Ende April hat der BGH über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von „Screen Scraping” entschieden (Az.: I ZR 224/12). Danach ist es nicht unlauter, wenn automatisch Daten einer Internetseite abgerufen würden, um sie auf einer anderen Seite anzuzeigen. Mittlerweile liegt das Urteil im Volltext vor.
Hintergrund ist der Streit zwischen einer Fluggesellschaft und dem Betreiber eines Reisevermittlungsportals. Letzterer stellt Internetnutzern die Möglichkeit zur Verfügung, Flüge von verschiedenen Fluggesellschaften zu vergleichen und zu buchen. Die Daten hierfür erhob das Ermittlungsportal automatisch von den Internetseiten der Fluggesellschaften. Dieses sogenannte Screen Scraping versuchte die klagende Fluggesellschaft jedoch zu unterbinden. Sie hatte in den AGB auf ihrem Internetauftritt genau diese Art des Abrufs ausgeschlossen.
Nach Ansicht der Fluggesellschaft war dieses Verhalten unlauter. Begründung: Der Flügevermittler nutze das Buchungssystem der Fluggesellschaft missbräuchlich und schleiche sich unzulässig in das Direktvertriebssystem ein. Die Angelegenheit ging durch zwei Vorinstanzen; zuletzt verurteilte das OLG Hamburg die Beklagte auf Unterlassung wegen unlauteren Schleichbezugs. Der Flügevermittler setze sich über eine kommunikationstechnisch geschützte Abwehr hinweg und beeinträchtige damit die Interessen der Fluggesellschaft, so das OLG. Hiergegen wandte sich nun der beklagte Flügevermittler mit der Revisison vor dem BGH. Der folgte dem OLG Hamburg nicht.
Der BGH sah keine Umstände, aus denen sich eine Benachteiligung der Fluggesellschaft entnehmen ließen. Dies ist jedoch grundsätzlich Voraussetzung: Unlauter handelt kurz gesagt, wer die wettbewerbliche Entfaltungsfreiheit eines Wettbewerbers behindert. Hierbei kommt es immer auf eine Gesamtabwägung an. Diese Abwägung hat das OLG Hamburg aus Sicht des BGH fehlerhaft vorgenommen.
Kein Schleichbezug, wenn gegen AGB verstoßen
Das Merkmal der unlauteren Behinderung gemäß §§ 3, 4 Nr. 10 UWG ist nach der Rechtsprechung durch verschiedene Fallgruppen definiert. Eine hiervon ist der Schleichbezug, der nach Ansicht des BGH hier aber nicht vorliegt: Schließlich würden die Abnehmer nicht darüber getäuscht, wer die Flüge letztendlich anbietet. Außerdem liege hier keine Täuschung über die Wiederverkaufsabsicht vor. Dem stünden auch die AGB des Flügeanbieters nicht entgegen. Wenn sich die Beklagte hierüber hinweg setzt, liegt darin keine unlautere Handlung. Schließlich liegt kein wettbewerbsrechtlicher Bezug vor, so der BGH. Dazu aus den Entscheidungsgründen:
Allerdings kann die Überwindung einer technischen Schutzvorrichtung, mit der ein Mitbewerber verhindert, dass sein Internetangebot von der Allgemeinheit genutzt werden kann, ein Umstand sein, der einen Unlauterkeitsvorwurf begründet. […]
Einer solchen technischen Maßnahme steht jedoch die Notwendigkeit nicht gleich, durch Setzen eines Hakens zu dokumentieren, die Geschäfts- und Nutzungsbedingungen der Klägerin zu akzeptieren. Mit einem solchen Erfordernis, das der Verbraucher als übliche Vorgehensweise bei Bestellvorgängen im Internet kennt, will der Unternehmer vor allem sicherstellen, dass die Bedingungen in den zu schließenden Vertrag einbezogen werden. Diese primär vertragsrechtliche Maßnahme kann einer Begrenzung der Nutzung der Internetseite durch technische Maßnahmen gegen eine automatisierte Abfrage nicht gleichgesetzt werden. Mit dem Setzen des Hakens wird lediglich dokumentiert, dass der Nutzer den für die Annahme einer unlauteren Behinderung für sich genommen unbeachtlichen Willen der Klägerin im Hinblick auf die gewünschte Nutzung ihres Buchungsportals zur Kenntnis nehmen konnte. Ein das Unlauterkeitsurteil begründender besonderer Umstand liegt darin nicht.
Hervorhebung nicht im Original.
OLG Hamburg hat falsch abgewogen
Gleich an mehreren Stellen kritisiert der BGH die Interessenabwägung, die das OLG Hamburg vorgenommen hatte. So habe dieses nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Beklagte zum einen die Preistransparenz fördere, zum anderen aber auch selbst ihr Angebot der Öffentlichkeit zur Verfügung stelle. In diesem Fall müsse die Fluggsellschaft es hinnehmen, dass Kunden andere Wege nutzen. Dies folge aus dem Interesse der Funktionsfähigkeit des Internets. Ebenso unerheblich sei, dass der Klägerin die Kontrolle über die Informationen entgleite – schließlich habe sie ihre Daten nicht durch technische Maßnahmen gesichert. Im Gegenteil ist das entscheidende Argument:
Das Interesse der Klägerin an einem direkten kommunikativen Zugang zum Kunden bezieht sich […] im Wesentlichen auf die Möglichkeit, diesen direkt werblich anzusprechen. Einem solchen Interesse kann im Rahmen der im Streitfall vorzunehmenden Gesamtwürdigung kein maßgebendes Gewicht beigemessen werden. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte der Klägerin sowohl den Namen als auch die Anschrift und die Telefonnummer der Kunden mitteilt und die Beklagte sich darüber hinaus am 5. September 2012 zur Weiterleitung der E-Mail-Adresse des Kunden verpflichtet hat. Damit verfügt die Klägerin über ausreichende Möglichkeiten, mit den Kunden zu kommunizieren. Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, die Beklagte habe nach Verkündung des Berufungsurteils die Auffassung vertreten, die Klägerin könne aus der Verpflichtungserklärung vom 5. September 2012 keine Ansprüche herleiten, kann dieser neue Sachvortrag in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden (§ 559 Abs. 1 ZPO).
In der weiteren Abwägung sei auch unerheblich, dass der Flugvermittler eine eigene Provisionsgebühr veranschlage oder dass Kretidkartendaten angegeben werden müssen.
Eine Fluggesellschaft muss hinnehmen, dass ihre Daten automatisch erfasst und verwendet werden. Dies kann sie unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten nicht über AGB verhindern. Mit dem BGH-Urteil gilt jedenfalls der Grundsatz: Ein Seitenbetreiber muss mit dem Kontrollverlust über seine Informationen rechnen, wenn er diese nicht besonders technisch absichert. Er kann nicht allein durch AGB einschränken, dass andere Unternehmen die Informationen nutzen. Für Verbraucher ist das praktisch, da sie weiterhin Flüge vergleichen können. Dieses Transparenzinteresse hatte das Berufungsgericht anders gewichtet.
Der BGH befasste sich lediglich mit dem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch. Er musste nicht mehr klären, inwiefern etwa das Leistungsschutzrecht des Datenbankherstellers betroffen war.
Das Urteil des BGH (Az.: I ZR 224/12) im Volltext.
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