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Afghanistan-Leak: Verteidigungsministerium geht gegen WAZ vor

Wie David Schraven im WAZ-Rechercheblog berichtet, hat das Bundesverteidigungsministerium die WAZ-Mediengruppe aufgefordert, interne Papiere über den Verlauf der Auslandseinsätze der Bundeswehr aus dem Internet zu entfernen. Die Unterlagen, die vom Ministerium an das Parlament gerichtet sind, gelten als vertraulich und sind als Verschlusssache eingestuft. Doch das Ministerium geht auf einer anderen Rechtsgrundlage vor: dem Urheberrecht.

Vertrauliche Unterlagen über Afghanistan-Einsatz

Im November des letzten Jahres hatte die WAZ Dokumente des Bundesverteidigungsministeriums über Auslandseinsätze der Bundeswehr im Volltext veröffentlicht. Dabei handelte es sich um eine „Unterrichtung des Parlamentes”, also ein Lagebericht des Ministeriums an den Bundestag. Die Dokumente waren als „VS – Nur für den Dienstgebrauch” eingestuft – die niedrigste Geheimhaltungsstufe nach der Geheimschutzordnung des Bundestages bzw. der Verschlusssachenanweisung für Bundesbehörden.

Wie es im WAZ-Rechercheblog heißt, soll die Zeitung zuvor versucht haben, auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu den Dokumenten zu bekommen. Der Antrag sei jedoch abgelehnt worden – es bestünde die Gefahr, dass deutsche Soldaten durch die Informationen gefährdet würden, soll es aus dem Ministerium geheißen haben.

Nun – knapp ein halbes Jahr nach Veröffentlichung der Dokumente – hat das Bundesverteidigungsministerium offenbar reagiert und die WAZ aufgefordert, die Dokumente zu entfernen. Die Unterlagen seien urheberrechtlich geschützt, die WAZ verstoße gegen die Verwertungsrechte des Ministeriums. Netzpolitik.org zitiert, die Veröffentlichung verstoße nach Ansicht des Ministeriums „gegen das Recht des BMVg gemäß § 12 Abs. 1 UrhG”.

Urheberrecht des Verteidigungsministeriums

Die Konstellation, dass das Urheberrecht gegen geleakte Dokumente eingesetzt wird, ist nicht neu. Bei Telemedicus haben wir uns schon mehrfach mit diesem Problem befasst. Denn tatsächlich kann das Urheberrecht ein elegantes Mittel, um unliebsame Leaks aus dem Netz zu entfernen.

Ein urheberrechtlicher Schutz ist schnell erreicht, die von der WAZ veröffentlichten Dokumente sind so umfassend, dass auch sie sehr wahrscheinlich dem Urheberrecht unterfallen. Und auch die Tatsache, dass die Papiere aus einer Behörde stammen, spielt urheberrechtlich zunächst keine Rolle. Zwar sind bestimmte amtliche Dokumente nach § 5 UrhG gemeinfrei; das Gesetz sieht aber nur sehr enge Ausnahmen vor. Interne Dokumente wie die Unterrichtung des Parlamentes fallen nicht darunter. Von einem urheberrechtlichen Schutz der Papiere muss man also ausgehen.

Erste Zweifel ergeben sich allerdings schon bei der Frage, ob das Ministerium überhaupt die Urheber- und Verwertungsrechte besitzt. Denn die Rechte liegen zunächst beim Urheber – also den Referenten, die das Papier erstellt haben, nicht aber bei ihrem Dienstherren. Dieses Problem ließe sich allerdings leicht lösen, indem die Urheber ihre Rechte zur öffentlichen Zugänglichmachung an das Ministerium übertragen.

Auch das Zitatrecht greift nicht: Das erfasst in aller Regel nur Teile eines Werkes, also nicht die vollständige Veröffentlichung. Und selbst wenn ausnahmsweise ein Vollzitat zulässig wäre, gilt das Zitatrecht doch nur für bereits veröffentlichte Werke. Leaks sind damit nicht erfasst.

Screenshot: WAZ Afghanistan-Papiere

Das bedeutet: Nach dem Wortlaut des Gesetzes verstößt die Veröffentlichung tatsächlich gegen das Urheberrecht.

