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BGH: Widerrufsrecht trotz nichtigen Fernabsatzvertrags

Der Bundesgerichtshof hat Ende des letzten Jahres entschieden, dass einem Verbraucher auch bei einem nichtigen Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 312 d BGB zusteht, sofern Treu und Glauben nicht etwas anders gebieten (Urteil vom 25.11.2009 Az. VIII ZR 318/08). Die Entscheidung liegt nun im Volltext vor.
Der Fall

Die Klägerin hatte nach einem Werbeanruf durch die Beklagte am folgenden Tag mittels Fax einen PKW-Innenspiegel mit einer in Deutschland funktionierenden Radarwarnfunktion bestellt.

In dem Bestellschein fand sich auch der Hinweis:

„Ich wurde darüber belehrt, dass die Geräte verboten sind und die Gerichte den Kauf von Radarwarngeräten zudem als sittenwidrig betrachten.”

Die Klägerin erhielt das Gerät per Nachnahme. Innerhalb der Widerrufsfrist für Fernabsatzverträge sandte die Klägerin das Gerät wieder an die Beklagte zurück und bat um die Erstattung des Kaufpreises.

Die Beklagte verweigerte sowohl die Annahme als auch die Kaufpreiserstattung. Mit der Klage begehrte die Klägerin im wesentlichen die Rückzahlung des Kaufpreises und der Rücksendekosten. Das Berufungsgericht hatte die Beklagte verurteil an die Klägerin den Kaufpreis und die Rücksendekosten nebst Zinsen zu erstatten. Der Bundesgerichtshof wies die Revision der Beklagten in seinem Urteil zurück.

Ansicht des Berufungsgerichts

Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass sich der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 812 BGB und auf Rückzahlung der Rücksendekosten aus § 357 Abs. 2 Satz 2 BGB ergibt. Zwar stehe einer Rückforderung § 817 Satz 2 BGB entgegen, da beiden Parteien die Sittenwidrigkeit bekannt war. Nach § 242 BGB könne sich die Beklagte jedoch nicht auf den Ausschluss der Rückforderung berufen, weil der Verbraucherschutz durch die Sittenwidrigkeit des Vertrages nicht einfach ausgehebelt werden könne.

Wird das Widerrufsrecht bei sittenwidrigen Verträgen nicht gewährt, wäre der redliche Verkäufer außerdem schlechter gestellt als der unredliche, der nicht zur Rücknahme der Ware verpflichtet wäre. Dieser Widerspruch könne nach Meinung des Berufungsgerichts nur dadurch gelöst werden, indem der Verbraucher sich auch bei einem sittenwidrigen Vertrag über § 242 BGB auf verbraucherschützende Regelungen berufen kann.

Ansicht des Bundesgerichtshofs

Auch der Bundesgerichtshof ist der Ansicht, dass ein sittenwidriger Fernabsatzvertrag vorliegt, der nach § 138 BGB nichtig ist. Im Unterschied zum Berufungsgericht, ist der BGH jedoch der Meinung, dass das Widerrufsrecht der Klägerin nicht von der Nichtigkeit des Vertrages berührt wird. Die Vorschriften zum Widerrufsrecht sind also direkt anwendbar – ein „Umweg” über § 242 BGB oder das Bereicherungsrecht ist nicht notwendig.

Bisher war es in der Literatur umstritten, ob ein Widerrufsrecht auch bei unwirksamen Verträgen besteht. Der BGH fasst den Streit wie folgt zusammen:

