Steht einem Anschlussinhaber aufgrund eines Provider-Fehlers kein Internet zur Verfügung, kann der Anschlussinhaber für den Ausfall Schadensersatz verlangen. Das hat der BGH heute entschieden, wie er in einer Pressemeldung mitteilte.
Dem Urteil liegt ein alltäglicher Fall zugrunde: Ein Kunde eines Telekommunikationsunternehmens wechselte seinen Tarif – und prompt gab es Probleme mit dem Anschluss. Im konkreten Fall konnte der Kläger seinen DSL-Internetanschluss ziemlich genau zwei Monate nicht mehr nutzen. Schuld war ein Fehler des beklagten Telekommunikationsunternehmens. Irgendwann wurde es dem Nutzer zu bunt: Er wechselte den Anbieter und forderte Schadensersatz. Die Besonderheit: Es ging ihm dabei nicht nur um die Mehrkosten des Anbieterwechsels. Er verlangte außerdem 50 Euro pro Tag, weil er seinen DSL-Anschluss nicht nutzen konnte.
Nachdem die Vorinstanzen lediglich die Mehrkosten zusprachen, gab der BGH dem Anschlussinhaber nun recht. Er kann Schadensersatz für den mehrwöchigen Ausfall seines DSL-Anschlusses verlangen. Das kann zunächst einmal verwundern. Denn welcher konkrete, „materielle” Schaden ist dem Anschlussinhaber entstanden? Er hatte kein Internet, musste den monatlichen Betrag aber auch nicht entrichten. Wieso sollte er dann zusätzlich Schadensersatz für fehlendes Internet verlangen dürfen?
Diese Überlegung würde aber das beklagte Unternehmen recht einseitig entlasten – schließlich hat es sich vertraglich dazu verpflichtet, einen DSL-Anschluss bereit zu stellen. In Ausnahmefällen kann deshalb auch ein solcher Nutzungsausfall ersatzpflichtig sein. Der BGH dazu:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Ersatz für den Ausfall der Nutzungsmöglichkeit eines Wirtschaftsguts grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen sich die Funktionsstörung typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt.
Genau das sah der BGH nun als erfüllt an. In der Rechtswissenschaft diskutiert man solche Ausnahmen unter dem Stichwort der „Kommerzialisierung”. Hier kann man nach einer wertenden Betrachtung einen Vermögensschaden bejahen, beispielsweise bei entgangenen Gebrauchsvorteilen.
Grundsätzlich muss dafür ein „in Geld messbarer Nachteil” bestehen. Das ist bei dem DSL-Anschluss und seinen monatlichen Kosten sicherlich der Fall. Allerdings darf man nicht vergessen, dass praktisch jedes Lebensgut in Geld zu messen ist. Es darf aber nicht für jedes verlorene Gut noch ein finanzielles „Extrabonbon” oben drauf geben, wenn man schon den reinen Wert erstattet bekommt. Deshalb hat die Rechtsprechung für die Kommerzialisierung Voraussetzungen entwickelt: Es muss sich um ein Wirtschaftsgut von zentraler Bedeutung handeln, außerdem muss der Schaden fühlbar sein.
Der BGH stellte nun fest, dass genau das auf einen DSL-Anschluss zutrifft:
Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Das Internet stellt weltweit umfassende Informationen in Form von Text-, Bild-, Video- und Audiodateien zur Verfügung. Dabei werden thematisch nahezu alle Bereiche abgedeckt und verschiedenste qualitative Ansprüche befriedigt. So sind etwa Dateien mit leichter Unterhaltung ebenso abrufbar wie Informationen zu Alltagsfragen bis hin zu hochwissenschaftlichen Themen.
Die zentrale Bedeutung erläutert der BGH auch noch durch konkrete Beispiele:
Dabei ersetzt das Internet wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern, etwa über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Zudem wird es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt. Der überwiegende Teil der Einwohner Deutschlands bedient sich täglich des Internets. Damit hat es sich zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht.
Dem kann man nur schwer etwas entgegensetzen. Aus diesen Ausführungen kann man gegebenenfalls sogar Schlüsse für andere Wirtschaftsgüter ziehen. Für das Internet ist diese Frage nun aber erstmal eindeutig beantwortet.
Was viele sich vielleicht schon vorher dachten, hat nun auch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt: Das Internet ist ein Wirtschaftsgut von zentraler Bedeutung. Das ist einerseits lebensnah und erfreulich, andererseits aber auch etwas Besonderes: Der BGH hält sich (zurecht) gerne zurück, Wirtschaftsgüter dem Kommerzialisierungsgedanken unterzuordnen. Dennoch: Eine private Lebensführung ohne Internet? Heutzutage fast undenkbar. Dass der BGH dem Internet (beispielsweise neben Autos oder den eigenen vier Wänden) diese besondere Stellung zuspricht, ist daher sehr begrüßenswert.
Zur Pressemitteilung des BGH mit weiteren Infos.
Update 15.02.2013: Die Kanzlei Dr. Caspers, Mock & Partner hat den Volltext der Entscheidung veröffentlicht. Wir danken Herrn Rechtsanwalt Dr. Dirk Lindloff für den Hinweis.