Die Schranken des Urheberrechts

Jeder demokratisch veranlagte Mensch wird bei diesem Ergebnis wohl mit den Zähnen knirschen. Denn bei der Prüfung spielte es bis jetzt überhaupt keine Rolle, dass es sich bei den veröffentlichten Dokumenten nicht um irgendeine Kopie eines Computerspiels, sondern um hochbrisante politische Dokumente handelte. Und auch dass die WAZ nicht irgendein Unternehmen ist, sondern von der Pressefreiheit geschützt ist, fiel bislang schlicht unter den Tisch.

Dass das Urheberrecht solche Aspekte dem Wortlaut nach nicht berücksichtigt, ist ein systematisches Problem. Aber es ist lösbar. Denn auch wenn das geschriebene Recht eine Abwägung mit der Pressefreiheit nicht vorsieht, muss sie dennoch vorgenommen werden. Das hat zuletzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Ashby Donald u.a. ./. Frankreich bestätigt.

Danach stellt ein urheberrechtliches Verbot einen Eingriff in die Meinungsfreiheit aus Art. 10 EMRK dar. Ein solcher Eingriff muss gerechtfertigt sein, was der Fall ist, wenn die folgenden drei Kriterien erfüllt sind:

  1. Der Eingriff muss gesetzlich geregelt sein,
  2. er muss ein oder mehrere legitime Ziele verfolgen,
  3. er muss „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig” sein.

Gesetzlich geregelt ist der Eingriff. Aber ob er ein legitimes Ziel verfolgt, ist bereits fraglich. Zwar hat der EGMR entschieden, dass der Schutz des geistigen Eigentums ein legitimes Ziel ist. Doch um diesen Schutz geht es hier ersichtlich nicht. Dem Ministerium geht es nicht um den Schutz seiner Mitarbeiter, die Urheber der veröffentlichten Dokumente sind. Es geht ihm darum, die Informationen geheim zu halten. Und selbst wenn man unterstellt, dass von der Veröffentlichung eine Gefahr für Soldaten ausgeht: Jetzt, ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung, wäre den Soldaten durch das Löschen der Dokumente auch nicht geholfen. Auf der anderen Seite würde die Meinungs- und Pressefreiheit der WAZ, sowie die Informationsfreiheit der Leser erheblich eingeschränkt, wenn die Dokumente aus dem Netz verschwinden müssten.

Jedenfalls aber muss man sich die Frage stellen, ob ein solcher Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Zumindest in dieser Form drängen sich Zweifel auf. Das Urheberrecht soll den Urheber schützen – und gerade nicht das Geheimhaltungsinteresse des Staates. Grundlage einer demokratischen Gesellschaft ist es jedoch, dass ein gewählter Gesetzgeber rechtliche Vorgaben schafft, denen Exekutive und Judikative zu folgen haben. Das Urheberrecht entgegen seiner Schutzrichtung zu nutzen, um eine Geheimhaltung zu Lasten der Presse durchzusetzen, die der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt hat, widerspricht dem demokratischen Gedanken.

Fazit

Das Vorgehen des Ministeriums scheint nach den bekannten Informationen nicht nur rechtlich bedenklich, sondern auch ausgesprochen kurzsichtig zu sein. Nicht nur dass die Rechtsprechung des EGMR gegen die Ansicht des Ministeriums spricht. Die plumpe Forderung rückt auch den Fokus der Öffentlichkeit auf genau die Informationen, die das Ministerium unterdrücken möchte. Selbst wenn ein legitimes Geheimhaltungsinteresse bestünde, hat das Bundesverteidigungsministerium dieses Interesse durch sein Vorgehen selbst konterkariert.

Telemedicus zur Entscheidung des EGMR.
Das Urheberrecht als Waffe gegen geleakte Dokumente.
Telemedicus zum urheberrechtlichen Schutz von Bundestagsgutachten.
Die Meldung im WAZ Rechercheblog.
Bericht bei Netzpolitik.org.

, Telemedicus v. 09.04.2013, https://tlmd.in/a/2556

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