Der Alptraum jeder Eltern: Es klingelt früh morgens und die Polizei steht mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür – Sohnemann hat seinen Computer für illegales Filesharing benutzt. Und damit nicht genug: Später liegt eine Klage im Briefkasten. Die Rechteinhaber fordern Schadensersatz.
Was tun? Müssen Eltern dafür aufkommen, wenn ihre Kinder illegal Dateien in Online-Tauschbörsen veröffentlichen? Und müssen Eltern ihren Sprösslingen bei der Computernutzung ständig über die Schulter schauen? Über diese und weitere Fragen hat der Bundesgerichtshof gestern entschieden.
Der Fall, mit dem sich der BGH befassen musste, hatte schon im Jahr 2007 stattgefunden. Damals hatte ein 13-jähriger Jugendlicher in den Filesharing-Netzwerken von Morpheus und Bearshare (Eingeweihte sehen sofort: Der Fall ist wirklich lange her!) über tausend Musikdateien zum Download angeboten. Was folgte, war das damals übliche Procedere: Die Rechteinhaber erstatteten Strafanzeige, die Polizei durchsuchte die Wohnung des Anschlussinhabers und stellte den Computer des Sohnes sicher. Kurz darauf gingen die Rechteinhaber auch zivilrechtlich gegen die Eltern des Übeltäters vor und forderten über 5.000 EUR Schadensersatz. Argument: Sie hätten ihre Aufsichtspflicht gegenüber ihrem Sohn verletzt.
Die Eltern hielten dagegen: Sie hätten ihrem Sohn nicht nur Verhaltensregeln für die Nutzung des Internets mit auf den Weg gegeben, sondern auch monatlich dessen Computer überprüft – etwa den Verlauf im Browser und der zuletzt benutzten Programme. Außerdem hätten sie den Rechner mit der Windows-Firewall abgesichert und deren Einstellungen mit einem Passwort gesichert. Und auch für das Installieren von Software habe der User-Account des Sohnes nicht die erforderlichen Rechte gehabt.
Dennoch: Land- und Oberlandesgericht Köln sahen ebenfalls die Aufsichtspflicht der Eltern verletzt. Dass der Sohn die Sicherheitsmaßnahmen umgehen konnte, zeige schon, dass diese unzureichend waren. Und auch die Kontrollen waren nach Ansicht der Gerichte zu lasch: Ein Blick auf den Desktop hätte schon gezeigt, dass Morpheus und Bearshare installiert waren und die Eltern hätten eingreifen müssen.
Gestern entschied nun der Bundesgerichtshof in dem Streit (Az. I ZR 74/12) und machte klar: Ob Firewall oder Sicherheitssoftware – Kontrollen ohne Anlass sind überhaupt nicht nötig. Stattdessen reicht es aus, wenn Eltern ihren Kindern das illegale Anbieten von Dateien in Tauschbörsen verbieten. Eine Überprüfung müsse ohne konkreten Anlass nicht stattfinden, so der BGH. Aus der Pressemeldung:
„Nach Ansicht des BGH genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kindes, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehren. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internet durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern – so der BGH – erst verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben.”
Bislang liegt nur die Pressemeldung des BGH vor, die erfahrungsgemäß mit Vorsicht zu genießen ist. Gut möglich, dass sich in der vollständigen Entscheidung noch der ein oder andere Haken verbirgt.
Aktuell sieht es aber danach aus, als hätte der BGH dem Hin und Her über die technischen Details der Überprüfung von Kinder-Computern einen Riegel vorgeschoben. Und das ist auch gut so. Sicherheitssoftware, Firewalls, monatliche Kontrollen, all das setzt ein gehöriges Maß an Misstrauen dem eigenen Kind gegenüber voraus. Es wäre nicht nur traurig, sondern abseits jeder Verhältnismäßigkeit, wenn das Urheberrecht derart in den Alltag von Familien eingreifen würde. Wären Eltern gezwungen, ihren Kindern stets zu misstrauen, wenn es um die Nutzung des Internets geht, würde das Urheberrecht das Familienleben vergiften.
Obendrein zeigt der Fall: Das Katz- und Mausspiel zwischen Rechteinhabern und Filesharern würde sich auch in das Familienleben übertragen. Eltern installieren neue Schutzsoftware, die Sprösslinge finden neue Wege, sie zu umgehen. Gut, dass der BGH dabei offenbar nicht mitmacht.
Zur Pressemeldung des BGH.
Urteil des LG Köln 28 O 716/10.
Urteil des OLG Köln 6 U 67/11.