installierte sich mehrere Filesharing-Programme und bot darüber über tausend Musikdateien zum kostenlosen Download an. Seine Eltern wussten davon nichts – bis eines Tages die Polizei vor der Tür stand. Die Rechteinhaber hatten nämlich die IP-Adresse ermittelt, unter der die Dateien angeboten wurden, und Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Aus diesem Grund durchsuchte die Polizei die Familienwohnung und stellte den PC des Sohnes sicher. Den Rechteinhabern ging es aber weniger um eine strafrechtliche Sanktion, als vielmehr um die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche. Wenig später forderten sie daher von den Eltern Schadensersatz in Höhe von 5.000,00 € – diese hätten ihrer elterlichen Aufsichtspflicht nicht genüge getan.
Dies sahen die Eltern nicht ein. Sie seien ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen: Zum Einen hätten sie ihren Sohn über Verhaltensregeln im Umgang mit dem Internet aufgeklärt; zum Anderen hätten sie selbst monatlich den Computer des Sohnes kontrolliert. Dieser sei zusätzlich mit Firewall und Passwort abgesichert gewesen. Außerdem hätten sie ihrem Sohn keine Rechte eingeräumt, um die Filesharing-Software installieren zu können.
Die Sache ging zunächst vor das Landgericht, schließlich vor das Oberlandesgericht Köln. Beide Male verloren die Eltern. Die Gerichte argumentierten, die Sicherheitsmaßnahmen der Eltern seien nicht ausreichend gewesen – schließlich habe der Sohn sie umgehen können. Dies sei ein Indiz dafür, dass die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten, weshalb sie gemäß § 832 Abs. 1 BGB für die Aufsichtspflichtverletzung hafteten.
Pikantes Detail: Das Symbol des Filesharing-Programms „Bearshare“ war jedenfalls auf dem Desktop zu sehen. Außerdem waren zwei Dateiordner mit den Namen „My Music“ und „Papas Music“ zu sehen. Demnach liege auch eine unmittelbare Haftung des einen Beklagten – Papa – nahe.
Die Diskussion über die Haftung der Eltern hat zwei Anknüpfungspunkte: Erstens § 832 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach Aufsichtspflichtige für den Schaden ersatzpflichtig sind, den ihr Schützling widerrechtlich Dritten zufügt. Zweitens § 832 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach diese Ersatzpflicht nicht eintritt, wenn Aufsichtspflichtige ihrer Aufsichtspflicht genügen. Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihr Kind ergibt sich aus § 1631 Abs. 1 BGB. Diese Aufsicht über Kinder ist dabei jedoch nicht statisch, sondern richtet sich nach der jeweiligen Entwicklung des Kindes.
Das Berufungsgericht vertrat hier jedoch, Eltern seien zu einer laufenden Überwachung ihres Kindes bei der Internetnutzung verpflichtet. Dies gelte sogar, wenn kein konkreter Anhaltspunkt für Rechtsverletzungen besteht.
Der BGH sah schließlich die Aufsichtspflicht der Eltern als nicht verletzt an. Aus diesem Grund hafteten sie auch nicht für die Urheberrechtsverletzungen ihres Sohnes. Die Einschätzungen der Vorinstanzen teilte der BGH nicht. Vielmehr stellte er klar, die Instanzgerichte hätten die Anforderungen an das Maß der gebotenen Aufsicht überspannt. Maßgeblich für die elterliche Aufsicht sei das Alter und die Einsichtsfähigkeit des jeweiligen Kindes. Hieran müssten sich Inhalt und Umfang der Belehrung über die Gefahr von Rechtsverletzungen bemessen, wenn das Kind Internet nutzen will.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Anforderungen an die Aufsichtspflicht, insbesondere die Pflicht zur Belehrung und Beaufsichtigung von Kindern, richten sich nach der Vorhersehbarkeit des schädigenden Verhaltens. Dabei hängt es hauptsächlich von den Eigenheiten des Kindes und seinem Befolgen von Erziehungsmaßahmen ab, in welchem Umfang allgemeine Belehrungen und Verbote ausreichen oder deren Beachtung auch überwacht werden muss (…).
Danach genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt.
Die Eltern hätten sich also eine Frage stellen müssen: Was trauen wir unserem Kind zu? Mit anderen Worten: Für einen kleinen Satansbraten gelten tendenziell strengere Aufsichtspflichten als für ein eher braves Durchschnittskind.
