Nun scheint es final: Trotz starker Kritik von Datenschützern, Medien und Politikern hat der Bundesrat am 6.11.2015 der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zugestimmt (“Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten”). Bereits am 16. Oktober hatte der Bundestag das umstrittene Gesetz mit großer Mehrheit beschlossen. Worum geht es bei der Vorratsdatenspeicherung? Hier eine Zusammenfassung.
1. Was ist die Vorratsdatenspeicherung und wozu dient sie?
Staatliche Behörden sehen sogenannte Verkehrsdaten (z.B. Zeit, Ort und Beteiligte eines Telefonats oder einer SMS) als ein wichtiges Hilfsmittel zur Aufklärung schwerer Straftaten (gemäß § 100g Abs.2 StPO n.F.) und zur Gefahrenabwehr. So soll nachverfolgt werden können, wer mit wem an welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt kommuniziert hat.
Nach dem (noch) geltenden Recht können Verkehrsdaten nur mit richterlicher Anordnung gemäß § 100g StPO erhoben werden – dann aber nur die Daten, die nach der Anordnung anfallen. Das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) soll das ändern: Es zielt darauf ab, möglichst alle Verkehrsdaten zu speichern, um so bei einem begründeten Verdacht einer schweren Straftat auch nachträglich darauf zugreifen zu können.
Kritiker sehen in der VDS einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte. Denn selbst ohne den Inhalt der Kommunikation ist es durch die anfallende Masse von Daten möglich, genaue Schlüsse auf das Privatleben einer Person zu ziehen oder ein Bewegungsprofil zu erstellen.
2. Was ist die Vorgeschichte der „VDS 2.0”?
Die letzte Vorratsdatenspeicherung gehörte mehrere Jahre lang zu dem umstrittensten Gesetzen Deutschlands. Die §§ 113a, 113b TKG, 100g Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO) (a.F.) setzten eine EU-Richtlinie um (Richtlinie 2006/24/EG). Sowohl gegen die Richtlinie als auch gegen die nationalen Umsetzungsgesetze waren Verfahren anhängig. Die Verfahren auf nationaler Ebene verliefen jedoch deutlich schneller: Schon am 2. März 2010 erklärte das BVerfG die damals geltenden Regeln wegen eines Verstoßes gegen Art. 10 Abs.1 GG für nichtig (1 BvR 256/08). Das Bundesverfassungsgericht hielt die sechsmonatige, anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten für unvereinbar mit dem Telekommunikationsgeheimnis. Jedoch schloss das BVerfG eine Vorratsdatenspeicherung von Verkehrsdaten nicht per se aus. Vielmehr verlangte es zusätzliche Rahmenbedingungen zur Gewährleistung des Grundrechtsschutzes, insbesondere zur Datensicherheit, zu Beschränkungen der Datenverwendung und einer transparenten Gestaltung. Weil diese Vorgaben nicht eingehalten waren, erklärte das BVerfG das deutsche Umsetzungsgesetz für nichtig.
Am 8. April 2014 erklärte dann schließlich auch der EuGH die Richtlinie 2006/24/EG (Rechtssachen C-293/12 und C-594/12) für ungültig. Der EuGH beurteilte die Richtlinie als „einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“. Der Eingriff in die Grundrechte in Artikel 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens) und Artikel 8 (Schutz personenbezogener Daten) der Grundrechtecharta der Europäischen Union (GrCh) war nach Ansicht des EuGH unverhältnismäßig. Damit waren einstweilen beide maßgeblichen Rechtsakte wegen Grundrechtsverstößen aufgehoben worden.
Das jetzige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung stellt keine Umsetzung von Europarecht dar, sondern beruht auf einem deutschen Alleingang. Die wichtigsten Unterstützer der Gesetzesinitiative sind Bundesjustizminister Maas und Bundesinnenminister de Maizière.
3. Was sind die Kernpunkte des neuen Gesetzes?
Nach zwei gerichtlichen Niederlagen versucht der Gesetzgeber das neue Gesetz nun grundrechtskonformer zu gestalten. So soll der Eingriff in die einschlägigen Grundrechte verhältnismäßig sein und zudem die Vorgaben der beiden Urteile berücksichtigen:
4. Was wird an dem neuen Gesetz kritisiert?
Kritisiert wird insbesondere:
5. Wie geht es nun weiter?
Am 6.11.2015 hat der Bundesrat dem neuen Gesetz zugestimmt. Thüringen versuchte in der Debatte noch zu beantragen, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dies wurde jedoch abgelehnt. Jetzt muss das Gesetz nur noch vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden. Die Piratenpartei hat zwar bereits angekündigt, vor der Unterzeichnung an den Bundespräsidenten zu appellieren. Dass Bundespräsident Gauck die Unterschrift verweigern wird, ist aber sehr unwahrscheinlich. Nach Unterschrift des Bundespräsidenten und der Verkündung im Bundesgesetzblatt haben die Internetprovider dann 18 Monate Zeit zur Umsetzung der neuen Regelungen.
Politiker und Datenschutzinitiativen haben bereits angekündigt, Verfassungsbeschwerde einzulegen, sobald das Gesetz in Kraft tritt. Sogar ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Wiedereinführung der VDS wurde beim Bundesverfassungsgericht gestellt. Bis zu einem endgültigen Urteil wird es aber noch einige Zeit dauern. Auch in welchen Verfahren die jeweiligen Gegner der VDS gegen die neue Speicherpflicht vorgehen, ist noch offen.
Insbesondere nach den Enthüllungen von Edward Snowden über die rechtswidrigen Überwachung von EU-Bürgern durch Geheimdienste ist die vorratsmäßige Erhebung zu hinterfragen. Wer mit der Vorratsdatenspeicherung nicht einverstanden ist, hat allerdings diverse Möglichkeiten der „Digitalen Selbstverteidigung”. Sie garantieren zwar keinen Komplettschutz, können die zu speichernde Datenmenge aber reduzieren.
Schon im Mai hat Jakob Dalby den Gesetzesentwurf auf Telemedicus harsch kritisiert.
Der Gesetzesentwurf in der Variante, die den Bundesrat passiert hat.
Die Telemedicus Themenseite „Vorratsdatenspeicherung”.