Bundesgerichtshof erlaubt, Milchprodukte als „Gen-Milch“ zu bezeichnen
Ein Artikel von Tobias Gostomzyk
Wie weit darf Produktkritik gehen? Der Bundesgerichtshof entschied: ein sattes Stück weit. Greenpeace darf weiterhin Milch- und Molkereiprodukte der Marken Müller, Weihenstephan und Sachsenmilch als „Gen-Milch“ bezeichnen – selbst wenn diese Produkte selbst gentechnisch nicht verändert sind. Das gestatte, so der BGH, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Das Verständnis dieses Begriffs ergebe sich auch aus dem konkreten Kontext: Greenpeace hat „Gen-Milch“ als Slogan einer Kampagne verwendet, die sich gegen den Einsatz gentechnisch veränderten Futters richtet.
Dagegen sei nicht ausschlaggebend, dass sich Milch aus solcher Produktion nach heutigem Wissen von herkömmlicher Milch nicht unterscheiden lässt. Das gelte auch, wenn für Lebensmittel aus „Gen-Milch“ keine gesetzliche Kennzeichnungspflicht besteht.
Meinungsfreiheit erfordert keine wissenschaftliche Präzision
Um es auf einen Nenner zu bringen: Meinungsfreiheit erfordert keine wissenschaftliche Präzision. Eine Äußerung wird nicht zwingend zur unwahren Tatsache, weil sie sich im Labor nicht nachweisen lässt. Es genügt, wenn eine Einschätzung zum Ausdruck kommt: „Gen-Milch“ bezeichnet Milch von Kühen, die gentechnisch verändertes Futter fressen. Schließlich – so muss man die Karlsruher Richter verstehen – verkraftet die Auseinandersetzung auf dem Marktplatz der Meinungen auch plakative Schlagworte. Erst eine diffamierende Schmähkritik oder der offene Aufruf zum Boykott sprengen die Regeln.
Für Unternehmen bedeutet diese Entscheidung eine Einschränkung ihres Persönlichkeitsrechts, das – anderes als bei natürlichen Personen – ohnehin nur begrenzt gilt: Marktgeschehen ist grundsätzlich öffentlich, ein presserechtlicher Schutz von (Unternehmens-)Privatsphären versagt. So bekräftigt der Bundesgerichtshof ein weiteres Mal, dass auch meinungsfreudig-plakative Produktkritik hinzunehmen ist. Das gilt übrigens auch für Satire: Es ist rechtmäßig, „Über allen Wipfeln ist Ruh, irgendwo blökt eine Kuh, Muh!“ auf eine Milka-violette Postkarte zu drucken (BGH, Urt. v. 03.02.2005, Az. I ZR 159/02). Aber über vergossene Milch soll man nicht jammern.
Tobias Gostomzyk ist Rechtsanwalt in Hannover und auf Medienrecht spezialisiert.