Es wird die Auffassung vertreten, dass dies aus Gründen des Verbraucherschutzes zu bejahen sei, um dem Verbraucher die gegenüber einer kondiktionsrechtlichen Rückabwicklung günstigeren Rechtsfolgen der §§ 355, 346 ff. BGB zu erhalten (MünchKommBGB/Wendehorst, 5. Aufl., § 312d Rdnr. 13; MünchKommBGB/ Masuch, 5. Aufl., § 355 Rdnr. 28; Erman/Saenger, BGB, 12. Aufl., § 355 Rdnr. 20; v. Westphalen/Emmerich/v.Rottenburg, Verbraucherkreditgesetz, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 13; HK-BGB/Schulze, 6. Aufl., § 355 Rdnr. 5; Wildemann in: jurisPK-BGB, aaO, § 355 Rdnr. 7). Dagegen wird eingewandt, das Widerrufsrecht nach § 312d BGB setze einen wirksamen Fernabsatzvertrag voraus, da nur von einem wirksam geschlossenen Vertrag zurückgetreten werden könne und es den dogmatischen Strukturen des Vertragsrechts widerspreche, wenn auch nichtige Verträge nach den Rücktrittsvorschriften rückabgewickelt werden könnten (Staudinger/Thüsing, BGB (2005), § 312d Rdnr. 10; ebenso Lütcke, Fernabsatzrecht, § 312d Rdnr. 17; Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 6. Aufl., § 495 BGB Rdnr. 53, zum Widerrufsrecht beim Verbraucherdarlehensvertrag).

Der BGH ist hingegen der Ansicht, dass der Verbraucher ein Wahlrecht hat. So kann er den Fernabsatzvertrag entweder nach den §§ 312 d, 355 BGB widerrufen oder den Vertrag wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung nach den §§ 119 ff, 142 BGB anfechten. Das selbe gilt für nichtige Verträge: Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs besteht kein Grund, einen Verbraucher bei einem nichtigen Fernabsatzvertrag schlechter zu stellen, als bei einem anfechtbaren Vertrag.

Auch in einem solchen Fall rechtfertige der Schutzzweck des Widerrufsrechts, dass der Verbraucher die Möglichkeit erhält sich mittels des Widerrufsrechts auf einfache Weise vom Vertrag zu lösen. Dem Verbraucher bleibt es dadurch erspart in eine rechtliche Auseinandersetzung wegen der Nichtigkeit des Vertrages eintreten zu müssen.

Die gegen diese Lösung vorgebrachten dogmatischen Einwände greifen nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht durch.

Das begriffslogische Argument, nur ein wirksamer Vertrag könne widerrufen werden (Staudinger/Thüsing, aaO), berücksichtigt nicht, dass in der Zivilrechtsdogmatik seit langem anerkannt ist, dass auch nichtige Rechtsgeschäfte angefochten werden können (sog. Doppelwirkungen im Recht; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., Einl. zu §§ 104 ff. Rdnr. 80 m.w.N.; Bülow/Artz, aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Juni 1955 – V ZR 53/54, JZ 1955, 500). Für den Widerruf eines nichtigen Vertrages gilt unter dogmatischem Gesichtspunkt nichts Anderes als für dessen Anfechtung.

Der Bundesgerichtshof ließ hier die Frage offen, unter welchen Bedingungen das Widerrufsrecht des Verbrauchers beim Fernabsatzvertrag ggf. einzuschränken ist.

Allerdings beantwortete er die Frage, ob ein Verbraucher sich bei einem nichtigen Fernabsatzvertrag auf sein Widerrufsrecht berufen kann, wenn er die Nichtigkeit zumindest teilweise selbst zu vertreten hat. Demnach darf sich ein Verbraucher dann nicht mehr auf das Widerrufsrecht berufen, wenn der Unternehmer besonders schutzbedürftig ist. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Verbraucher gegenüber dem Unternehmer arglistig gehandelt hat. Ein arglistiges Verhalten war dem Verbraucher hier aber nicht vorzuwerfen. Vielmehr hatten beide Parteien gegen die guten Sitten verstoßen. Unter diesen Umständen widerspricht es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht Treu und Glauben der Klägerin das Widerrufsrecht zu gewähren.

Zum Urteil des BGH vom 25.11.2009 Az. VIII ZR 318/08

, Telemedicus v. 13.04.2010, https://tlmd.in/a/1706

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