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Altbabylonisches Äußerungsrecht

Der Codex Hammurabi ist eins der ältesten bekanntesten Gesetzeswerke der Menschheit. Erlassen wurde es von dem altbabylonischen Herrscher Hammurabi um ca. 1680 vor Christus – also vor fast 3700 Jahren. Was daran für Medienrechtler interessant ist? Gleich die ersten Paragraphen des Codex befassen sich mit Äußerungsrecht.
Die betreffenden Paragraphen lauten:

§ 1
Wenn ein Bürger [1] einen anderen Bürger bezichtigt und Verdacht der Tötung eines Menschen auf ihn geworfen hat, und es ihm aber nicht beweist, wird der, welcher ihn bezichtigt hat, getötet werden.

§ 2
Wenn ein Bürger den Verdacht der Zauberei auf einen anderen Bürger geworfen hat und es ihm aber nicht beweist, geht der, auf den der Verdacht der Zauberei geworfen ist, zum Gott des Flusses und er taucht in den Flussgott ein; wenn dann der Flussgott ihn ergreift, nimmt der, welcher ihn bezichtigt hat, sein Haus. Wenn diesen Bürger aber der Flussgott von dem Verdacht reinigt und er heil bleibt, wird der, welcher den Verdacht der Zauberei geworfen hat, getötet werden. Derjenige, der in den Flussgott hinab getaucht ist, nimmt das Haus desjenigen, der ihn bezichtigt hat, an sich.

§ 3
Wenn ein Bürger vor Gericht zum Zeugnis der Unwahrheit vorgetreten ist und die Worte, die er gesagt hat, nicht bewiesen hat – wenn diese Sache, die er aussagt, ein Prozess über Leben und Tod ist, wird jener Bürger getötet werden.

§ 4
Wenn er hingegen zum Zeugnis in einer Rechtssache über Gerste oder Geld vorgetreten ist, trägt er in voller Höhe die jeweilige Strafe jener Rechtssache.

Zitiert nach: Uwe Wesel, Geschichte des Rechts, S. 84 f.

Die Bestimmungen wirken im Vergleich zum modernen Äußerungsrecht gar nicht so veraltet: Es gibt Beweislastverteilungen, Strafen und Schadensersatzregelungen. Besonders bemerkenswert finde ich, dass das Äußerungsrecht im Codex Hammurabi nicht nur den Leumund, bzw. die Ehre des jeweils bezichtigten schützt, sondern auch noch ein zweites Rechtsgut: Die Wahrheitspflicht vor Gericht. Lediglich im Bereich der Strafzumessung und der Bezifferung des Schadensersatzes fehlt jeder Ansatz von Differenzierung oder Verhältnismäßigkeit.

Um § 2 verstehen zu können, muss man noch wissen, dass die meisten Bewohner des Reichs Hammurabis offenbar nicht schwimmen konnten.

[1] Uwe Wesel verwendet in der originalen Übersetzung das Wot awilum. Dies bezeichnete in der altbabylonischen Gesellschaft offenbar normale Bürger. Vgl. Wesel, Geschichte des Rechts, S. 83.

, Telemedicus v. 03.06.2009, https://tlmd.in/a/1342

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