Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass der Bauer-Verlag aus dem Pressergrosso-System austreten darf. Damit endet eine Ära – jedenfalls für das Verlagswesen.
Das Pressegrosso-System ist eine Verteilungsstruktur, die sich die Verlage ausgedacht haben: Anstatt dass jeder Verlag die Zeitungen selbst zu den Kiosken und Verkaufsstellen trägt, übernimmt das ein gemeinsamer Grossist für alle Verlage gemeinsam. Dieses Grosso-System soll einheitliche Wettbewerbschancen für Verlage wie auch für die Zeitungshändler garantieren. Das tat das System auch über Jahre hinweg – sogar so erfolgreich, dass selbst das BVerfG ihm einmal bescheinigt hat, ein Grossist sei „in den Funktionszusammenhang der Herstellung und Verbreitung von Presseerzeugnissen derart eingegliedert”, dass er auch von der Pressefreiheit geschützt werden müsse.
Das Grosso-System beruht aber zu einem Großteil auf gegenseitigen Wettbewerbsverboten, d.h. ein Grossist hat (mit den Ausnahmen Berlin und Hamburg) in seinem jeweiligen Einzugsgebiet Exklusivstatus. Die Verlage schützen diesen Status, indem sie keinen anderen Grossisten beliefern. Schon das ist kartellrechtlich höchst fragwürdig. In dem Rechtsstreit ging es aber um ein anderes Problem: Der Bauer-Verlag war aus der Abmachung mit den anderen Verlagen ausgeschert und hatte im Hamburger Umland ein eigenes Vertriebsunternehmen beauftragt. Der alte Grossist ging leer aus – und klagte, unter anderem unter Berufung auf das Kartellrecht. Nach Art. 20 GWB sei es eine verbotene Diskriminierung und Behinderung, wenn der Bauer-Verlag nicht mit dem Grossisten kontrahiere.
Der BGH hat diesen Anspruch aber abgewiesen:
Die Klage konnte auch nicht mit Erfolg auf § 20 Abs. 1 GWB (Behinderungs- und Diskriminierungsverbot) gestützt werden. Eine verbotene Diskriminierung liegt nicht vor. Soweit Bauer in anderen Gebieten weiterhin Pressegrossisten allein beliefert, beeinträchtigt das nicht die Wettbewerbschancen der Klägerin. Es stellt auch keine unbillige Behinderung von Grade dar, dass Bauer den Vertrieb seiner Presserzeugnisse der PVN überträgt. Jedem Unternehmen steht es grundsätzlich frei, den bisher unabhängigen Händlern übertragenen Vertrieb seiner Produkte selbst zu übernehmen.
Besondere Umstände, aus denen sich dennoch eine Unbilligkeit der Kündigung von Grade ergeben könnte, waren nicht ersichtlich. Allerdings war zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit der Pressegrossisten in den Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) einbezogen ist. In diesem Zusammenhang ist die Funktionsfähigkeit der Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften zu gewährleisten, die der Gesetzgeber zum Schutz der Pressefreiheit zugelassen hat. Sie wird durch die Kündigung des Grossisten-Vertrags der Klägerin aber nicht in Frage gestellt. Denn ein notwendiger Zusammenhang zwischen gebietsbezogener Alleinauslieferung und Preisbindung besteht nicht. Es werden auch weder die Interessen der Zeitschrifteneinzelhändler an einem umfassenden Sortiment und einer einfachen Remission beeinträchtigt, noch diejenigen kleiner Verlage an einem ungehinderten Marktzutritt. Denn auch in Hamburg und Berlin sind keine Schwierigkeiten mit dem dort bestehenden Doppel-Grosso bekannt geworden. Zudem bleibt die Klägerin wegen ihrer auch ohne die Presseerzeugnisse von Bauer überragenden Stellung beim Pressevertrieb in ihrem Gebiet verpflichtet, allen Verlagen dort Marktzugang zu gewähren.
Ob das Urteil des BGH das Ende des Grosso-Systems bedeutet, wird nun die Zukunft zeigen. Es ist offenbar vor dem LG Köln noch eine weitere Klage von Bauer anhängig, in der es um die Absprachen der Grossisten untereinander geht.
Interessant ist das Urteil aber auch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht: Die Rolle des Grossisten im Pressevertrieb war Ausgangspunkt der verschiedensten Überlegungen im Medienrecht, zur Netzneutralität ebenso wie zur Werbevermarktung. Die Rechtsprechung des BGH bedeutet nun erst einmal: Auch das Pressegrosso-System ist nicht sakrosankt. Ob das auch für andere vermeintlich „neutrale“ Vertriebsstrukturen gelten wird, bleibt abzuwarten.
Wie immer liegt von dem Urteil zunächst nur die Pressemitteilung vor. Die schriftlichen Urteilsgründe werden unter Umständen erst in einigen Monaten veröffentlicht werden.