Allerdings betont der BGH auch, dass es prinzipiell dem kindlichen Naturell entspricht, Verbote zu übertreten. Hieraus ergebe sich jedoch noch lange keine anlasslose Kontrollpflicht, da diese dem § 1626 Abs. 2 S. 1 BGB widerspreche. Demnach sollen Eltern bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder deren wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln berücksichtigen.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Grundsatz, dass sich das Maß der Aufsichtspflicht nach dem Grad der Gefahr für Dritte richte. So führt der BGH hierzu aus, dass das Gefahrenausmaß für Dritte bei Urheberrechtsverletzungen wesentlich geringer als bei Fehlverhalten im Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit Feuer sei.
Aus denselben Gründen lehnte der BGH auch eine Störerhaftung ab:
Die Prüfpflichten, die Eltern als Inhabern eines Internetanschlusses obliegen, haben bei einer Überlassung des Internetanschlusses an ihr minderjähriges Kind denselben Inhalt und Umfang wie ihre Aufsichtspflicht über das Kind hinsichtlich dessen Internetnutzung (…). Die Beklagten haben diese Prüfpflichten nicht verletzt (…).
Wie verhielt es sich nun im konkreten Fall? Welche Maßstäbe mussten die Eltern ansetzen, um dadurch ihrer Haftung zu entgehen? Der BGH bestätigte ihre elterliche Entscheidung und erkannte, dass es sich bei dem Sohn um ein „normal entwickeltes, einsichtsfähiges und verhaltensunauffälliges” Kind handelte.
Aus diesem Grund seien keine weitergehenden Überwachungsmaßnahmen erforderlich gewesen. Allein das wiederholte Verbot der Teilnahme an Filesharing-Tauschbörsen hätte ausgereicht. Da sich für die Eltern keine Anhaltspunkte für einen Verstoß boten, seien diese noch nicht einmal zu Kontrollen verpflichtet gewesen.
Eine andere Frage war noch, durch wen überhaupt Rechte der Kläger verletzt wurden. Die Vorinstanzen hatten dies wegen der ihrer Ansicht nach bestehenden grundsätzlichen Haftung der Eltern aus allen Gründen offen gelassen. Der BGH entschied nun, dass eine Haftung als Täter oder Teilnehmer in diesem Fall nicht in Betracht komme. Zwar bestehe grundsätzlich eine Vermutung, der Anschlussinhaber sei für eine Urheberrechtsverletzung verantwortlich, wenn seinem Internetanschluss die IP-Adresse zugeordnet werden kann, von der die Verletzung ausging. Eine solche Vermutung kann jedoch dadurch widerlegt werden, dass der Inhaber des Internetanschlusses die Möglichkeit darlegt, dass ein Dritter die Rechtsverletzung begangen hat. In diesem Fall muss der Kläger die Verletzungshandlung sogar direkt belegen – was ihm hier nicht gelungen ist.
Eltern haften nicht für Filesharing ihrer Kinder, wenn sie diese im Rahmen ihrer zumutbaren Aufsichtspflicht belehrt haben. Außerdem gibt es keine anlasslose elterliche Kontrollpflicht. Insofern stellt diese Entscheidung eines klar: Eltern sind ihren Kindern internet-technisch oftmals weitgehend unterlegen. Dies kann aber nicht der Maßstab für die Aufsichtspflicht sein.
Aber auch der Vergleich der Szenarien Urheberrechtsverletzung und verkehrswidriges Verhalten ist interessant – nicht nur in Bezug auf das Gefahrenpotential. Er legt auch sehr bildhaft nahe, warum eine anlasslose Kontrollpflicht nicht bestehen kann: Schließlich erlauben Eltern ihren Kindern mit zunehmendem Alter auch, immer mehr am Straßenverkehr teilzunehmen. Vom kleinen Bobby-Car, über das Fahrrad und schließlich die Mofa durchläuft jedes Kind auch hier eine Entwicklung. Niemand würde es Eltern auferlegen, stetig zu kontrollieren, ob ihr Kind auch jedes Verkehrsschild beachtet. Es reicht aus, wenn das Kind die Bedeutung der Schilder lernt.
Die Entscheidung hat also auch ein gewisses rechtspolitisches Gewicht: Auch bei der Nutzung des Internets muss der Entwicklungsstand des Kindes berücksichtigt werden. Eltern sollen ihren Kindern ohne persönliches Misstrauen erlauben können, das Internet zu nutzen. Gleichzeitig müssen sie sie auch auf die damit einhergehenden Gefahren hinweisen – wie in vielen anderen Lebensbereichen auch.
Das Urteil im Volltext.
Telemedicus mit einer ersten Einschätzung auf Grundlage der Pressemitteilung.